Hengameh Yaghoobifarah gehört zu den markantesten Stimmen der queeren Gegenwartsliteratur in Deutschland. Am 11. März kommt der Kolumnist:in, Journalist:in und Autor:in nach Erfurt und liest aus dem aktuellen Roman “Schwindel”. Es ist Yaghoobifarahs zweite Veröffentlichung nach dem Bestseller “Ministerium der Träume”.
Hengameh Yaghoobifarah liest „Schwindel“ in Erfurt
Ein Freitagabend, ein Hochhausdach, vier Menschen und jede Menge unausgesprochene Konflikte. Ava ist mit ihren drei Liebschaften ausgesperrt: Eine wollte nur ihr Handy holen, die zweite ein klärendes Gespräch, mit der dritten hatte sie eigentlich gerade ein Date. Das ist die Ausgangslage der queeren Erzählung in “Schwindel”.
Queere Literatur in Erfurt
Jede der vier Figuren steht für eine Gruppe innerhalb der queeren Community. Hauptfigur Ava hat viel Lust auf Sex, aber wenig Bock auf Bindung und Verantwortung. Das findet ihre deutlich ältere Geliebte Silvia gar nicht cool. Auch die unsichere, non-binäre Person Delia wirft Ava eine miese Kommunikation vor. Und für Robin, der aktuellen Situationship, ist Ava eine Liebschaft neben ihrer offenen Beziehung mit einem Trans-Mann. Im Gespräch erzählt Yaghoobifarah, warum queere Konflikte oft politisch aufgeladen sind, wie historische feministische Debatten die Figuren in “Schwindel” geprägt haben und warum Literatur auch in Krisenzeiten Raum für Humor und Experimentierfreude bieten sollte.
Ihr Roman “Schwindel” zeigt, wie sich queere Menschen nicht nur lieben, sondern auch verletzen. Warum war es Ihnen wichtig, genau diese Konflikte sichtbar zu machen?
Mir war es wichtig, unterschiedliche Queers anhand der Person, die sie alle daten, aufeinandertreffen zu lassen – mit all dem Konfliktpotenzial, das darin steckt. Oft werden in zwischenmenschlichen Konflikten politische Differenzen als Stellvertreter benutzt, um sich nicht mit eigenen Unsicherheiten oder Ängsten auseinandersetzen zu müssen. Statt zu sagen: ‚Ich habe Angst, dich zu verlieren‘, wird gestritten, wer die ‚richtige‘ Art von Queerness lebt. Dieses Muster gibt es nicht nur in queeren Kreisen, sondern überall. “Schwindel” spielt das auf engem Raum durch – auf einem Dach, wo die Figuren nicht ausweichen können.
Schwindel heißt das aktuelle Buch von Hengameh Yaghoobifarah. Foto: PR
Welche Rolle spielte die queere Literaturgeschichte bei der Entwicklung Ihrer Figuren?
Ich habe viele feministische und lesbische Texte aus den 50er-Jahren bis dato gelesen, weil mich interessiert hat, welche Themen in queeren Beziehungen eine Rolle spielten. Ein Beispiel ist Silvia, die ja wesentlich älter ist als die anderen. Ich wollte herausfinden, welche politischen Kämpfe sie geprägt haben könnten – etwa die AIDS-Krise oder die feministische Debatte um Pornografie und Sexarbeit. Diese historischen Bezüge fließen in ihre Perspektive ein.
„Schwindel“ wurde in Dortmund auch als Theaterstück inszeniert. Wie war es für Sie, Ihr Werk auf der Bühne zu sehen?
Das war eine große Ehre. Die Regisseurin Shari Asha Crosson hat eine Art Reality-Show-Ästhetik eingebaut, was perfekt zur Dynamik des Romans passt. Besonders spannend fand ich den Einsatz von Videoelementen, etwa für intime Szenen. Lesbische Sexualität wird auf Bühnen oft entweder ins Lächerliche gezogen oder metaphorisiert durch Tanz oder Kampf – hier wurde sie ernst genommen.
Welche popkulturellen Referenzen haben es aus dem Buch ins Theater geschafft?
Musik spielte eine große Rolle. Es gibt sogar eine Playlist zum Buch. Die Theateradaption baute außerdem Reality-TV-Elemente ein – etwa eine Szene, die an das Wiedersehen der Kandidat:innen nach einer Staffel von Princess Charming erinnert. Auch auf der Bühne wurde viel gelacht, weil Humor ein wichtiges Stilmittel in Schwindel ist.
Neben Ihrer Schriftsteller:innen-Karriere sind Sie auch als DJ aktiv. Welche Musik legen Sie gern auf?
Ich spiele gerne elektronische Musik mit poppigen Elementen – nicht den strengen, ernsten Techno, sondern etwas, das Spaß macht. Oft sind darunter auch Tracks von queeren Produzent:innen, aber das passiert eher zufällig.
Sie sind außerdem Mitherausgeber:in des “Delfi” Magazins für neue Literatur. Was erwartet uns in der nächsten Ausgabe?
Das Thema der nächsten Ausgabe ist „Spiel“. Gerade in politisch harten Zeiten finde ich es wichtig, auch Räume für Genuss und kreative Freiheit zu schaffen. Das heißt aber nicht, dass es eskapistisch wird – Spiel kann ja auch strategisch oder düster sein. Wir haben diesmal zwei Comics dabei und Beiträge von Autor:innen wie Nino Haratischwili und Theresia Enzensberger.
Am 11. März lesen Sie in Erfurt im Rahmen der feministischen Aktionswoche „Kraftwerke“. Was bedeutet Ihnen diese Veranstaltung?
Feministische Kämpfe sind immer wichtig, aber dieses Jahr besonders – die Geschlechterquote im Bundestag ist so schlecht wie seit den 90ern nicht mehr. Was auch ein zentrales Thema der nächsten Jahre sein wird, ist, dass das Recht auf Asyl noch weiter angegriffen wird. Auch das ist ein feministisches Thema.
Die CDU hat erst vergangene Woche mehrere demokratiefördernde, emanzipatorische Bürgerinitiativen, Initiativen aus der Zivilgesellschaft angegriffen. Auch das ist ein Angriff auf feministische Strukturen. Kriege, Inflation und eine auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich treffen Frauen besonders hart – vor allem Alleinerziehende. Es gibt weiterhin eine hohe Anzahl an Femiziden in Deutschland, ohne dass ein Notstand ausgerufen wird und Dinge dagegen unternommen werden. Auch das ist für dieses Jahr ein wichtiges Thema.
Nach dem Fall Giselle Pelicot deckte eine Recherche von der Redaktion “STRG_F” auf, dass sich Männer in Telegram-Chats über sexualisierte Gewalt austauschen, darunter auch viele Deutsche. Trans-Feindlichkeit nimmt zu: Rechte und konservative Kräfte – von AfD über CDU bis BSW – attackieren das Selbstbestimmungsgesetz, das keine zwölf Monate in Kraft ist. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA dienen Trans-Menschen und Migrant:innen als das große zu bekämpfende Feindbild. Es gibt viel zu tun.
Hard Facts
- Hengameh Yaghoobifarah in Erfurt:
- 11. März, 18:30 Uhr
- Kleine Rampe, Zum Güterbahnhof 20
- Buch „Schwindel“ ist überall erhältlich
- Mehr Infos gibt’s auf Instagram