Die letzten sechs Jahre bestimmte indirekt ein Esel das Schreiben von Ingrid Annel. Im April 2018 veröffentlichte sie ein Kinderbuch, in dem sie entgegen dem weit verbreiteten Klischee ein neugieriges und liebenswertes Langohr über eine mittelalterliche Erkundungstour durch die Thüringer Landeshauptstadt schickte, das den Guss der Gloriosa-Glocke oder den großen Stadtbrand bezeugte.
Von der Eselreise zur Katzenhauptstadt Weimar
„Esel Erasmus unterwegs im sagenhaften Erfurt“ wurde ein Publikumserfolg und so war ein weiteres, ähnliches Projekt, das in Weimar spielen sollte, für den Bertuch-Verlag bereits 2019 beschlossene Sache. Doch welches Tier eignete sich dafür am besten?
Da viele Grünflächen und Parks das Stadtbild bestimmen und bei den Tieren ein beliebter Lebensraum sind, gilt Weimar mit etwa 10.000 Samtpfoten auf 65.000 Einwohner:innen als Deutschlands „Katzenhauptstadt“ – und das machte für die in Erfurt-Tiefthal wohnende Autorin die Entscheidung leicht. Dabei nahm sie die zahlreichen geistigen Größen, die in der Stadt weilten, in den Fokus: In ihrem kürzlich erschienenen illustrierten Kinderbuch „Kater Nepomuk und die Geister von Weimar“ schnappt ein Freigänger die zahlreichen Gespräche prominenter Persönlichkeiten der letzten Jahrhunderte auf, von Lucas Cranach über Friedrich Schiller und Anna Amalia bis Franz Liszt.
Eine Grundidee zwischen Erinnerung und Gegenwart
„Beide Bücher können als Geschwister verstanden werden. Erasmus stieg vom Eulenspiegel-Denkmal vor dem Erfurter Rathaus hinab zu den historischen Ereignissen – doch das funktionierte für Weimar nicht. Also habe ich mich entschieden, dass der Kater im heutigen Weimar durch einzelne Auslöser – wie etwa das Stampfen und Schnaufen eines Pferdes – in seine Erinnerungen aus seinen zahlreichen Leben vorher hinabsteigt“, beschreibt die Autorin die Grundidee.
Recherche im Lockdown und ein rettender Briefwechsel
Bis zur Veröffentlichung war es jedoch ein langer Weg: „Mit der Corona-Pandemie begann ich mit meinen sehr zeitaufwändigen Recherchen. Kurz vor der Schließung während des Lockdowns habe ich mir Anfang 2020 noch viele Bücher über Weimars Stadtgeschichte und die berühmten Persönlichkeiten ausgeliehen. Darunter war etwa ein Briefwechsel von Goethe mit seiner Ehefrau Christiane Vulpius, der – neben zahlreichen anderen buchstäblich verbrieften oder sinngemäßen Dialogen – auch Eingang ins Buch gefunden hat. Das war damals meine Rettung und ließ mich beim Lesen und Durcharbeiten die Misere in dieser Zeit vergessen“, so die 70-Jährige.
Vom Schmusekater zum wendigen Streuner
Die Arbeit an ihrem Manuskript dauerte etwa zwei Jahre, zwei weitere Jahre lag es beim Verlag, bis das Lektorat erfolgte und mit Grafiker Stephan Leyh ein Künstler gefunden wurde, der die zahlreichen liebevollen Abbildungen im Buch zeichnete. „Mit den ersten Skizzen des Katers war ich noch nicht glücklich, da sah er cartoonesk, mopsig und zu sehr nach Garfield aus. Das passte einfach nicht zu einem beweglichen Straßenkater.
Wenn Bilder den Text verändern
Aber danach verlief die Zusammenarbeit sehr gut. In einem Fall habe ich sogar meinen Text umgeschrieben, weil ich das Bild mit dem Kater auf dem Schoß von Herzogin Anna Amalia bei einem Gespräch mit Christoph Martin Wieland so passend fand. Eigentlich sollte Nepomuk unterm Sofa lauschen“, erinnert sich Ingrid Annel, der handgemachte Figuren-Illustrationen auch im Zeitalter von KI-generierten Motiven wichtig sind.
Kinderbücher mit Anspruch
Nach einer kurzen Zeit als Dramaturgin am Kabarett „Die Arche“ ist Ingrid Annel seit Mitte der 90er Jahre schriftstellerisch tätig. Neben Literatur zu Thüringer Städten und Sagen finden sich in ihrer Bibliografie vor allem Kinderbücher. „Wenn ich mir eine Geschichte ausdenke, läuft vor meinem inneren Auge ein Film ab. Das muss immer da sein – und sorgt dann auch für ein großes Maß an Anschaulichkeit, die mir neben einem gewissen sprachlichen Anspruch wichtig ist. Ich schreibe Bücher, die ich selber gern gelesen hätte – und mit einer Sprachmelodie, durch die Kinder und Erwachsene gleichermaßen Freude am Lesen haben“, so die Autorin selbstbewusst.
Auch wenn ihr Ehemann Ulf Annel, den sie beim Poeten-Seminar kennenlernte, selbst als Kabarettist und Autor für „Die Arche“ Erfurt tätig ist, findet sie die Trennung von Beruflichem und Privaten wichtig: „Wir vermeiden das tunlichst! Wir schreiben sehr unterschiedliche Texte und Tipps können bei der Wirkung in einem Buch oder auf der Bühne nach hinten losgehen. Ich beschränke mich daher nur aufs gelegentliche Korrekturlesen seiner Texte.“
Ein langer Weg zum Buch und offene Zukunftsfragen
Ingrid Annel freut sich nach der langen Entstehungszeit, endlich ein gedrucktes Exemplar in den Händen zu halten. Ob demnächst noch ein anderes Tier Historisches aus Jena, Gera oder Eisenach zu berichten weiß, lässt sie erst einmal offen.
