Mira Held ist Genuss-Expertin. Seit fünf Jahren betreibt sie mit ihrem Partner Flo den Blog „How to Gourmet“ und futtert sich durch Restaurants in Thüringen. In ihrer regelmäßigen Kolumne „Food Storys aus Thüringen“, die einmal im Monat erscheint, nimmt sie uns mit auf ihre kulinarischen Abenteuer in Thüringen und gibt Inspirationen für den nächsten Leckerbissen, Wochenendschmaus oder die kleine Alltagsversüßung.
Mira plädiert auf ihrem Blog „How to Gourmet“ für Vielfalt
Ein richtig gutes Gericht besteht aus ganz verschiedenen Komponenten, mit ganz verschiedenen Eigenschaften und Fähigkeiten. Erst durch das Zusammenspiel kann Ausgewogenheit entstehen. Nehmen wir zum Beispiel eine Thüringer Bratwurst im Brötchen: Die Wurst ist salzig, aber nicht zu sehr. Ihre Wärme führt meist dazu, dass man sich den Gaumen verbrennt, steht aber auch in einem angenehmen Kontrast zum knusprigen Brötchen und dem kalten Senf. Letzterer kitzelt mit seiner Schärfe den Gaumen. Besondere Gewürze sorgen für die Abrundung der Rezeptur. Im Norden von Thüringen ist es eher Majoran, im Süden Knoblauch. Die saftige Wurst ergänzt das trockene Brötchen. Das Fett überträgt den Geschmack. Alle Komponenten gemeinsam erzeugen den unwiderstehlichen Geruch, der auch mir als Teilzeitvegetarierin verlässlich Appetit macht.
Mit diesem beinahe biblisch anmutenden Gleichnis möchte ich auf folgendes hinaus: Genau wie bei einem perfekten Gericht (und das ist die Bratwurst nun einmal), macht Vielfalt Thüringen einfach besser. Sie sorgt für Ausgewogenheit und Schönheit. In den wenigsten Bereichen wird das so deutlich wie beim Essen. Wie langweilig wäre das Brötchen ohne die Bratwurst? Wie fad die Bratwurst ohne Pfeffer?
Kein urdeutsches Produkt
Wer möchte bitte nach einer durchfeierten Nacht Sauerkraut essen, anstatt in einen Döner zu beißen? Wer würde auf Pizza und Spaghetti verzichten, um nur noch an Vollkornbrot und Kartoffeln zu knabbern? Für mich klingt die Vielfalt auf dem Teller nicht nur nach einer guten Idee, sondern nach einer Notwendigkeit. Und ganz nebenbei: die Kartoffel ist auch kein urdeutsches Produkt, sondern kam im 17. Jahrhundert aus Südamerika zu uns. Das allein sagt schon viel aus. Die Kartoffel ist so stark ins deutsche Kulturgut übergegangen, dass sie hier nicht mehr wegzudenken ist. Der Döner ist auf dem besten Weg, es ihr gleichzutun. Warum also fordert AFD Abgeordneter Alexander Jungbluth, die Dönerläden aus Deutschland zu verbannen, wo der Döner doch ein von Gastarbeitern in Deutschland erfundenes Gericht ist?
Wesentlichen Bestandteile einer Kultur
Schon immer gehört die Ernährung zu den wesentlichen Bestandteilen einer Kultur. Je nach Region werden natürlich vorrangig die dort ursprünglich vorhandenen Lebensmittel genutzt (was eine super Sache ist). Aber die Esskultur transportiert auch Gefühle. Was drückt mehr Geborgenheit aus als eine Mahlzeit, die von den eigenen Eltern gekocht wurde und die man auch als alter Mensch immer noch mit der eigenen Kindheit verbindet?
„Ordentliches Brot“ im Urlaub
Klar, dass Angehörige jeder Kultur besonders viel Wert darauf legen, ihre kulinarischen Traditionen zu bewahren. Und dazu gehört es auch, diese mitzunehmen, egal wohin man geht. Sie sind ein Gepäck, für das man keinen Koffer braucht. Nicht umsonst vermissen Deutsche im Urlaub „ordentliches Brot“ und machen, wenn sie auswandern, in Thailand oder Peru gerne deutsche Bäckereien auf. Wo ist der Unterschied zur Baklava-Bäckerei in deiner Nachbarschaft?
Erst kürzlich bin ich im Urlaub in den USA ganz zufällig in ein österreichisches Hotel gestolpert – mit Apfelstrudel, Sachertorte und allem Drum und Dran. Es wurde in den 1930ern gegründet. „Ist doch Quatsch, dass die sich nicht integrieren!“, könnte man jetzt meckern. Oder man nimmt es als nette Ergänzung, um statt dem Burger mal einen köstlichen Kaiserschmarrn zu bestellen. Dieser Text ist ein Aufruf für Toleranz und Vielfalt. Nicht nur, aber vor allem, weil die Landtagswahlen vor der Tür stehen. Und ich rede hier nicht (nur) davon, auch Ketchup auf der Bratwurst zu tolerieren. Vielfalt ist etwas Gutes, sowohl beim Essen als auch was die demokratischen Parteien in unserer Regierung angeht.
Nur noch Einheitsbrei
Wie der geneigte Leser dieser Kolumne weiß, sehe ich mich als Anwältin von gutem Essen und Genuss in Thüringen. Gibt es nur noch Einheitsbrei stirbt der Genuss. Denn dieser ist undenkbar ohne die Menschen, die das Essen ernten, veredeln, verkaufen, zubereiten, servieren oder mit dir und mir gemeinsam am Tisch sitzen und es sich schmecken lassen. Bei der Landtagswahl geht es neben so vielen Themen auch darum, sich gegen Intoleranz und Ausgrenzung zu positionieren. Es geht darum, sich für den Genuss auszusprechen, der nur existieren kann, wenn es Vielfalt gibt.
Zuhause und der Welt verbunden
Weder Pizza, noch Döner, Gyros, Nudeln oder Gulasch würden auf unseren Speisekarten stehen, wenn Menschen nicht die Gerichte aus ihren Heimatländern mitgebracht hätten. Um sich mit ihrem Zuhause und der Welt verbunden zu fühlen, an Orten, die längst zu einem neuen Zuhause geworden sind oder es noch werden sollen. Vielfalt ist das beste Rezept für ein gelungenes Menü und, da bin ich mir sicher, auch für unser Bundesland.
Hard-Facts:
- Blog: https://how-to-gourmet.de/
- Instagram: How to Gourmet
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