Genius Loci Weimar hat sich für 2024 viel vorgenommen. Vom 30. August bis 1. September wird das international renommierte Festival für audiovisuelle Projektionen einen der bekanntesten Orte Weimars im Rahmen des Festivals für drei Tage illuminieren: das 1958 weithin sichtbar auf dem Ettersberg errichtete Mahnmal Buchenwald.
Genius Loci Festival illuminiert das Mahnmal Buchenwald
„Wir können beobachten, dass in ganz Europa, wenn nicht sogar weltweit, schriller Populismus, unterkomplexer Egoismus und geschürte Ressentiments gegenüber den ‚Anderen‘ auf dem Vormarsch sind. Vom aktuellen gesellschaftlichen und politischen Geschehen nicht ganz unberührt sendet daher Genius Loci – an diesen Tagen und von diesem Ort aus – eine eindringliche und nicht übersehbare Botschaft, um nicht die Vergangenheit und weniger noch die Zukunft aus dem Blick zu verlieren“, heißt es in der Ankündigung von Genius Loci 2024, das in diesem Jahr als Motto für den Wettbewerb „Gefühlt ist es 5 vor 33“ wählte.
Über hundert Künstler:innen sendeten ihre Projektionskonzepte ein. Drei Künstler:innengruppen konnten überzeugen und werden nun das Buchenwald-Denkmal illuminieren – mammasONica, Area Composer und Marina Konther mit Etienne Martin. Wir sprachen mit Festivalleiter Hendrik Wendler über dieses besondere Genius Loci.
Das 11. Genius Loci findet am Mahnmal Buchenwald, einem der international bekanntesten Orte Weimars, statt. Warum?
Wir organisieren dieses Festival seit über zehn Jahren. „Genius Loci“ heißt der Geist des Ortes. Und wir haben in dieser Zeit bereits viele bedeutende Orte in Weimar wie z.B. das Goethehaus, das Bauhaus, das Deutsche Nationaltheater und viele weitere bemerkenswerte Orte besucht, um deren Geist sichtbar und erfahrbar zu machen. Irgendwann stellten wir uns die Frage, ob Buchenwald ein relevanter Ort für unser Festival wäre. Die Antwort ist klar: Ja. Bereits vor ein paar Jahren, zum 75. Jahrestag der Befreiung Buchenwalds gab es dazu Gespräche. Doch damals konnten wir das nicht realisieren, weil Corona uns da Steine in den Weg legte.
In diesem Jahr, angesichts veränderter politischer und gesellschaftlicher Bedingungen, haben wir uns bewusst für das Mahnmal Buchenwald entschieden. In diesen Zeiten kann unser sonst so beliebter Eskapismus und Hedonismus gerne einmal innehalten, und sich etwas besinnlicher zeigen. Wir wollten etwas, dass ein bisschen mehr Tiefgang zeigt. Das Festival findet auch aus gutem Grund am Wahlwochenende statt. Besucher können an drei Tagen sowohl das Festival als auch die Gedenkstätte sehen. Unser Ziel ist es, ein klares Statement zu setzen, indem wir diesen historisch belasteten Ort neu beleuchten. Ein Ort, der an sich entstand, um zum Nachdenken anzuregen. Der solche Fragen aufwirft wie: Wie wollen wir mit unseren Mitmenschen umgehen? In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? In diesem Zusammenhang haben wir dann auch den internationalen Wettbewerb „Gefühlt ist es 5 vor 33“ ausgeschrieben, was besonders spannend war.
Was denkst du, welche politische Wirkung kann Kunst in diesem Umfeld haben?
Wir verfolgen keine politische Agenda. Uns geht es eher um gesellschaftliche Fragen. Wie: Wo ist zum Beispiel die Grenze nach unten, auf welche wir uns wirklich alle einigen sollten? Wo liegt die Grenze des Zumutbaren? Diese Grenze wurde in Buchenwald definitiv unterschritten, und das ist nicht nur politisch, sondern vor allem menschlich, zivilisatorisch. Buchenwald war einfach unmenschlich.
Die interessante Frage ist eben, was kann Kunst an einem solchen Ort bewirken? Und wie wir finden, kann Kunst Orte neu inszenieren und Menschen zum Besuch und zur Reflexion einladen. Dieser Ort, an dem drei Ringgräber gefunden wurde, ist bereits 1958 als Gedenkstätte erbaut worden. Die Denkmalanlage hat den Ort geprägt. Wir setzten darauf mit den Projektionen und Soundkulissen eine weitere Ebene und wollen den Ort mit neuen Bildern und Eindrücken sichtbar machen. Am 1. September setzen wir damit ein Zeichen an einem Ort, der für eine Zeit steht, die nicht wiederkehren darf. Unterstützt von vielen Menschen aus Thüringen, die diese Sichtweise teilen.
Wie steht ihr zu der Aussage, dass der Ort möglicherweise unangebracht sei?
Unser Festival hat dieses Mal einen deutlich anderen Charakter. Zu den bisherigen Genius Loci feierten wir, machten viel Musik. Und schaffen eine lockere Atmosphäre. Diesmal ist das anders. Die Werke, als auch die Inszenierung, sind deutlich achtsamer. Wir reichen am Veranstaltungsort keine Speisen und keinen Alkohol, um der Veranstaltung, die ja an einem Friedhof stattfindet, den angemessenen Rahmen zu geben. Unangemessenes Verhalten weisen wir entschieden zurück.
Was bedeutet ein Mahnmal eigentlich? Was soll ein Mahnmal bewirken? Warum besucht man ein Mahnmal? Manche Menschen besuchen es bewusst, um sich damit auseinanderzusetzen. Andere werden vielleicht im Rahmen eines Schulprojekts dorthin gebracht. Ein Mahnmal sollte aber nicht nur zum Schweigen bringen, sondern auch dazu anregen, die Geschehnisse besser zu verstehen, und eine Haltung dazu zu entwickeln. Es ist ein Ort für Reflexion. Die wahre Katastrophe wäre, nichts mit diesem Ort zu tun und ihn dem Verfall zu überlassen
Wie lief eigentlich die diesjährige Ausschreibung?
Wir haben den Wettbewerb Mitte April ausgeschrieben und bis Mai über 100 Einreichungen aus 22 Ländern erhalten. Die Qualität der Beiträge war sehr hoch. Unter den ausgewählten Künstler:innen ist die Gruppe „mammasONica“, die bereits 2013 an der Anna Amalia Bibliothek und 2015 am ehemaligen Gauforum bei uns dabei waren. Die Gruppe Area Composer transformiert die monumentale Straße der Nationen zu einem menschlichen Schicksalsweg. Es werden Fotografien auf Objekte projiziert, um visuelle und akustische Effekte zu erzeugen. Die deutsch-französische Animationskünstlerin Marina Konther verwandelt Rilkes Gedicht „Die Stille“ in eine Animation, die dem Gedicht folgend den Lärm des Krieges der Stille tiefer menschlicher Empfindungen entgegenstellt. Die Atmosphäre kontrastiert mit ihrer Poesie den monumentalen Turmbau.
In der Jury waren dieses Jahr neben vielen Künstler:innen der Leiter der Gedenkstätten Buchenwald. Wie war und ist die Zusammenarbeit?
Ja, die ist wirklich toll. Unser Festival arbeitet eng mit der Gedenkstätte Buchenwald zusammen, denn wir behandeln ein sehr sensibles Thema. Daher kommunizieren wir dieses Jahr besonders sorgfältig und stimmen uns immer eng mit der Gedenkstätte ab, um sicherzustellen, dass alles historisch angemessen ist. Wir haben viel dazugelernt und die Wettbewerbsarbeiten genau geprüft. In der ersten Bewertungsrunde haben wir alle Arbeiten auf ihre historische Korrektheit überprüft, um Fehler zu vermeiden. Zudem haben wir die Public Votes diesmal ausgeschlossen, um hier kein Einfallstor für abgesprochene Manipulation zu ermöglichen.
Wird es dieses Jahr also kein LAB und Side Events geben, wie in den vergangenen Jahren?
Wir erstellen eigene Installationen und zeigen zusätzlich einige Videos. Dieses Jahr konzentrieren wir uns jedoch nicht auf Side Events oder ein LAB. Stattdessen stellen wir das Festival unter ein bestimmtes Thema und setzen den Fokus darauf.
Dieses Mal betreibt ihr großen Aufwand. Es gibt ja keinen Strom etc. am Buchenwald-Denkmal.
Wir haben ein großes Gelände außerhalb der Stadt, was beim Transport von Materialien eine echte Herausforderung darstellt. Wir kümmern uns selbst um alles – vom Aufbau bis zur Technik. Derzeit haben wir fünf bespielte Bereiche im Gelände, mehrere hundert Meter Stromkabel und zahlreiche Generatoren und Projektoren. Das ist ein riesiger Aufwand, weil wir auch zahlreiche Stelen und Pylone bespielen, über 30 Positionen, und es nicht überall Strom vor Ort gibt, wie du bereits sagtest.
Zudem haben wir einen großen planerischen Aufwand. Wir stellen einen kostenfreien Bus bereit, der am Festivalwochenende vom Hauptbahnhof oder Goetheplatz bis zum Gelände fährt und zurück. Auch von der Gedenkstätte zum Mahnmal können Besucher kostenfrei mit dem Bus fahren. Da die Parkmöglichkeiten begrenzt sind, empfehlen wir, Fahrgemeinschaften zu bilden oder möglichst am Freitag oder Sonntag in den späteren Stunden zu kommen. Diese Zeiten sind in der Regel weniger stark frequentiert.
Laut eurer Homepage soll eines der Mappings, Raum für Reflexion und kollektive Erneuerung bieten. Inwiefern möchte Genius Loci dieses Jahr genau das ermöglichen?
Dieses Jahr erwartet die Besucher:innen etwas andere Präsentationsformate. Daher zeigen wir beispielsweise an den Stelen sieben Animationen à zwei Minuten, die den Gästen neue Perspektiven bieten. Hier geht es darum, der Architektur folgend in das Gelände einzutauchen und die Architektur neu zu erleben. Das wird ein ganz besonderes Genius Loci an einem außergewöhnlichen Ort, der seit jeher dazu anregt, in sich zu gehen und über das Geschehene zu reflektieren. Mit der Ebene der Kunst und des Videomappings greifen wir das auf und beschwören den Geist des Ortes umso mehr
Hard-Facts:
- Genius Loci: 30. August bis 1. September ab 20 Uhr
- Mahnmal Buchenwald
- Mehr: www.genius-loci-weimar.org
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