„Ich wollte nie ein Buch schreiben“, scherzt Julia Kulewatz und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ihre Gedanken habe sie jedoch schon immer in einem Tagebuch festgehalten, fügt sie an und streicht sich leger eine Strähne ihres ebenholzschwarzen Haares aus dem Gesicht. Aus Julias rehbraunen Augen blitzt etwas Exotisches, fast Mysteriöses auf.
Kontrastiert wird ihr südländisches Erscheinungsbild von ihrem leuchtend-purpurroten Lippen, die es schwer machen, ihr beim Sprechen nicht zuzuhören. Fast scheint es, als wolle sie die Aufmerksamkeit damit auf ihre Worte lenken. Worte, die Julias Gedanken sprachgewaltig in die Welt entlassen. Worte, mit denen sie die Leser ihrer Kurzgeschichten in ferne Welten entführen will.
In ihrem Erstlingswerk „Vom lustvollen Seufzer des Sudankäfers“, das im Februar dieses Jahres im „ed cetera“-Verlag Leipzig erschien, eröffnet Julia Gedankenräume. 14 verschieden Gedankenräume, um genau zu sein. Denn in ihrem Werk sind 14 ganz unterschiedliche Kurzgeschichten enthalten, die durch bildhafte Sprache Platz für Interpretation lassen. „Es sind nicht nur die Worte, die zum Nachdenken anregen sollen. Vielmehr ist es der Raum zwischen und hinter den Worten, der dazu einlädt, sich selbst zu entdecken“, erklärt die junge Autorin, für die das Sich-Selbst-Entdecken ein elementarer Bestandteil des Lebens zu sein scheint.
Julia probierte sich in allen Spielarten der Kunst aus
Schon früh merkte die gebürtige Berlinerin, dass sie sich durch ihre Kunst immer wieder neu entdecken kann. Wobei das Schreiben als Kunstform nicht per se das Medium war, in dem Julia ihre Kreativität ausleben wollte. Ihr erstes großes Kunstprojekt realisierte sie mit 13 Jahren. „Ich schneiderte damals ein Barockkleid aus Zigarettenschachteln“, erinnert sich die junge Frau. „Ich mochte es schon immer, wenn Mode und Kunst miteinander Grenzen überschreiten.“ Weshalb sie – nachdem sie im Alter von 14 Jahren ihr Elternhaus verließ – wohl auch für kurze Zeit als Model arbeitete.
Die jugendliche Julia probierte sich in allen Spielarten der Kunst aus. Unter anderem begann sie, mit Ölfarben surrealistische Bilder zu malen oder ihren Freiheitsdrang durch das professionelle Tanzen auszuleben. Und auch in der Schule sorgte sie oftmals für Erstaunen: „Rechenwege waren noch nie mein Ding. Ich habe Matheaufgaben mit Zeichnungen gelöst. Glücklicherweise hatte ich eine tolle Mathelehrerin, die mir sogar Punkte für meine Bilder gab“, blickt Julia schmunzelnd zurück.
„Oft kommt es mir so vor, als nehme ich zu viel wahr“
Mit dem Abitur in der Tasche schrieb sie sich dann 2006 für ein Studium an der Universität in Erfurt ein. Literaturwissenschaft und Philosophie waren die Fächer ihre Wahl. „Ich musste mich irgendwann festlegen, für eine Richtung entscheiden. Wenn man sich in allen Formen der Kunst ausdrücken will, verliert man schnell den Fokus.
Und ich möchte mich nicht verzetteln“, erklärt die junge Frau, die sehr reflektiert erscheint und sich selbst als hochsensibel beschreibt: „Die Gesellschaft überflutet mich. Oft kommt es mir so vor, als nehme ich zu viel wahr“, sagt sie. „Wenn ich schreibe, dann sorge ich deshalb dafür, dass ich ganz bei mir bin.“
In ihrem „Ideenbuch“, das sie bereits seit ihrem zehnten Lebensjahr begleitet, hält Julia ihre Gedanken fest. Gedanken, die sich in Form von Zeichnungen, Wörtern oder allem, was sie in irgendeiner Art an etwas Besonderes erinnert, manifestieren. So wie beispielsweise ein paar Schmetterlingsflügel, die sie über ein Jahr lang in ihrem Buch begleiteten. „Schmetterlinge und Käfer faszinieren mich. Darum präpariere ich auch Insekten“, witzelt Julia.
„Ich will meine Leser nicht erziehen“
Und Insekten sind es auch, die in ihrem Buch „Vom lustvollen Seufzer des Sudankäfers“ immer wieder als Motiv auftauchen. Sei es als Schmetterlinge, die eine tragende Rolle in der Erzählung „Nabi Pyon-Ji“ spielen. Oder Käfer, die mit ihrem Leben für die Aggressionsbewältigung eines kleinen Jungen bezahlen müssen, wie in der Kurzgeschichte „Dissoziationen“. Und immer schwingt als Grundtenor das Sich-Selbst-Entdecken mit. „Ich will meine Leser nicht durch ein enges Erzählschema erziehen. Sie sollen meine Geschichten erleben und die Früchte ihrer Fantasie selbst ernten“, schwärmt Julia.
Die junge Erfurter Autorin ist noch lange nicht am Ende ihrer Entdeckungsreise. Der Roman „Rosalie Winther-Morgan“ ist bereits am Entstehen. Eine experimentelle Textsammlung, die sich ganz dem Thema Bäume widmet, und ein Gedichtband sind in der Planung. Julia Kulewatz verspricht, dass man in den kommenden Monaten und Jahren noch mehr literarische Entdeckungsreisen in ferne Welten von ihr erwarten kann – und das, obwohl sie eigentlich nie ein Buch schreiben wollte.
Titelfoto: David Szubotics