Am Monitor begrüßt mich eine breit grinsende Franzi. Oder um der Form gerecht zu werden: Autorin Franziska Waldner aus Erfurt ist heute im Gespräch mit dem t.akt-Magazin. Warum ich nicht förmlich bleibe? Weil Franzi eine ehemalige Kollegin und nunmehr Freundin ist. Von 2016 bis Anfang 2019 war sie der redaktionelle Kopf hinter dem t.akt-Magazin. Doch in diesem Text wollen wir nicht über ihren Werdegang reden.
Sollbruchstellen – Das neue Buch von Franzi Waldner
Wir sprechen heute mit Franzi ganz coronakonform via Videochat über ihr erstes, eigenes Buch. Sollbrüche heißt es. Um Lyrik geht es. Und ich freue mich, der erste zu sein, der sie über ihr Baby befragen darf. Warum ich mich freue? Weil Franzi ein Herzmensch ist. Sie strahlt fast immer Freude und Liebe aus. Ihr Grinsen steckt an. Und das merkt man auch ihren Gedichten und Gedankensplittern an. Doch genug gelobhudelt.
Franzi, das ist dein erstes Buch?
Ja. Das ist das erste Buch.
Aber du gabst doch schon Lesungen, bei denen du eigene Texte vorgetragen hast.
Da habe ich mir meine Blog-Texte auf A4-Papier ausgedruckt, habe das in einen ganz hässlichen Dokumentenordner getan und daraus vorgelesen. Total stylish.
Wird es so dann bei den Lesungen zu Sollbrüche auch?
Hoffentlich nicht (Franzi lacht). Ich wollte eigentlich nie Lesungen geben. Aber ich wurde irgendwann mal gefragt. Und da antwortete ich: „Aber ich hab doch gar kein Buch.“ Dann hab‘ ich also ausgedruckte Texte aus meinem Blog Stattstadtmädchen gelesen und die Leute bei des Lesung fragten mich: „Wo kann ich denn dein Buch kaufen?“
(Kurzes Schweigen)
„In der Zukunft“ hab ich geantwortet. Also hatte ich wirklich schon das ferne Ziel, einmal ein Buch zu schreiben. Das war in meinem Kopf aber eigentlich noch viele Lichtjahre entfernt. Dann kam Corona. Dann kam Zeit.
So viel zum Thema, das hat alles auch etwas Gutes. Aber du hast nicht einfach einen Roman geschrieben. Du erwähltest ein Literatur-Gebiet, das nicht so einfach ist. Lyrik. Wie kamst du dazu?
Wie sagt man so schön? Nicht ich habe die Lyrik gefunden, die Lyrik hat mich gefunden. Ich fing irgendwann an, kleine Texte in Reim-Form zu schreiben. Das ist mir relativ leicht von der Hand gegangen.
Ich finde, ein Gedicht ist im Grunde wie ein Song – nur ohne Melodie. Ich gebe meinem Lesenden einfach nicht vor, was er oder sie jetzt gerade hört. Ob das Elektro, Rock oder Klassik, ist, das lasse ich weg und da bleiben nur die Worte. Ich finde, Lyrik ist die entspannteste Form Texte zu schreiben.
Du hast aber auch schon Erfahrungen mit anderen Texten gemacht?
Ja. Ich habe mal bei einem Magazin gearbeitet. Da bleibt so was nicht aus (Franzi lacht).
Wie würdest du dann die Texte beschreiben, die du für deinen Blog machst?
Die ausformulierten Texte auf meinem Blog sind eher emotionale Alltagsgeschichten mit Lerneffekt. Meistens für mich selbst. Da schreibe ich mal im autobiografischen Ich, mal nur im lyrischen Ich, aber die Texte haben immer etwas mit Emotionen und Zwischenmenschlichkeit zu tun.
Laut Wikipedia ist eine Sollbruchstelle eine durch eine besondere Struktur, Gestalt oder Konstruktion bestimmte Stelle, die bei Belastung oder Überlast vorhersagbar bricht. Warum also Sollbrüche? Was bricht? Und was soll brechen?
Auch das Wort hat mich irgendwie gefunden. Ich kannte den Sollbruchstellen-Verursacher für das Frühstücksei (Franzi lacht). Tatsächlich finde ich, dass wir mit ganz vielen Situationen in unserem Leben hadern – Verluste, die wir erlitten haben. Niederlagen, die wir einstecken mussten. Viele sehen das als Makel. Aber diese Brüche in unsrem Leben machen uns zu dem, der wir sind. Die sollen also sein. Du bist nicht gut, obwohl das passiert ist, du bist gut, weil das passiert ist. Deswegen Sollbrüche. Für mich sind auch Gedichte Sollbrüche, weil sie mit der Satzform brechen. Mit allen grammatikalischen Gegebenheiten. Und weil das Buch durchbrochen ist von fünf Kapiteln.
Du sagst es. Du unterteilst in Gedichte und Gedankensplitter.
Gedichte haben eine Reim- oder Versform. Irgendeine Rhythmik. Das haben die Gedankensplitter nicht.
Dein Buch wird zudem durch Bilder und Grafiken gebrochen. Auch die Einleitung ist nicht von dir.
Ja. Das Buch habe ich gemeinsam mit dem Projekt Meilensteine gemacht, die Bücher beispielsweise über Biografien schreiben und illustrieren. Ich fand schon immer toll, was Martina und Tim erschaffen, die hinter dem Projekt stehen. Martina suchte sich dann Gedichte aus, die sie inspirierten und zeichnete dazu. Tim schrieb das wunderschöne Vorwort.
Die beiden übernahmen auch das Layout?
Jap. Martina hat das Buch gelayoutet. Dabei hatte sie komplett freie Hand und war sehr kreativ. Sie hat sogar den Inhalt der Gedichte verarbeitet, indem wie sie gesetzt sind. Das fand ich total spannend.
Was auch spannend ist, ist die Widmung vorne im Buch. Für die Courage und ihre kleine Schwester Furcht.
Das ist mit das erste, was mir beim Thema Widmung eingefallen ist, weil es auch sehr zum Schreib-Prozess passt. Man hat immer einen Anflug von Mut oder Courage. Und oft wird das zurückgehalten von Angst oder Furcht. Da fallen so Gedanken wie: „Das Buch willst du schon ganz lange machen und denkst dann, ach das liest eh keiner. Da druckst du hundert Exemplare und es liegen 95 beim Verlag und fünf bei deiner Mutter.“
Ich glaube, Courage und Furcht gehören immer ganz eng zusammen. Du kannst nicht mutig sein, ohne jemals Angst gehabt zu haben. Die beiden sind verwandt und ohne sie hätte ich das Buch auch nicht angepackt.
Du sprichst im Buch viel über Liebe, deren Facetten und den Zwiespalt, den sie hervorruft. Ist Liebe dein Thema?
Ich glaube, Liebe ist die Essenz des Lebens. Für mich gibt es auch nur zwei große Gefühle – Liebe und Angst. Alle anderen resultieren aus ihnen. Mit Liebe meine ich nicht immer nur die romantische Liebe. Das Gefühl ist so facettenreich und deswegen bekam sie einen so großen Teil in meinem Buch.
In der Philosophie wird Liebe auch oft als Antrieb gesehen. Was bedeutet Liebe für dich?
Es ist der Grund, warum ich morgens aus dem Bett aufstehe. Liebe ist alles für mich. Alles.
Du sprichst aber auch über den Bruch mit der Liebe.
Brüche gehören eben auch zum Leben. Aber nicht immer resultieren die Texte auf Tatsachenberichten. Oft hab ich nur so ein Gefühl und dann schreibe ich darüber. Wenn ich Sachen niederschreibe und die dann lese merke ich oft erst, was in mir vorgegangen ist. Lesen ist für mich wie aufwachen. Ich kann aber nur schwer über etwas schreiben, das ich nicht selbst schon mal empfunden habe.
Du liebst offenbar auch das Schaukeln. Der erste Gedankensplitter lautet wie folgt: „Und ich bin oft nicht in meiner Mitte. Dafür schaukel ich zu gern“. Du schaukelst gerne, warum?
Absolut, wer nicht? Beim Schaukeln ist man in Bewegung, ohne sich wirklich zu bewegen.
Gut gesagt. Hast du auch 2020 viel geschaukelt?
Schon immer. Als Kind zog ich mir Narbe beim Schaukeln zu, weil ich auf der Sitzfläche stand und mit dem Kopf vorweg von der Schaukel gesegelt bin. Und auch 2020 habe ich viel geschaukelt. Es gab viel Positives und Negatives, vieles was man dazugewonnen und verloren hat.
Zu schaukeln habe ich tatsächlich gerade extrem mit der gesellschaftlichen Spaltung. Die Meinungen der Menschen gehen derzeit stark auseinander und sind sehr verhärtet – damit habe ich wirklich Schwierigkeiten. Und ich schaukele dann zwischen den Standpunkten, weil ich es jedem recht machen möchte.
Wenn du gerade einmal nicht schaukeln kannst, sitzt du dann auf dem Sofa? Du hast das Jahr in einem schönen Spruch zusammengefasst. „2020 in kürze: ich sitze auf einem Sofa – doof da.“
Zum einen sind wir 2020 natürlich dazu angehalten soziale Kontakte zu meiden und ich bin sowieso nicht der Gesellschaftstyp, der ständig auf Partys ist. Aber ich hasse es, untätig zu sein, damit habe ich absolute Schwierigkeiten, ich brauche immer was zu tun. Mich einfach auf die Couch zu legen und einfach mal gar nichts zu machen, wünsche ich mir oft, aber es fällt mir wirklich schwer. Dadurch war dieses Jahr eine große Aufgabe für mich, denn es wurden ja ganz viele Aufträge und Konzerte abgesagt. Deswegen musste ich mich einfach mal auf mein Sofa legen und in mich gehen. Ich habe kein Problem mit Langeweile, aber man denkt halt dabei viel nach.
Nun hast du schon Corona und die Spaltung angesprochen. In deinem Buch behandelst du diese Themen auch und man merkt, dass du es nicht gut findest, dass es ein Zwei-Klassen-System zwischen Kunst und den „systemrelevanten“ Berufen aufgemacht wird. Diese Sache beschäftigt gerade viele Kulturakteure*innen in ganz Deutschland. Wie stehst du dazu als Teil der Kulturszene?
Ich möchte nicht sagen, dass Kunst genauso systemrelevant wie ein Krankenpfleger ist, aber für viele heißt das, dass Kunst überhaupt nicht relevant ist. Und das stimmt so nicht. Natürlich muss es Prioritäten geben und ich möchte auch nicht in der Haut der Entscheider stecken. Ich stelle es mir unglaublich schwer vor, sich in Millionen einzelner Leben hineinzuversetzen, aber ich möchte Kunst und Kultur als wichtigen Bestandteil der Gesellschaft verstanden wissen, der auch unterstützenswert ist. Da kann man nicht sagen, dass es gerade nicht relevant zum Überleben ist. Denn das stimmt nicht! Wenn die Gesellschaft verkaltet – was passiert, wenn Kultur wegfällt –, dann gibt es bald vielleicht kein relevantes System mehr.
Würdest du wollen, dass man deine Gedichte mal in der Schule behandelt?
Super gerne. Wenn in meiner ehemaligen Schule meine Gedichte im Unterricht behandelt würden, fände ich das natürlich grandios. Früher mochte ich Gedichtinterpretation nicht, weil sich immer auf die alten, hoch dramatischen Gedichte gestürzt wurde und damit kann man als Teenie nicht immer was anfangen. Dabei sind Gedichte so was schönes – eine Essenz an Gefühlen und jeder kann für sich entscheiden, wie ein Gedicht auf einen wirkt. Ich fordere hiermit also das Heinrich Herz Gymnasium in Erfurt dazu auf, sich einen Klassensatz meines Buches zu bestellen (Franzi lacht).
Für mehr coole News klickt hier und lest das neue t.akt-Magazin online!
Hard Facts:
- Sollbrüche – Erhältlich seit 3. Dezember
- hier: www.deine-meilensteine.de
- Buchhandlung kleingedrucktes Erfurt