Statt Ruhestand, Rentnerdasein und Rosenzüchten steht für die „Rentnercops“ Mord, Erpressung und Totschlag auf dem Programm. So unterschiedlich die beiden Kommissare a.D. auch sind, bei der Aufklärung von Verbrechen ergänzen sie sich perfekt. Reinhard Bielefelder ist bekennender Einzelgänger und Alt68er, dem am Kommunikativen eher wenig liegt, an Dackel Yoda dafür umso mehr. Der ausgewiesene Experte für organisierte Kriminalität hat mit Klaus Schmitz einen Partner an seiner Seite, der nur zu gerne auf Verbrecherjagd geht. Die Alternative wäre sonst staubsaugen, putzen und Hausarbeit. Denn für Ehefrau Francesca bedeutet Ruhestand keinesfalls, dass Klaus die Füße hochlegen kann, und auch sonst ist das Familienleben mit Kind und Kegel alles andere als geruhsam – vor allem wenn mehrere Generationen unter einem Dach leben. Schwiegersohn Jens, Enkelin Valentine und Daniela, die Tochter von Klaus Schmitz und Ehefrau von Jens, würzen die Story der Erfolgsserie, die die ARD seit 2015 ausstrahlt, mit reichlich Alltagsdrama. Schauspielerin Anica Happig, die unter anderem das Phoenix Theaterfestival in Erfurt leitet, schlüpft seit Kurzem in die Rolle der Daniela. Als Tochter und Mutter sowie Ehefrau jongliert sie bei den Rentnercops mit den Unwägbarkeiten des Familienlebens. Uns gibt Anica im Interview einen Einblick in eine schillernde Schauspiel-Welt, die manchmal auch ganz schön profan sein kann …
Hey Anica, wann und wie bist du eigentlich zum Schauspiel gekommen?
Ich komme aus einer Familie, in der Musik eine wichtige Rolle spielt. Meine Oma leitete zwei Chöre, meine Tante ist Pianistin und unterrichtete in einer Musikschule. Deshalb war es klar, dass ich ein Musikinstrument lernen muss. Es wurde das Klavier. Im Alter von 14 Jahren reichte mir das Klavier als künstlerisches Ausdrucksmittel aber nicht mehr. Ich war auch nicht sonderlich gut (lacht). Inspiriert durch einen Theaterbesuch gründete ich kurzerhand eine Theater AG an meiner Schule. Eigenverantwortlich stellten wir ein Stück auf die Beine. Es ging um ein Schulmassaker und die Referenz war der Amoklauf am Guttenberg Gymnasium in Erfurt. Das ging uns allen damals sehr nahe. Bei einem der Auftritte war eine Theaterpädagogin aus Magdeburg im Publikum, die gut fand, was ich auf der Bühne machte. Sie lud mich ins Theater Magdeburg ein. Und so gab ich mein komplettes Taschengeld nur noch für Zugtickets aus. Ich hatte Blut geleckt. Für mich war klar: Ich will Schauspielerin werden.
Was macht das mit dir, wenn du auf der Bühne oder vor der Kamera stehst?
Für mich ist es ein absolutes Freiheitsgefühl. Ich glaube, das ist, wie wenn Extremsportler Bungee jumpen oder aus dem Flugzeug springen. Eine Sucht nach Adrenalin. Wenn ich auf der Bühne oder vor der Kamera stehe, fühle ich mich nicht als ich selbst, aber dennoch als ich. Ein absurder Zustand, in dem alles möglich ist. Es ist immer die große philosophische Frage: Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele? Im Theater trete ich in Beziehung zum Publikum und im besten Falle entsteht eine gemeinschaftliche Erfahrung. In der Fachsprache nennt man das den Flow-Zustand. Die Freude, die sich einstellt, wenn wir über uns selbst hinauswachsen und neue Hindernisse überwinden, ist das positive Gegenstück zur ewigen Unzufriedenheit, wie Goethes Faust es so wunderbar auf den Punkt bringt. Beim Film ist das anders. Da fehlt mir die direkte Resonanz des Publikums. Daher ist das Team, mit dem ich arbeite, sehr wichtig. Ich spüre die Qualität der Momentaufnahme. Es gibt keine Möglichkeit zu cheaten. Die Kamera sieht alles. Es zählt nur der wahrhafte Moment. Dazu braucht es immer wieder Mut und Offenheit. Theaterschauspiel und Filmschauspiel sind zwei völlig verschiedene Welten.
Dann passt ja die nächste Frage perfekt. Was spielst du lieber: Theater oder TV?
(Lacht) Ich beantworte dir das folgendermaßen: Theater ist meine große Liebe und in den Film bin ich verliebt. Das formuliere ich so, da ich derzeit nicht mehr auf der Theaterbühne stehe und das auch nicht mehr vorhabe. Ich bin jetzt in der glücklichen Position, ein Theaterfestival leiten zu können. Und ich möchte das nicht vermischen. Ich kreiere nun Räume, in denen die Künstler:innen bestmöglich arbeiten können. Das war schon immer mein Ziel. Ich bin froh, dass ich diese verantwortungsvolle Aufgabe ausfüllen darf. Beim Film ist der Fokus demnach ein völlig anderer: Da bin ich mit Leib und Seele Schauspielerin.
Wie kam es, dass du im Cast der Rentnercops bist?
Es war Juli 2022 während des Phoenix Theaterfestivals in Erfurt. Die Eröffnung war gerade gemeistert und ich hatte viel Verantwortung. Musste das Festival leiten. Das heißt, jederzeit ansprechbar und präsent sein. Mitten in der Woche rief meine Agentin an und sagte, dass sie noch eine Schauspielerin für eine durchgehende Rolle in der Serie „Rentnercops“ suchen würden und ich ein E-Casting machen solle. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich wenig Schlaf, war sehr müde, möglicherweise auch etwas zu euphorisch und aufgekratzt. Aus diesem Grund sagte ich meiner Agentin, dass ich das E-Casting nicht machen könne, da ich gewisse künstlerische Ansprüche an mich habe, die ich in diesem Zustand nicht einhalten könnte. Die Produzenten und der Caster waren jedoch so interessiert, dass wir uns auf ein E-Casting am Mittwoch nach der Festivalwoche einigten. Ich kam zu Hause an und war so erschöpft, dass ich das E-Casting fast vergaß. Nur zwei Stunden Zeit bis zur Abgabe. Ich sah nicht sonderlich gut aus, fühlte mich fertig und dachte mir, dass es keinen Sinn macht, zu versuchen, einen perfekten Eindruck zu hinterlassen. Stattdessen beschloss ich, meine Rolle betrunken zu spielen, da das der einzige Energielevel war, den ich noch aufbringen konnte (lacht). Also nahm ich ein Glas Wasser und tat so, als ob es Wodka sei. So sprach ich den ganzen Monolog in die Kamera. Ich wusste zwar, dass es nicht das war, was sie eigentlich erwarteten, aber ich konnte nur das authentisch anbieten. Etwas anderes ging in dem Moment für mich nicht. Und es lohnte sich: Noch am selben Tag bekam ich den Anruf, dass ich die Rolle bekomme. Glück gehabt!
Erzähl doch mal etwas zu deiner Rolle in die Rentnercops. Wen spielst du und mit welchen Problemen hast du da zu kämpfen?
Meine Rolle heißt Daniela Schmitz. Ich spiele die Tochter von Klaus Schmitz, einem der Rentnercops. Mein Charakter ist ein sehr temperamentvoller Mensch, sehr impulsiv und direkt, packt an. Sie ist eine Frau, die ihr Herz auf der Zunge trägt. Und wie man sich schon vorstellen kann, führt das zu lustigen Momenten. Es kann manchmal aber in peinliche Situationen münden. Daniela ist schon sehr lange mit ihrem Mann Jens zusammen – eine sehr lustige Figur, wie ich finde. Er ist ein Überlebenskünstler, der sehr viel Humor besitzt, aber auch recht tollpatschig in Situationen rennt. Die beiden haben eine pubertierende Tochter. Sozusagen die erste Herausforderung. Sie ist auf dem Weg zum Erwachsenwerden, hat bestimmte Probleme und Fragen an das Leben, die Daniela und Jens beantworten müssen. Und es wird noch lustiger: Daniela ist Halbitalienerin und besitzt gerade keine Wohnung. Sie muss zurück in ihr Elternhaus ziehen. Das heißt, drei Generationen leben unter einem Dach. Genau das macht die Serie für mich so interessant. In unseren Rollen stellen wir eine Familie dar, die allerlei Fragen und Konflikte verhandelt, welche zwischen drei Generationen aufgeworfen werden. Da ist Spannung vorprogrammiert …
Wie sieht eigentlich so ein Seriendrehtag aus? Wann geht’s los, wie lange dauerts?
Wir starten sehr früh. Zwischen 5 und 6 Uhr morgens geht’s zum Set. Nach einem Puffer für das Kostüm folgt die Maske, bevor wir um 9 Uhr mit dem Dreh starten. Eine Staffel besteht aus 12 Folgen und wir drehen nie chronologisch. Man muss also genau wissen, was in den Szenen vor- und nachher passiert. Ich muss sehr gut vorbereitet sein, um möglichst viele Drehminuten an einem Tag zu schaffen. Das dauert mal bis 16 Uhr, manchmal aber auch bis 18 Uhr. Da Szenen zudem nachts gedreht werden, verschiebt sich auch der Drehrhythmus in den Abend. Für so einen Nachtdreh muss man den Körper gut vorbereiten, um präsent zu sein und alles abrufen zu können. Selbstverständlich halten wir uns an gesetzliche Arbeitszeiten. Ist dann alles im Kasten, erhalte ich den Einsatzplan für den nächsten Tag.
Aber ist es nicht wahnsinnig schwer, so viel Text auswendig zu lernen? Und dann teilweise noch kurzfristig. Wie machst du das?
Ich habe das große Glück, dass ich ein fotografisches Gedächtnis besitze. Den Text fotografiere ich sozusagen ab und speichere ihn in meinem Kopf. Das ist eine sehr große Hilfe. Zudem arbeite ich gezielt mit meinen Texten. Das heißt, ich kopple den Text an Situationen und teilweise auch an den Ort. Ein Dreh erfordert ein hohes Maß an Konzentration. Das liebe ich so.
Apropos Liebe: Was ist für dich das Schönste an deiner Arbeit?
Zwei Dinge: Zum einen, wenn Unerwartetes passiert. Beispielsweise lustige Versprecher, sodass alle am Set lachen. Es fühlt sich wie ein Erdbeben an, da 30 Personen in einem geschlossenen Raum gemeinsam losprusten. In solchen Momenten macht die Arbeit einfach richtig Spaß. Am Ende ist es ja Lebenszeit, die man miteinander verbringt und dass Spaß zugelassen wird, finde ich wichtig. Und ich liebe die Vielseitigkeit an meinem Beruf. Ich kann mir nie zu sicher sein, muss jedes Mal aufs Neue den Startknopf drücken und immer neue Menschen verkörpern sowie repräsentieren. Ich stehe vor der ständigen Herausforderung, mich immer neu erfinden zu können. Es ist wie dieser Moment kurz vor dem Sprung mit dem Bungee-Seil.
Hard Facts:
- Rentnercops im ARD: immer mittwochs um 18.50 Uhr oder rund um die Uhr unter www.ardmediathek.de
- Mehr zu Anica und Phoenix: @anicahappich | @phoenix_theaterfestival | phoenixfestival.de
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