Die gebürtige Nordhäuserin Christina Friedrich inszenierte nach einem Regie-Studium an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ zahlreiche Theaterstücke, unter anderem am Theater Bremen und am Deutschen Nationaltheater Weimar. Für das Drama „Zone“ (ab 3. Oktober im Kino), welches die Geschichte einer Jugend in der DDR mit dem Tod eines Mädchens am Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Grauen im Konzentrationslager Mittelbau-Dora verquickt, verfilmte sie ihren eigenen Roman „Keller“ an Schauplätzen in und um Nordhausen.
Die Nordhäuserin Christina
Friedrich verfilmt ihr eigenes
Buch. Foto: Vincenzo Laera
Wann hast Du „Keller“ geschrieben, und wie kamst Du auf die Idee, Deinen Roman zu verfilmen?
2008 und 2009 habe ich „Keller“ geschrieben – ein Buch, was sich mit der Topographie des Harzes, von Nordhausen und der Biographie der dort aufwachsenden Menschen beschäftigt. Es war aber offensichtlich nicht so einfach, dafür einen Verlag zu finden. Es gab großes Interesse an der Sprache, aber die Verleger haben meist gesagt: Das ist mir zu dunkel. Obwohl die deutsche Geschichte nicht heller ist.
Wie ging es dann weiter?
Dann ist das Buch ein paar Jahre liegen geblieben und ich habe in Haifa an der Theater-Performance „Keep Me In Mind“ gearbeitet, diese in Ländern wie Israel, Kanada, Litauen, Polen und Frankreich recherchiert – und darüber auch einen gleich betitelten Film gedreht. In dessen Zuge habe ich einen weiteren Film realisiert, „Hurensöhne – Ein Requiem“. Und dabei habe ich schleichend die Mittel gewechselt, vom Theater zum Performativen – und bin dann wieder zum „Keller“ zurückgekommen, der immer noch nicht veröffentlicht war. Da habe ich beschlossen, auch daraus einen Film zu machen. Gleichzeitig mit diesem Entschluss gab es einen Verleger, der „Keller“ publiziert hat. Das ist die Entstehungsgeschichte. Aber alle Stoffe korrespondieren oder agieren im Gebiet des Südharz, in Nordhausen, also diesen konkreten und präzisen wie mythologischen und geschichtlichen Vermessungsraum.
Welche mythologische Bedeutung haben Nordhausen, der Harz oder eben auch die nahe KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora für Dich?
Mittelbau-Dora war ein Lager, in dem die Häftlinge an Erschöpfung und Entkräftung gestorben sind oder ermordet wurden. In den Stollenanlagen der V1- und V2-Produktion haben über 20.000 Zwangsarbeiter gearbeitet und nicht überlebt. Das sind keine mythischen Orte, es sind Orte des Todes. Und dann gibt es diesen Harz, der auch kein wirklich helles Gebirge ist. Er weist Anklänge an die deutsche Romantik, Heinrich Heine und Goethe auf – aber es gibt auch Todesmärsche, die durch den Harz gingen. Groß zu werden in so einer Umgebung, macht ja etwas mit einem. Das Lager Dora lag unmittelbar neben dem Freibad zur Salzaquelle. Man schaut von dort direkt auf Orte, die Totenberg, Ascheberg oder Krematorium heißen. Das ist kein so weiter Weg, diesem Stoff zu begegnen und erzählen zu müssen. Er entspringt quasi der Topographie dieser Herkunft.
In „Keller“ verzichtest Du bewusst auf bestimmte Satzzeichen: Es finden sich nur Punkte und Kommata, keine Fragezeichen und Ausrufezeichen, auch bei Dialogen keine An- und Ausführungszeichen. Steckt hier ein Konzept dahinter?
Beim Schreiben entsteht die Form über den Inhalt. Es ist eine Chronik, eine Beschreibung – und da gibt es keine Fragen oder Ausrufezeichen, die diese emotional bewerten. Es gibt Aussagen, die aus dem Beschreibungsfeld dieser Protagonistin kommen – und die Sprache und die Form entsteht aus dem Gegenstand. Ich verzichte aber auch bei allen anderen Romanen auf Fragezeichen und Ausrufezeichen.
Tragen „Keller“ oder „Zone“ autobiografische Züge?
Es gibt durchaus Verbindungen von mir zu den Protagonistinnen. Es gibt Momente, oder Situationen und Emotionen, die ich kenne. Nicht alles, was sich dort fiktiv ereignet – aber das Psychogramm, die Landschaft, die Geschichten, vor allem auch die Atmosphäre und Stimmung sind mir vertraut. Diese Form von Bedrückung oder Beklemmung. Ich empfand das Aufwachsen in der DDR nicht als ein durchgehend fröhliches Ereignis.
Ich persönlich fand „Zone“ sperrig. Möchtest Du dem Publikum etwas an die Hand geben, damit es einen Zugang findet?
Am besten wäre, den Film mit geschlossenen Augen zu sehen – obwohl man ihn natürlich sehen sollte. Man sollte in den Film hineingehen, wie man in einen Fluss oder unbekanntes Gewässer steigt und darauf hoffen, dass das Wasser trägt und es Momente mit unbekannten Passagen gibt. Momente, in denen man wegtreibt. Aber man kann sich darauf verlassen: Es ein Film ist, den kann man mit dem Herzen sehen. Muss man nicht zwingend verstehen – man kann ihn fühlen.
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Du hast aus Budgetgründen am Set von „Zone“ selbst das Catering übernommen, las ich…
Nicht durchgehend. Der Koch ist am ersten Tag schon abgesprungen und wir haben Kochgruppen gegründet und uns alle gegenseitig bekocht – für zehn, zwölf oder 25 Menschen. Aber ich koche gern und an manchen Tagen habe ich das tatsächlich allein getan, ja.
Was kam auf den Tisch?
Es gab Bananenbrot, verschiedene außergewöhnliche Suppen, selbst gemachte Brotaufstriche… Oh mein Gott, ich kann mich schon gar nicht mehr erinnern, es liegt auch schon etwas weit zurück. Mittlerweile sind schon wieder andere Rezepte in meinem Kopf.
Schreibst Du irgendwann mal ein Kochbuch?
Ich schreibe in jedem Buch Kochbücher! Jedes Buch, das ich schreibe, ist immer mit Essen verbunden. Aufmerksam Lesende würden immer sehr viele Rezepte und sehr viele Gerichte in den Büchern finden. In allen Büchern geht es sehr viel um Essen. Essen ist wichtig.
Neben Berlin liegt Dein zweiter Wohnsitz in Limlingerode im Landkreis Nordhausen…
Richtig, ich wohne im Pfarrhaus, in der ehemaligen Dichterstätte Sarah Kirsch – und da ist viel Ruhe für Konzentration. Es ist etwas klösterlich, hier kann ich in Ruhe (Dreh-)Bücher schreiben. Die Geschichten spielen alle in dieser einsamen Landschaft, die aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht wird. Es gibt Wald, es gibt Rehe, es gibt Falken – und es gibt meine Vespa.
Wie ist Dein heutiges Verhältnis zu Nordhausen?
Es ist keine wirklich schöne Stadt. Es ist die Stadt, in der ich aufgewachsen bin, die mir durch die Anwesenheit des KZ Mittelbau-Dora unheimlich war und die ich beklemmend fand – auch wenn ich als Kind viel im Dom zum Heiligen Kreuz war und den bis heute gern besuche.
Wenn man sich den hohen Zuspruch zu rechten Parteien in Thüringen anschaut: Vermisst Du eine angemessene Erinnerungskultur im Umgang mit dem KZ Mittelbau-Dora?
An Erinnerungskultur hat es nicht gemangelt – aber es war eine numerische Erinnerungskultur, die ihre Rituale zu Jubiläen und Feiertagen aufgerufen hat, aber nicht im Gedächtnis oder in Form eines Diskurses verhaftet war. Das Niederlegen von Kränzen und die immer klischeehaft wiederholten Erinnerungsbegriffe vom „Nie wieder“ oder dergleichen sind vollkommen leer. Wie wir sehen, sind sie einfach weggefegt und haben offenbar nicht gegriffen, weil sich der Kontext von Gewalt, Verachtung, dem Ausschließen von Fremden und einer bestimmten Nähe zu einem Gedankengut aufrechterhalten hat. Die Erinnerungsrituale haben diesen tiefen Grund oftmals nicht genügend berührt. (kurze Pause) Ich bin nicht überrascht.
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Gibt es ein Theaterstück, welches Du gern einmal für die Bühne inszenieren würden?
Auf jeden Fall etwas von Kleist. Die Sprache von Kleist ist schwindelerregend faszinierend – und es hat immer etwas mit Traum, mit Schlacht, mit Schmerz und Liebe zu tun.
Das sind ja die großen Themen!
Ja, genau. Darunter kann ich leider nicht.
Hard Facts:
- „Zone“ startet ab 3. Oktober im Kino.
- Wenn ihr mehr zum Film erfahren wollt: www.madonnenwerk.de