Im dritten und letzten Teil des Interviews mit Awareness-Koordinatorin des Clubs Kalif Storch, Sarah Wolfram, werfen wir einen Blick über den Tellerrand: Wie können gesetzliche Rahmenbedingungen verbessert werden? Was braucht es, damit sich mehr Clubs verantwortlich fühlen? Und wie kann eine solidarische Kultur entstehen, die Betroffene stärkt und Täter:innen klare Grenzen aufzeigt? Ein Gespräch über gesellschaftliche Verantwortung und den Wunsch nach echten Veränderungsräumen.
Welche politischen oder gesetzlichen Maßnahmen wären aus eurer Sicht wichtig, um besser vor K.o.-Tropfen zu schützen?
Die Verabreichung von K.o.-Tropfen ist bereits heute strafbar – je nach Zusammenhang etwa als gefährliche Körperverletzung, sexueller Übergriff oder Raub. Trotzdem zeigt die Praxis, dass solche Taten oft schwer zu verfolgen sind und die rechtliche Einordnung der Substanzen als „gefährliches Werkzeug“ bislang nicht eindeutig geregelt war.
Neue Gesetzesinitiativen ab 2025
2025 gibt es auf Bundes- und Landesebene Bestrebungen, die Gesetze zu verschärfen: K.o.-Tropfen sollen künftig explizit als gefährliches Tatmittel gelten, etwa bei Raub oder sexualisierter Gewalt. Dadurch könnten deutlich höhere Mindeststrafen greifen – was aus unserer Sicht ein wichtiges Signal wäre: an Betroffene, aber auch an potenzielle Täter:innen.
Mehr als Gesetze: Prävention und Awareness
Gleichzeitig braucht es mehr als nur juristische Schritte. Es braucht langfristige Investitionen in Prävention, Schulungen und Aufklärung – zum Beispiel durch Förderprogramme für Awareness-Strukturen in Clubs und Bars. Viele Orte leisten diese Arbeit schon jetzt – meist ehrenamtlich oder aus eigenem Antrieb. Eine politische Unterstützung, die diese Arbeit strukturell mitdenkt und stärkt, wäre überfällig.
Gesellschaftliche Haltung und Verantwortung
Langfristig geht es auch um gesellschaftliche Haltung: weg von Schuldzuweisungen an Betroffene – hin zu gemeinsamer Verantwortung für sichere Räume.
Weißt du, wie andere Clubs und Veranstaltende in Thüringen damit umgehen?
Das Thema K.o.-Tropfen wird in Thüringen leider noch sehr wenig öffentlich angesprochen. Vereinzelt gibt es Awareness-Teams in Kollektiven oder bei speziellen Veranstaltungen, die insgesamt auf Sicherheit und Respekt achten. Spezifisch auf K.o.-Tropfen ausgerichtete Präventionsmaßnahmen oder öffentliche Kampagnen sind aber selten.
Erste Ansätze und fehlende Sichtbarkeit
Manche Clubs nutzen beispielsweise kleine Hilfsmittel wie Glasdeckel, um das Risiko zu verringern, aber flächendeckende, sichtbare Aufklärung, etwa mit Flyern, Stickern oder Social-Media-Posts, ist kaum verbreitet. Wir wollen mit unseren eigenen Materialien und der offenen Kommunikation einen Beitrag dazu leisten, das Thema sichtbarer zu machen und mehr Menschen dafür zu sensibilisieren. Denn nur wenn das Risiko ernst genommen und offen thematisiert wird, können sich Betroffene besser schützen und auch Ansprechpartner:innen in den Clubs schneller reagieren.
Wie kam es eigentlich, das ihr extra einen Post dazu gemacht habt. Und würdest du die von anderen Clubs, Discos etc. mehr Aufklärung zu diesem Thema wünschen?
Der Auslöser war ein konkreter Verdachtsfall – und das hat für uns gereicht, um aktiv zu werden. Uns war klar: Selbst wenn es „nur“ ein Verdacht ist, wollen wir, dass Menschen besser vorbereitet sind, sich in solchen Situationen sicherer fühlen und wissen, dass sie nicht allein sind. Und auch potenzielle Täter:innen sollen merken: Das Thema ist bei uns präsent. Wir schauen hin.
Von Social Media zu Materialien
Der Social-Media-Post war der Anfang, dann haben wir Flyer und Sticker entwickelt, die wir auch anderen Clubs zur Verfügung stellen. Natürlich wünschen wir uns, dass mehr Clubs und Veranstaltende Verantwortung übernehmen und das Thema nicht totschweigen.
Es braucht keine Horrorszenarien – aber eine klare Haltung, sichtbare Informationen und Strukturen, die Betroffene auffangen. Wenn mehr Orte das ernst nehmen, entsteht langfristig ein sichereres Umfeld für alle.
Was meinst du, wie eurer Meinung nach eine solidarische Kultur entstehen kann, die Betroffene unterstützt und Täter:innen entmutigt?
Eine solidarische Kultur beginnt damit, dass Menschen sich füreinander mitverantwortlich fühlen – ohne zu bevormunden. Das heißt konkret: hinsehen, zuhören, sich gegenseitig ernst nehmen und sich klar gegen übergriffiges Verhalten positionieren – auch wenn es „nur ein Spruch“ oder eine komische Stimmung ist.
Unterstützung für Betroffene, klare Grenzen für Täter:innen
Betroffene sollen wissen, dass sie nicht alleine sind, dass ihnen geglaubt wird und sie selbst entscheiden dürfen, was sie brauchen. Gleichzeitig ist es wichtig, Täter:innen oder grenzüberschreitendes Verhalten nicht zu ignorieren oder zu relativieren. Wenn ein Umfeld klar zeigt, dass Übergriffe nicht geduldet werden – sei es durch Awareness, Reaktionen vom Team oder auch durch Gespräche im Freundeskreis – kann sich langfristig etwas verändern.
Strukturen für Sicherheit und anonyme Spurensicherung
Solidarität heißt eben auch, Strukturen zu schaffen, in denen alle sich sicherer fühlen können – und Verantwortung nicht nur bei Betroffenen zu lassen. Wichtig zu wissen: Es gibt seit Dezember 2024 in Jena am Uniklinikum die Möglichkeit, bei Verdacht auf K.O.-Tropfen oder andere Formen sexualisierter Gewalt eine anonyme Spurensicherung machen zu lassen.
Medizinische Hilfe und Beweissicherung
Das bedeutet: Betroffene können sich medizinisch untersuchen und Proben sichern lassen – ohne direkt Anzeige zu erstatten. Die Spuren werden dann für eine gewisse Zeit aufbewahrt. Wenn sich die betroffene Person später dazu entscheidet, eine Anzeige zu machen, können die gesicherten Proben verwendet werden.
Zeitfaktor bei Nachweisbarkeit
Gerade bei Substanzen wie GHB ist es wichtig, schnell zu handeln, weil sie nur sehr kurz im Körper nachweisbar sind – im Blut meist nur 6 bis 8 Stunden, im Urin etwa 8 bis 12 Stunden. Wenn ihr also merkt, dass etwas nicht stimmt, holt euch am besten sofort Hilfe – direkt vor Ort im Club oder über Begleitpersonen, die euch ins Krankenhaus begleiten können.
Ein wichtiger Fortschritt für Betroffene
Früher war das oft nur möglich, wenn man direkt Anzeige erstattet hat – heute geht das auch ohne. Das ist eine wichtige Entwicklung, weil viele Betroffene in so einem Moment erstmal überfordert oder unsicher sind, was sie überhaupt tun sollen – und ob sie überhaupt anzeigen möchten.
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