Es gibt Orte, die sind magisch. Raue Inseln, verwunschene Gärten, versteckte Hinterhöfe – aber auch alte Industriegebäude, in denen Zweck und Romantik kein Widerspruch sein müssen, können magische Orte sein. Gerade als Kulturstätten sind so manche Lokschuppen, Ziegelfabriken oder Brauereien der Jahrhundertwende wieder sehr begehrt. So auch in Jena. Dort trifft an mehreren Orten historische Industriearchitektur auf Gegenwartskultur und Unterhaltung. Nirgends aber ist diese Begegnung derzeit so aufregend wie im Trafo, einem ehemaligen Umspannwerk in der nördlichen Innenstadt.
Trafo, das alte Umspannwerk in Jena wird zur Kunstbühne
Dort, wo hinter schlanken Sprossenfenstern und dank Eisenkettenhebebühnen ab 1901 Jenas erste systematische Stromversorgung auf das frisch erbaute Damenviertel verteilt wurde, stehen heute ein großer Flügel und tintenblaue Kinosessel im Karree. In der Mitte ist unter 49 einzeln LED-ansteuerbaren-DDR-Leuchten eine Bühne, die eigentlich eine Senke ist. Und in ihr treten seit nunmehr vier Jahren immer renommiertere Künstler auf: Der Verein „Ins Netz e.V.“, der das Umspannwerk bespielt, holt sie nach Jena.
Christopher Rumble im Trafo:
Christopher Rumble (20.05.2016)
!! arigatô, gracias & merci Christopher Rumble !! Heute gehts weiter mit Masayoshi Fujita / www.10000volt.de
Gepostet von TRAFO am Samstag, 21. Mai 2016
Ein magischer Ort als Kultur-Geheimtipp
Dieses Jahr ist ein derart erlesenes Herbstprogramm gelungen, dass man sich gern gute Outdoor-Funktionsunterwäsche besorgt. Funktionsunterwäsche? Ja, die braucht man, wenn man in den Trafo ausgehen will viel eher als ein schickes Kleid oder ein lässiges T-Shirt. Denn der magische Ort, an dem einst Gleich- zu Wechselstrom wurde (oder andersherum), ist unisoliert und nur schwer beheizbar. Aber gerade, dass man in Schal und Mütze lauscht, trinkt und feiert, hat auch seinen Charme. Außerdem passt die Melancholie des Unsanierten, die Robustizität des Industriellen perfekt zum Herbst.
Ein Herbst der besonderen Kunst
Wer also spielt? Scout Niblett am 18. November zum Beispiel. Eine zart-raue US-Liedermacherin, die eigentlich gebürtige Britin ist, oft mit Cat Power verglichen wird und eine Gitarre wie Neil Young für den Soundtrack von „Dead Man“ zu spielen weiß. Andere Konzerte rücken exotische Instrumente in den Mittelpunkt: Die Harfe von Mary Lattimore am 25. November zum Beispiel oder das präparierte Klavier des Pianisten Stefan Schultze, der am 6. November zusammen mit dem Medienkünstler Falk Greiffenhagen ins Trafo kommt. Greiffenhagen ist dabei nicht nur für die Live-Visuals zuständig (sonst tritt der Videokünstler mit niemand geringerem als Kraftwerk auf), sondern er spielt auch Kontrabassklarinette.
Kultur an einem besonderen Ort
Den Nikolausabend bestreiten sodann das Leipziger Duo „Wooden Peak“, das Jazz, Pop und orchestrale Töne mit Elektro zu verbinden weiß und vermutlich mehr als eine Notwist-Platte im Regal stehen hat. Am 21. Dezember kommen gleich zwei Acts von ganz weit her ins winterliche Thüringen: die „Tashi Wada Group“, ein japanisch-amerikanisches Trio, und die Isländerin Hekla. Beider Musik ist sphärisch und fremd, elegant und verstörend – und damit die perfekte Antithese zu Weihnachtsmarkt-Humtata oder Betriebsweihnachtsfeier-Pop. Im Trafo trifft eben besondere Kunst auf einen besonderen Ort – egal zu welcher Jahreszeit, aber in diesem kalten Herbst besonders warm zu empfehlen.