Unter dem Motto: „Lützerath ist weggebaggert – aber die Erinnerung bleibt“ zeigt die Galerie Mieze Südlich in Gera bis 28. Mai die Arbeiten der beiden Fotografen Philipp Gehrhardt und Jacob Queißner. Die beiden aus Gera stammenden Fotografen waren im Januar 2023 in Lützerath und dokumentierten die letzten Tage des besetzten Dorfes. Künstlerisch untermalt wird die Ausstellung von Thomas Prochnow, der das Thema der Ausstellung künstlerisch aufbereitet. Wir sprachen mit Fotograf Philipp über die letzten Tage des Protestdorfes und mit Thomas über seine Installationen.
Hey Philipp, wie lange und wann genau warst du in Lützerath?
Wir verbrachten vier Tage und drei Nächte in Lützerath. Unter anderem erlebten wir die Räumung des Ortes am 11. Januar. Zuvor hatten wir uns bereits zwei Nächte im Dorf aufgehalten und am Morgen des Räumungsbeginns schliefen wir gemeinsam mit Aktivist:innen in einem Haus. Wir kamen mit ihnen den Menschen vor Ort ins Gespräch und hörten ihre Beweggründe.
Wie kam es dazu, dass du mit Jacob nach Lützerath gereist bist, um Fotos zu machen?
Wir, also Jacob und ich, beschäftigten uns schon seit Ende 2022 mit dem Thema. Bei uns in der Nähe gab es einen ähnlichen Vorfall, bei dem ein Wald geräumt wurde. Als dann die Räumung in Lützerath anstand, entschieden wir relativ spontan, hinzufahren, um das Ganze zu dokumentieren.
Bist du nur als Fotograf gefahren, oder auch weil du dich mit der Protestbewegung identifizierst?
Nein, ich bin nicht aus politischer Überzeugung nach Lützerath gereist, sondern ausschließlich als Fotograf, um die Protestbewegung und den zivilen Ungehorsam zu dokumentieren. Mich interessieren solche Themen sehr und ich will die Menschen dahinter kennenlernen und verstehen, was ihre Ansichten sind. Meine Arbeit begann mit den Corona-Protesten hier in Gera im Jahr 2022, als es ein Versammlungsverbot gab. Ich ging einfach als Fotograf los, um zu dokumentieren. Ohne politische Motivation. Allerdings wurde ich festgenommen, weil ich mich auch innerhalb der Protestbewegung bewegte. Ich versuche, so unvoreingenommen wie möglich zu berichten, unauffällig zu agieren und mich nicht als Pressemitglied zu erkennen zu geben. Dadurch komme ich näher an die Menschen heran, da sie oft ein schlechtes Bild von Presse haben. Ich bin keineswegs jemand, der das Thema Umwelt jedoch komplett ignoriert oder es als unwichtig empfindet.
Aus Lützerath präsentierst du vor allem Porträts von Aktivist:innen. Warum? Wie kam es dazu?
Wir waren vier Tage lang von früh bis spät im Dorf und dadurch konnte ich den Aktivisten näherkommen. Mit meiner Kamera und einem Weitwinkelobjektiv musste ich sehr nah an die Leute herangehen, manchmal bis auf einen Meter oder sogar noch näher. Das erfordert Zeit, um von den Leuten akzeptiert zu werden, aber wir schafften das. Was mich besonders beeindrucke, war die Vielfalt der Aktivisten. Man denkt immer, dass es nur Kinder reicher Eltern sind, wie das Klischee sagt, aber das stimmt nicht. Die Aktivisten waren zwischen 15 und 60 Jahren ein breites Spektrum an Menschen. Um deren Vielfalt einzufangen, fing ich an zu porträtieren.
Beschreib doch mal diese Vielfalt.
Es war nicht wie beim Karneval, obwohl es jemanden gab, der ein Schildkrötenkostüm trug. Als wir am ersten Tag ankamen, herrschte Festivalstimmung. Die Leute saßen am Lagerfeuer, aßen zusammen, erzählten Geschichten und spielten gemeinsam Musik. Die Stimmung war toll und die Harmonie sowie das Miteinander war spürbar. Es war keineswegs so, dass die Leute dort nur Hippies waren. Viele Aktivist:innen kleideten sich einheitlich oder malten ihr Gesicht an, um ihre Gesichtsstruktur zu verändern, damit man sie nicht so einfach identifizieren kann. Wir sahen Christen, die den ganzen Tag gesungen oder Gottesdienste abgehalten haben. Es waren „Omas gegen rechts“ dabei, die in der ersten oder zweiten Reihe standen und zusammen mit anderen gegen die Polizei-Ketten drückten. Es war eine bunte Menschenflut einschließlich des ein oder anderen lustigen Kostüms. Aber der Großteil der Leute war da, um etwas zu bewegen. Das sah man ihnen auch an.
Der Titel der Ausstellung lautet „Lützerath ist weggebaggert – aber die Erinnerung bleibt“, welche Erinnerung bleibt bei dir denn hängen?
Dadurch das Lützerath mehrere Jahre besetzt war und Aktivisten dort gelebt haben, für die es wirklich ein Zuhause war, wird es für sie immer in Erinnerung bleiben, auch wenn sie irgendwann alt sind oder Kinder und Enkel haben. Für sie ist es eine Erinnerung an ihren Klimawiderstand. Jetzt ist das Dorf schon komplett weggebaggert und der Bagger steht sogar schon an der Landstraße. Wir sind jeden Tag eine Strecke zwischen 20 und 30 Minuten gelaufen, um vom Dorf zur Landstraße zu gelangen. Es ist wirklich eine riesige Fläche, die in den letzten drei Monaten weggebaggert wurde. Ich glaube kaum, dass es noch einmal etwas Vergleichbares geben wird. Bei der Räumung haben einige Leute geweint und waren wirklich komplett aufgelöst. Manche wurden weggetragen, während Widerstandslieder gesungen wurden. Es war wie eine andere Welt, man kann es sich einfach nicht vorstellen.
Es gab eine Vielzahl von Eindrücken, die sich zwischen Parolen, Polizei und Geschrei abwechselten. Besonders der Morgen der Räumung wird mir in Erinnerung bleiben, weil wir am Abend zuvor bis Mitternacht mit Aktivisten gesprochen hatten. Wir erfuhren, woher sie kamen, was sie taten und warum sie sich für das Thema interessierten und wie sie es geschafft haben, über mehrere Wochen hier zu sein. Als es dann wirklich früh losging, schliefen Jakob und ich im Schlafsack auf dem Boden auf ein bisschen Stroh. Wir hörten alles über Walkie-Talkie und standen dann früh um 6.30 Uhr am Dorfeingang mit Kameras bereit. Mitten in den Aktivist:innen. Es war insgesamt ein eindrucksvolles Erlebnis und wird für jeden, der dort war, noch lange in Erinnerung bleiben.
Was zeigt ihr in der Ausstellung und worauf habt ihr bei der Auswahl der Bilder geachtet?
Also zunächst einmal bin ich nach den vier Tagen mit 1500 Fotos zurückgekommen. Davon blieben nur 450 Bilder übrig, von denen wir nun nochmals etwa 50 pro Person ausgewählt haben, die wir zeigen wollen. Da wir jedoch räumlich begrenzt sind, müssen wir wirklich darauf achten, welche Bilder am besten zur Geltung kommen. Wir versuchten, die Bilder auszuwählen, die am eindrucksvollsten sind und uns emotional am meisten ansprechen.
Thomas, wie kam es denn zur Zusammenarbeit mit den Fotografen Phillip und Jacob?
Phillip fotografierte mich auf einer Demo in Gera. Daraufhin tauschten wir uns aus und ich fand ganz spannend, was er da macht. Und Jakob ist immer bei politischen Geschichten zugange, bei denen ich in der Vergangenheit auch mitwirkte und so entwickelte sich die Zusammenarbeit.
Du machst bei der Ausstellung mit. Die Installationen sind den Barrieren im Dorf nachempfunden. Wie näherst du dich diesem Thema?
Im Dezember bin ich mit meinem kompletten Atelier umgezogen. Als Bildhauer hat man natürlich viel Material. Die Idee entstand nach meiner letzten Ausstellung „Kunst gegen Rechts“, die Jungs hatten die Idee, zur Lützerath-Ausstellung eine Art Barriere zu bauen. Das inspirierte mich. Ich sah mir die Fotos an und fing ich an loszubauen – ohne Skizzen oder Ähnlichem. Dabei muss ich natürlich auch darauf achten, dass ich die Fluchtwege freihalte und kein brennbares Material verwende. Es ist ein bisschen improvisiert. Kurz gesagt, ich reagiere auf das, was ich habe, und versuche dann, meine Ideen umzusetzen.
Hard Facts:
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- Ausstellung in Gera:
- Wann? Bis 28. Mai | Do.: 12 bis 18 Uhr, So.: 15 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung
- Wo? Galerie Mieze Südlich | Burgstraße 1
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