Serienkiller im Vollsuff
In einer Absturzkneipe an der Reeperbahn findet ein Serienkiller seine Opfer. Der Hamburger Regisseur Fatih Akin („Aus dem Nichts“) hat einen Hamburger (Kult-)Roman von Heinz Strunk verfilmt: „Der goldene Handschuh“ startet am 21. Februar bundesweit im Kino.
Der nur mit Unterwäsche bekleidete Körper einer reifen Prostituierten liegt leblos auf dem schmutzigen Bett im Schlafzimmer. Fritz „Fiete“ Honka (Jonas Dassler) ist nervös und versucht ebenso unbeholfen wie erfolglos, über die Leiche einen dunklen Plastiksack zu ziehen. Nach einigen Ziehen und Drücken und unter lautem Schnaufen gelingt es ihm schließlich und er schleift ihn samt Inhalt einige knarrende Stufen die Treppe von seiner verwahrlosten Dachgeschosswohnung hinab. Als ihn, aufgeweckt von dem dumpfen Gepolter, die Tochter seiner griechischen Nachbarn an der Tür beobachtet, lässt er von seinem Plan ab. Er schleppt den Plastiksack samt Inhalt wieder in sein Wohnzimmer, entkleidet die tote Hure und setzt – nachdem er eine Platte mit dem Schlager „Eine Träne geht auf Reisen“ aufgelegt hat – am Hals das Sägeblatt eines Fuchsschwanzes an. Einige Körperteile wird er schließlich wie Müll in einem Hinterhof in Hamburg-Altona abladen, andere in einem Hohlraum seiner Wohnung deponieren.
Schon diese mehrere Minuten dauernde Szene um Fritz Honkas ersten Mord im Jahre 1970 in den ersten Minuten von Der goldene Handschuh ist nahezu unerträglich. Aus dem Nichts-Regisseur Fatih Akin verfilmte den gleichnamigen, inzwischen zum Hamburger Kult gereiften Roman von Heinz Strunk – und trifft mit Bildern voller Schmutz im schlierigen Alkoholrausch und Szenen voll dumpfer Brutalität genau den Ton der literarischen Vorlage. Diese wiederum basiert auf den Morden des höchst realen Nachtwächters Fritz Honka, der zwischen 1970 und 1976 insgesamt vier Prostituierte erst mit Schnaps (Kornbrand) für Sex gefügig machen wollte und schließlich in seiner Wohnung im Stadtteil Ottensen tötete.
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Kleine Meisterstücke des Set-Designs
Akins düsterer Horrorthriller quillt nur so über vor Schauplätzen, die schon beim Anschauen unwillkürlich den Impuls auslösen, sich vor lauter Keimigkeit auf der Kino-Toilette schnell die Hände zu waschen. Sowohl Honkas siffige Wohnung mit vergilbten Postern nackter Frauen an den speckigen Wänden als auch das titelgebende Lokal, in dem dichter Zigarettenqualm und abgestandener Schweißgeruch sich wie ein klebriger Schleier auf die alkoholisierten Gäste aus der Halbwelt legen, die bei sentimentalen Schlagern aus der Jukebox weinend zusammenbrechen, wurden von Szenenbildner Tamo Kunz und Art Director Seth Turner 1:1 nachgebaut. Dieser Liebe zum ranzigen Detail steht die beeindruckende Performance vom durch Make Up arg verunstalteten Hauptdarsteller Jonas Dassler (Das schweigende Klassenzimmer) als plumper Serienkiller in nichts nach. Verhuscht in seinem Auftreten gegenüber Fremden, umso aufbrausender und triebgesteuerter gegenüber seinen abgefuckten weiblichen Eroberungen, die er gern auch mal mit Wiener Würsten penetriert, legt er den perversen Honka fast schon als schizophrene Persönlichkeit an, die gebückt und mit stark ausgeprägten sächsischem Akzent (Honka stammt tatsächlich aus Leipzig) mit lahmem Gang durch die Film schlurft.
Konzentration auf den Serienmörder-Handlungsstrang
Ein kleines Manko ist hingegen, dass sich Fatih Akin, der auch fürs Drehbuch verantwortlich zeichnete, nicht so richtig entscheiden konnte, wie er mit der umfangreich entwickelten Nebenhandlung um eine Großindustriellenfamilie im Niedergang aus Strunks Roman umgehen soll. Davon übrig geblieben sind drei kurze Episoden, in welchen der mit seiner Männlichkeit ringende, halbwüchsige Willy eine hübsche Schulkameradin mitnimmt auf den Kiez, wo Fritz Honka auf die Teenagerin aufmerksam wird. Ein kleiner Kritikpunkt an einem stimmigen Film: Der goldene Handschuh ist wie ein diesiger Alkoholrausch, der durch viele dumpf-brutale Szenen katerartige Schmerzen verursacht und damit verstört. Darüber hinaus ist die Heinz-Strunk-Adaption aber auch einfach handwerklich perfekt inszenierter Horrorkino. Und das hat wahrlich Seltenheitswert in der deutschen Filmlandschaft.