Es ist schwierig, zu sagen, die Geschichte des Erinnerungsortes Topf und Söhne in Erfurt ist eine Erfolgsgeschichte. Zumindest, wenn man diese Aussage nicht einordnet. Denn das Unternehmen J. A. Topf & Söhne hat mit seinen Krematorien in verschiedenen Konzentrationslagern wie Buchenwald und Auschwitz-Birkenau den Holocaust im Dritten Reich industrialisiert. Bewusst haben die Enkel des Unternehmensgründers, Ludwig Topf und Ernst-Wolfgang Topf, in Kauf genommen, dass sie mit ihren Öfen und der Lüftungstechnik für die Gaskammern in Auschwitz-Birkenau den Massenmord unterstützen. Allein die von der Firma installierte Verbrennungsanlage in Auschwitz-Birkenau hatte eine Kapazität von bis zu 8.000 Leichen pro Tag.
Topf & Söhne in Erfurt feiert zehn Jahre Gedenken
Im Schatten dieser Geschichte erscheint jegliche positive Einordnung der Firma unangemessen. Doch wenn ich hier von Erfolg spreche, verweise ich nicht auf das dunkle Kapitel der Firma aus Erfurt. Ich beziehe mich auf die knapp 15-jährige Aufarbeitungs- und Wissenschaftsgeschichte, die das ehemalige Firmengelände von Topf & Söhne heute zu einem Ort des Gedenkens, einen Ort der Bildung und einen Ort der Demokratie gemacht hat. Topf & Söhne steht natürlich noch immer für die Industrialisierung von Massenmord, doch die Perspektive hat sich verändert.
Ort zum Eintreten für die Menschlichkeit
Das moderne, wissenschaftlich und pädagogisch ausgearbeitete Gedenkstättenkonzept schafft es seit zehn Jahren, die Lesart des ehemaligen Firmenstandortes von Topf & Söhne als ein historischer Ort des Grauens um die Perspektive zu erweitern, dass gerade dieser Ort zum Eintreten für die Menschlichkeit in der Gegenwart auffordert.
Hürden bei der Gestaltung
„Topf & Söhne ist europaweit der einzige Ort, an dem in einem ehemaligen Industriebetrieb an die Mittäterschaft am Holocaust erinnert wird. Hier behält seit zehn Jahren nicht die Gräueltat das letzte Wort. Das Gedenken an die Opfer hat Einzug gehalten“, bringt es Annegret Schüle auf den Punkt. Die Kuratorin des Erinnerungsortes hat die Transformation des Ortes maßgeblich mit vorangetrieben – und hatte es damit nicht immer leicht: „Es ist nicht so einfach eine Gedenkstätte in einem Wohn- und Einkaufsgebiet zu konzipieren“, erinnert sich Schüle. „Auch den Stadtrat zu überzeugen, diesbezüglich die Initiative zu übernehmen, gestaltete sich hürdenreich.“
Beginn der wissenschaftlichen Aufarbeitung
Ein schneller Blick zurück. In der DDR wurde die Geschichte von Topf & Söhne totgeschwiegen. Erst als die Topf & Söhne-Erben Anfang der 1990er Jahre einen Antrag auf Rückübertragung des Nachfolgebetriebes Erfurter Mälzerei- und Speicherbau stellten, entfachte das eine Diskussion. Die Empörung reichte bis in den jüdischen Weltkongress. Ein Mitglied der Großfamilie, Hartmut Topf, machte sich infolge dessen dafür stark, einen Lernort zu etablieren. Hinzu kam die erste wissenschaftliche Aufarbeitung mit der Veröffentlichung „Die Krematorien von Auschwitz. Die Technik des Massenmords“ von Jean-Claude Pressac.
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Die Schuld an der industrialisierten Leichenverbrennung
Forderungen wurden laut, die Geschichte komplett aufzuarbeiten und einen Erinnerungsort zu entwickeln. Unter Leitung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora beauftragte man Annegret Schüle, die 2002 mit ihrer Forschung begann. „Das Schwierige dabei war, die Dimension des Handelns von Topf & Söhne aufzuzeigen“, sagt die Wissenschaftlerin, die tief in die Archive eintauchte und u.a. anhand eines Patentantrags die Schuld an der industrialisierten Leichenverbrennung nachwies. Die nachwies, dass Topf & Söhne wussten, was sie machten.
Ausstellungen sorgen für neue Sichtweisen
Das wissenschaftliche Werk „Industrie und Holocaust. Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“ lieferte den Grundstein zunächst für eine Wanderausstellung, die 2005 für starkes mediales Echo sorgte, und mündete letztendlich in das Fundament, auf dem die heutige Gedenkstätte fußt. Am 27. Januar 2011 war Eröffnung. Seit zehn Jahren versteht sich der Erinnerungsort Topf & Söhne nun als Lernort, der sensibilisiert: der an Geschichte erinnert, die Gegenwart gestaltet und die Zukunft denkt. Das thematische Angebot wurde erweitert, das pädagogische Programm entwickelt. Regelmäßige Sonderausstellungen sorgen für neue Sichtweisen.
Gedenken als Hebel zur Besinnung auf Grundwerte
Im Januar begeht der Erinnerungsort Topf & Söhne – wohlgemerkt noch immer unter der Leitung von Annegret Schüle – Jubiläum. Eine Vielzahl von Veranstaltungen und Aktionen sind geplant und sollen die Gedenkstätte in das nächste Jahrzehnt führen; ein Jahrzehnt, in dem nach wie vor aufgezeigt werden muss, „wo gruppenbezogener Hass hinführen kann; was passiert, wenn zwischen lebenswerten und unlebenswerten Menschen unterschieden wird“, so Schüle. „Gerade in Zeiten des wachsenden Rechtsextremismus, der Verrohung und der Beschädigung der Demokratie ist das Gedenken ein Hebel, um die Grundwerte unserer Gesellschaft aufzuzeigen und für Menschlichkeit einzutreten.“
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