Poesie kann alles sein! Julia Engelmann im Interview
Als Urknall ihrer Karriere bezeichnet sie ihren Auftritt beim „Bielefelder Hörsaalslam“. Anfang 2014 wurde das Video innerhalb von zwei Wochen rund fünf Millionen Mal auf youtube geklickt – bis heute rund zwölf Millionen Mal. Was sich daraus entwickelte, beschreibt Julia Engelmann als ihr kleines Wunder. Wir sprachen mit ihr über ihr Album und was sie bewegt.
Du kommst am 12. November zu uns nach Erfurt. Vor zwei Jahren warst du schon mal da – damals in der Alten Oper. Jetzt in der Messehalle, die ein ganzes Stück größer ist. Geht dir manchmal die Düse bezüglich des Wachstums deines Publikums?
Manchmal kann ich es nicht fassen. Ich fühl‘ mich wahnsinnig beschenkt, dass ich das als Beruf haben darf. Ich freue mich wahnsinnig und bin vor den Auftritten auch aufgeregt – aber eher so wie frisch verliebt.
Es ist ja nicht alltäglich, dass man sagen kann: ,,Ich bin Vollzeitpoetin.“ Wenn man als Kind sagt, dass man später mal Dichter werden will, wird man ja gern belächelt.
Richtig. Man bekommt eher gesagt: „Überleg noch mal weiter. Da ist sogar Prinzessin wahrscheinlicher!“
Denkst du darüber nach, was du machst, wenn das Interesse irgendwann mal wieder abebbt?
Ich habe einfach schon immer geschrieben. Ich kann mir mein Leben ohne nicht vorstellen. Aber ich habe gerade meine Liebe dazu entdeckt, auch Schreibworkshops zu geben und so Menschen den Weg zu ihrer eigenen Poesie zu eröffnen.
Momentan nehme ich mein Leben einfach Schritt für Schritt, weil es sich immer anders entwickelt hat als ich dachte, dass es würde. Ich bin voller Vertrauen, dass alles so richtig ist und ich meinen Platz finde.
Wie kommen dir die Ideen und wie hältst du sie fest?
Ich hab immer was zum Schreiben dabei. Ideen kommen nicht, wenn man 8 Uhr morgens am Schreibtisch sitzt. Sie kommen, wann sie wollen und ich nehme sie dann erstmal in den Pool auf. Jeder Gedanke kann eine Idee für einen
Text sein.
Hast du die dann schon vollständig im Kopf oder entstehen sie manchmal erstmal auf dem Papier und überraschen dich selbst?
Das kann auch passieren. Schreiben heißt für mich einfach, offen für Möglichkeiten sein. Je nachdem, wo die Intuition hingeht. Für mein neues Album habe ich ein Gedicht geschrieben. „Darf ich bitten?“ heißt das. Mit dem hatte ich gar nicht gerechnet. Ich habe ein Lied gehört, das hat mich total gepackt.
Es ging darum, auf eine Trennung zurückzublicken und zu denken „Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich vielleicht die letzte Stunde anders mit dir verbracht.“ Daraus ist ein ganzes
Gedicht geworden.
Dann inspiriert dich Musik?
Sehr! Ich liebe Musik! Ich teile auch eine Spotify-Playlist, sie heißt „Keine Ahnung, ob das Liebe ist“. Da kommt alles rein, was ich gerade aktuell zum Schreiben höre. Musik ist ein großer Teil meiner Kreativität. Mittlerweile nutzt du Musik ja nicht nur mehr als Input, sondern gibst sie auch als Output.
Wie kommst du zu den Melodien?
Ich habe auch für all meine Gedichte Moodboards. Wenn ich Musik dazu höre und weiß, das ist irgendwie eine Klangwelt, die sich richtig anfühlt. Angefangen hat es mit den beiden Liedern „Kleiner Walzer“ und „Grapefruit“, die ich allein geschrieben hab‘. Da kommt eine Melodie dann wie ein Gedanke – einfach so.
Helfen dir dann andere dabei, deine Lieder umzusetzen? Du hast ja nicht Musik studiert …
Das nicht, aber ich habe früher klassisch Musik gespielt – Chopin und so. Und kann daher gut mit Noten arbeiten.
Also wird man dich bei deinen Konzerten vielleicht spielen sehen?
Lasst euch überraschen! Vielleicht … Aber ich bin grundsätzlich ein großer Freund davon, Kompetenzen da aufzuteilen, wo andere was besser können. Ich bin leidenschaftlich in der Musik, aber nicht supergenau oder supergut in allem. Aber davon lasse ich mich nicht aufhalten. Ich habe zwei ganz tolle Musiker, die Instrumente besser bedienen können als ich. Denen überlasse ich da das Feld. Zusammen können wir den Liedern eine schöne Bühne geben.
Gibt es ein Thema, über das du nicht schreiben würdest? Politik zum Beispiel?
Nein, grundsätzlich gibt es da keine Grenzen. Das würde sich mit meiner Philosophie zum Thema Poesie kreuzen. Ein Text kann alles sein. Jeder sollte über das schreiben, was er mag. Für mich sind es oft psychologisch-philosophische Alltagsfragen.
Du hast ja das Talent, diese Themen auch verständlich rüberzubringen. Du verkomplizierst Dinge nicht. Wie gehst du mit Kritik diesbezüglich um?
Kritik gehört zum Leben dazu. Nicht jeder mag alles. Und jeder wird irgendwann kritisiert. Was mir hilft ist zu wissen, wer ich bin, was ich mag und was ich kann oder nicht kann. Darauf konzentriere ich mich und darauf, was sich richtig anfühlt und die Menschen in meinem nahen Umfeld sagen. Ich finde es toll, dass wir in einer Welt leben, in der man sich austauschen kann und mag es, wenn das wertschätzend und respektvoll passiert. Wenn mich etwas wurmt, dann ist das ja auch ein Wegweiser für mich. Wie ich mich damit fühle, sagt ja mehr über mich aus als über den anderen. Daraus kann man viel für sich lernen.
Gibt es für dich rückblickend Texte, die dir unangenehm sind? Als ob man – Stichwort Poesiealbum – selbiges nach Jahren noch einmal peinlich berührt liest?
Texte und Bilder sind Momentaufnahmen von mir und meinem Leben. Jeder Schritt, den ich gegangen bin, hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich jetzt bin. Ich schaue da wohlwollend und liebevoll darauf zurück.
Wie kann man an deinen Schreibworkshops teilnehmen?
Bis jetzt eher durch Zufall, weil ich das für Universitäten – zuletzt in Amerika – gemacht habe. Aber wenn mich jemand fragen würde „Wie schreibe ich gut?“, dann würde ich sagen: Hör‘ auf dein Gefühl. Auch wenn das klingt wie ein banaler
Metatipp. Das Schöne an Poesie ist, dass sie die einzigartige Weltanschauung von einem Menschen abbilden kann. Da gibt es kein richtig oder falsch. In den Workshops habe ich oft gemerkt, dass die Menschen denken, „das ist schlecht oder peinlich. Das kann ich doch nicht machen.“ Bei all den Sachen würde ich sagen: Doch! Poesie kann alles sein!
Ein schönes Schlusswort! Wir freuen uns auf dich Julia!
12. November | 20 Uhr
Messehalle Erfurt
Tickets: www.ticketshop-thueringen.de