Die Bühne ist ein Ort der Fiktion – und der Wahrheit gleichermaßen. Jena hat eine große Bühne, das Theaterhaus. Gleich dahinter jedoch ist das Theatercafé und dort ist eine kleine, improvisierte Bühne im hinteren Teil der Kneipe. Diese Bühne kann jedem und jeder gehören – wenn Open Mic des Formats „ProvinzComedy“ ist. Die Veranstaltungsreihe gibt es erst seit wenigen Monaten. Wer initiiert sie, und was zeichnet das Programm aus? Zu Besuch in einer Jenaer Küche: Sie trägt ein schwarzes Shirt mit bunter Babuschka-Puppe, er ein schwarzes Lederhalsband mit stacheligen Nieten: Janka Partisanka und Hylax sitzen beim Kaffee zusammen und sinnieren darüber, warum es gerade in Zeiten wie diesen so wichtig ist, dass Humor eine Bühne hat. Janka und Hylax heißen bürgerlich anders, ihre Künstlernamen aber passen gut zu ihren Bühnenidentitäten, in denen sich reale biografische Erfahrungen und humoristisch-fiktive Verdichtung mischen.
ProvinzComedy aus Jena
Hylax, Anfang 30, zeigt seine BDSM-Begeisterung offen in seinen Outfits und seine politisch linke Einstellung offen in seinen Worten – und zwar privat wie auf der Bühne. Die Kontextualisierung seiner, wie er sagt, „typischen Thüringer Jugend“ aber trägt dann literarische Züge: „Ich habe als kleiner depressiver Neonazi die Schule verlassen und bin sofort zur Bundeswehr. Vielleicht kann ich deswegen bis heute nur auf Befehl zum Orgasmus kommen!“
Janka muss lachen – obwohl sie diese Pointe sicher schon mehrmals auf der Bühne gehört hat. Die 40-Jährige, in deren Familienküche man sich trifft, ist Initiatorin der „ProvinzComedy“ und diejenige mit der meisten Bühnenerfahrung: von Cafés in Stavropol über Fernsehshows in Moskau, von Berliner Bühnen über Köln bis zu den Brettern ihrer Heimat. Die gebürtige Jenenserin lebte mit ihrem Mann und ihren drei Kindern zuletzt vier Jahre in Südrussland und arbeitete dort tagsüber an einer Universität über den Deutschen Akademischen Austauschdienst als Dozentin – abends probte sie ihre lustigen Texte auf südrussischen Kleinkunstbühnen. „Natürlich gibt es diesen Traum, irgendwann von meinen Auftritten als Comédienne leben zu können“, bekennt die promovierte Osteuropahistorikerin. Mit jedem Jahr läuft es besser. Ihr Programm ist sowohl auf Deutsch als auch auf Russisch konzipiert. Darin nimmt sie den Alltag einer deutsch-russische Familie und das Leben im flächenmäßig größten Land der Erde aufs Korn – nicht erst seit den vergangenen Monaten des russischen Krieges gegen die Ukraine sind regimekritische Töne bei dieser Thematik kaum zu überhören.
Zwischen Hochdeutsch und Ostthüringisch changierend
Neben Janka und Hylax treten beispielsweise noch Max, Susi und Boony auf. Sie leben nicht in Jena, sondern in Weimar und im Saale-Holzland-Kreis. Max hat nach zwei Jahren Pandemie seiner Ansicht nach ein paar Kilos zu viel auf den Rippen. Er verarbeitet in seinen Beiträgen sein alltägliches Scheitern als Mann Ü30 diese wieder loszuwerden in klassischen Wortspielen, zwischen Hochdeutsch und Ostthüringisch changierend – für das Publi kum der ProvinzComedy hat das jede Menge Identifikationspotenzial. Susi aus Weimar ist mit Anfang 20 die Jüngste. Sie ist überzeugte Feministin, was insofern kein Problem wäre, lebte sie schon in Berlin. Aber in der ostdeutschen Provinz? Pointenreiche Missverständnisse sind bei dieser Thematik vorprogrammiert. Boony wiederum adressiert mit Mitte 30 die Lebenswelt vieler Paare im Publikum, die sich nicht nur mühevoll mal einen Abend kindfrei organisieren konnten, um auszugehen, sondern sich auch die Frage stellen, wie sie – jeweils – mit Schwiegermüttern fertig werden sollen.
Erste Veranstaltungen im Jenaer Theatercafé
Da ein Auftritt beim Open Mic jeweils nur rund sieben Minuten dauern sollte, ist Abwechslung geboten. Und nachdem die ersten Veranstaltungen im Jenaer Theatercafé gut angenommen wurden, sind die ProvinzComedians nun auf weiteren Bühnen unterwegs: im Haus auf der Mauer im Jenaer Zentrum, in Emils Ecke in Jena-Lobeda oder im Mascha in Weimar. Auch in Naumburg stehen Abende auf dem Plan – weitere Gastspielorte wie Menschen, die auf der Bühne stehen wollen, werden dabei stets gesucht.
„Wer weiß“, sagt Janka, „vielleicht sind die, die heute zuhören und lachen, morgen diejenigen, die sich selbst ans Mikro trauen und das Publikum zum Lachen bringen.“ Dass gerade Existenzen jenseits gehypter Großstädte enorm facettenreich sein können und jede Menge komödiantisches Potenzial haben, das beweist das Format „ProvinzComedy“ dabei jedenfalls stets aufs Neue.
Hard Facts:
Nächste Termine:
- 5. Juli – Haus auf der Mauer in Jena: ProvinzComedy Experimente
- 13. Juli – Emils Ecke in Jena-Lobeda: ProvinzComedy OpenMic
- 17. Juli – Mascha in Weimar: ProvinzComedy OpenMic
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