Ich verwandle Holz in (schöne) Dinge. Was ist deine Superkraft?“ – So ist es auf dem T-Shirt des Erfurter Künstlers Benjamin Stuht – der sich dem DrechslerKunsthandwerk verschrieben hat – zu lesen. Drechseln. An was denkt man bei diesem Stichwort häufig als erstes? Schwibbögen? Erzgebirgische Räuchermännchen? Vermutlich etwas mit Tradition und einem Hauch von Nostalgie. Das Handwerk selbst ist tatsächlich traditionell. Benjamin Stuht verbindet diese Tradition jedoch mit moderner künstlerischer Intention. Fast täglich entstehen handgefertigte Unikate in seiner Werkstatt. Vor allem Schalen und Schmuck gehen dem 42-jährigen Künstler gut von der Hand.
Wer sind wir, ohne die Natur?
Dabei sollte man nicht auf die Idee kommen, dass er sich selbst als solcher etikettieren würde. Dafür ist er viel zu bescheiden. Die Beurteilung überließ er dem Verband bildender Künstler Thüringen e.V., dessen Mitglieder ihn im April dieses Jahres nach fünfjähriger Schaffensphase und nach einer eingehenden Prüfung in den schöpfenden Stand erhoben. „Sie müssen sich nicht erklären“, wurde ihm begleitend gesagt: „Ihre Werke sprechen für sich.“
Diese Bruchlinien riss die Pandemie
Das machen sie wahrlich, sie erzählen von den Ängsten und Komplikationen einer Gesellschaft. Sie erzählen es schweigend, weil eben diese Themen für sich oft totgeschwiegen werden. Gerade die Pandemie hat Bruchlinien verstärkt, die vorher zwar vorhanden, aber mit Belanglosigkeiten notdürftig gefüllt wurden. Mit losen Bekanntschaften oder Anschaffungen, die man im Grunde nicht benötigt. Diese Bruchlinien riss die Pandemie auf: Der Mensch mit seiner Angst vor Einsamkeit und der parallelen Angst vor echtem Kontakt. Seiner Sehnsucht nach Sicherheit und der gleichzeitigen Scheu vor Verbindlichkeit und Verantwortung. Und das zeigt sich im zwischenmenschlichen, als auch globalem Kontext. Benjamin Stuht drückt diese Thematiken in der Wahl seiner Werkstoffe, vor allem aber in der Gestaltung selbiger aus.
Häufig sind es Bäume
Das Holz für seine Kunstwerke bekommt er geschenkt. Häufig sind es Bäume, die gefällt werden mussten oder Restholz aus Primärproduktionen. Am liebsten sind ihm heimische Obsthölzer wie Kirsche oder Pflaume, aber auch Ulme, Walnuss und Kastanie landeten schon auf seiner Drechselbank. Holz als Werkstoff ist deshalb so interessant für ihn, weil es in seiner Unvollkommenheit perfekt ist.
Es hat Makel, Narben, berichtet von Unwettern und Dürreperioden. Es arbeitet auch dann noch weiter, wenn es längst von seinen Wurzeln gelöst ist und bleibt dadurch lebendig. Diese nicht planbare Veränderung verstärkt Benjamin durch selbst provozierte Risse und erzwungene Trocknung. Und statt Fehlstellen zu kaschieren, hebt er sie hervor – mit Kunstharz.
Liebe zur Natur
„Ich bin mir der Ironie dieser Kombination bewusst“, unterstreicht der Künstler. Gerade deshalb achte er besonders darauf, dass das von ihm genutzte Epoxydharz und die notwendigen Wachse regional hergestellt und lebensmittelecht sind. Doch nicht nur die werkstoffeigenen Beeinträchtigungen werden aufgewertet, auch seine Liebe zur Natur findet Ausdruck. Die Liebe zu ihr und die Sorge um sie. Und der unbändige Wunsch, sie in ihrer sich stets verändernden Schönheit zu konservieren.
Verschärfung der Müll-Problematik
Im Februar 2020 fanden erstmals Moos, tote Insekten und Blumen den Weg in seine Holzschalen. „Die Hummel fand ich auf meinem Fensterbrett. Ich wollte sie so erhalten, sie in der Sonne leuchten lassen. Als Symbol dafür, dass wir ohne die Natur nichts sind.“ Später folgte eine Schale mit eingeharzten Corona-Tests, die auch auf die Verschärfung der Müll-Problematik hinweisen sollte. Laut einer Schätzung fielen durch die Pandemie allein bis August 2021 in 193 Ländern rund 8,4 Millionen Tonnen mehr Plastikmüll an als sonst.
Aufkeimende Hoffnung
Die „Dornenserie“ wiederum zeigt den Prozess auf, sich mit einem neuartigen Virus zu arrangieren. Die nach außen gerichteten Dornen visualisieren die Angst des Menschen vor Verletzung und gleichzeitig seine Verletzlichkeit. In einer zweiten Schale ist eine zarte Pflanze integriert, die die aufkeimende Hoffnung symbolisiert, die mit neuen Erkenntnissen und der Forschung einher geht. Das dritte Werkstück impliziert die ausgleichende Gegensätzlichkeit, auf die die Harmonie der Welt beruht. Die nun nach innen gerichteten Dornen stehen für Schutz.
Das aktuellste Werk entstand in Kooperation mit dem renommierten Erfurter Künstler Michal Schmidt. Eine Schale aus Birkenholz, in deren Inneren sich malerisch die Schönheit des Baumes wiederfindet. Geschützt und konserviert durch Epoxydharz. Die Serie wird sukzessive ergänzt. Weitere von ihm geschätzte Künstler haben bereits Kooperationen angeregt. Etwas, dass Stuht als größte Wertschätzung begreift.
Der selbst Holzfiguren herstellt
Zum Drechseln kam der gelernte Gerüstbauer übrigens autodidaktisch. Inspiriert dazu habe ihn 2017 sein väterlicher Freund Ralf, der selbst Holzfiguren herstellt. Von ihm lernte er seine ersten Handgriffe. Von ihm bekam er seine erste Werkbank, die er in seinen kleinen Schuppen in Schwansee, ein Dorf nördlich von Erfurt, stellte. Dafür wich sogar sein bis dahin liebstes Hobby: sein Motorrad. In diesem kleinen Schuppen schafft Benjamin Stuht immer neue Kunstwerke. Mal als Auftragsarbeit, mal aus innerem Antrieb und kreativer Leidenschaft. Für ihn ist klar: Jedes Stück wartet auf seine zukünftige Besitzerin oder seinen zukünftigen Besitzer.