Wie der Phönix aus der Asche soll vom 17. bis zum 20. September das Schauspiel wieder in Erfurt erwachen. Beim ersten Phoenix-Festival schickt sich eine Gruppe junge Theatermacher:innen an, die Bühnen des KulturQuartiers und eben des bis dato ehemaligen Schauspielhauses wiederzubeleben. Vier Produktionen junger Künstler:innen, die vor Kurzem ihren Abschluss an deutschen Theaterhochschulen gemacht haben, werden unter dem Motto „ gezeigt. Ihre Stücke wurden in der Pandemie produziert, kamen aber nie zur Aufführung. Wir wollten mehr erfahren und haben deshalb Anica Happich, Initiatorin, Festivalleiterin sowie Schauspielerin, und Jakob Arnold, Initiator, Festivalleiter und Regisseur, zum Gespräch gebeten.
Gemeinsam initiiert ihr das Phoenix-Festival in Erfurt. Wie seid ihr zum Theater gekommen und Woher kennt ihr euch?
Anica: 2016 stand ich kurz vor meinem Abschluss an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. In diesem Jahr gründete sich der Verein „ensemble-netzwerk“:. Eine Bewegung von Theaterschaffenden, die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen an den öffentlich geförderten Theatern einsetzt. Bei einer Konferenz vom „ensemble-netzwerk“ hielt ich eine Rede, die sich mit der Situation der Theaterstudierenden auseinandersetzte. Es ging um die Frage, in welchem Zusammenhang die Theaterausbildung mit der prekären Arbeitsrealität von Kunstschaffenden steht. Gar kein so triviales Thema, wenn wir uns die Gagen und Arbeitsbedingungen an den Theatern und in der freien Szene anschauen.
Jakob: Fast gleichzeitig fand im Bielefelder Hinterland eine Art “Think Tank“ – Konferenz statt, die „Konferenz Konkret“. Auch hier wurde über Ideen zur Verbesserung der Arbeitsrealitäten an den Theatern nachgedacht, Ideen gesammelt und Pläne geschmiedet. Ich studierte damals an der Folkwang Universität der Künste Regie, aber mir war klar, dass bestimmte Dinge, die wir besprochen hatten, auch auf die Schauspielausbildung zutreffen. Anica und ich wurden vernetzt, haben erstmal kräftig gestritten und uns dann innig lieben gelernt. Wir haben dann das „junge ensemble-netzwerk” gegründet, um eine Austauschplattform für die Theaterstudierenden aufzubauen.
Ihr initiiert das Phoenix-Festival zusammen in Erfurt. Kommt ihr aus Thüringen?
Anica: Ich bin in Magdeburg geboren und aufgewachsen. Meine Familie kommt aus Berlin, Riesa und Magdeburg. Ich komme nicht aus Erfurt, aber ich kenne die Stadt und vor allem Thüringen von diversen Familienfeiern. Erfurt ist eine Stadt, in der ich mich sofort zu Hause fühlte. Wahrscheinlich liegt es an der gemeinsamen Wende- bzw. für mich Nachwendeerfahrung, die mich prägt. Ein Thema, das mich nachhaltig umtreibt – bis heute.
Jakob: Ich bin gebürtiger Oberfranke, kenne Erfurt nur aus Besuchen in Kindertagen … aber es ist toll, eine Stadt wie Erfurt auf diesem Wege zu entdecken. Mich beeindruckt vieles, was ich hier sehe und erlebe.
Habt ihr Vorerfahrung in Sachen Theaterfestivals?
Anica: Im Kontext der Theaterreformbewegungen haben wir diverse Konferenzen initiiert und konzipiert – die „Bundesweite Ensemble-Versammlung” zum Beispiel, die in Bonn, Potsdam, Bochum und Berlin stattgefunden hat, oder auch die „Konferenz der Theaterstudierenden”, die Jakob und ich initiiert haben und die bis heute jährlich stattfindet. Vielleicht ja auch bald in Erfurt.
Jakob: Ich selbst war mit meinen Inszenierungen schon auf diversen Festivals, aber eben immer auf der anderen Seite, auf der Seite der Eingeladenen. Mit der „Konferenz der Theaterstudierenden” habe ich verstanden, was hinter der Organisation einer mehrtägigen Konferenz oder jetzt dem Phoenix-Festival steckt. Es ist viel Verantwortung, die wir gerne tragen.
Anica: Ja, genau. Wenn das Festival für das Publikum locker und mühelos wirkt, dann haben wir alles richtig gemacht.
Ist das also euer erstes Festival, das ihr gemeinsam initiiert?
Anica: Jein. Irgendwie waren die Konferenzen auch Festivals, auch dort gab es künstlerische Momente und eine tolle Atmosphäre, wie man sie von Festivals kennt. Jakob: Wir waren über 20 Stunden auf den Beinen, haben wenig geschlafen, Tische und Stühle geräumt … Es ist jedoch das erste dezidierte Theaterfestival.
Nun hättet ihr das Festival überall auf die Beine stellen können. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, das Phoenix in Thüringen zu veranstalten?
Anica: Ich schiele schon seit zwei Jahren nach Erfurt. Bei meiner Recherche von verlassenen Kulturorten bin ich natürlich auf Erfurt gestoßen. Ich konnte es kaum glauben, dass Erfurt als einzige Landeshauptstadt in Deutschland kein eigenes Schauspielensemble hat. In meinem Netzwerk habe ich mit Kulturakteur:innen über Erfurt gesprochen und habe einige Menschen getroffen, die sogar noch im ehemaligen Schauspielhaus gearbeitet hatten. Die Geschichten haben mich fasziniert. Da wusste ich: Wenn ich mal ein Theaterfestival mache, dann muss es in Erfurt sein.
Jakob: Über Zufälle sind wir dann im Dezember 2020 auf das Projekt „KulturQuartier” gestoßen und waren sofort Feuer und Flamme. Uns war schnell klar, dass dieses Projekt etwas Einzigartiges ist. Eine verlassene Kulturimmobilie neu zu beleben, und das als genossenschaftliches Projekt, ist wirklich etwas ganz Außergewöhnliches. Und dann noch ein solch geschichtsträchtiger Ort wie das Schauspielhaus in Erfurt – uns war klar, wir wollen Teil dieses Projekts sein. Das muss man sich mal vorstellen. Da wird ein Kulturort von einer Genossenschaft gekauft und das in Zeiten der Pandemie. Was für ein Signal.
Anica: Wir kannten bisher nur die Geschichten von Schließungen und Fusionierungen. Insofern hat uns das Projekt „KulturQuartier“ und die Menschen, die das aus ehrenamtlicher Kraft betreiben, natürlich beeindruckt. Das hat doch Vorbildcharakter. Wer will da nicht dabei sein?
Wann seid ihr in die Planung eingestiegen?
Jakob: Wir sind im März diesen Jahres in die Planungen eingestiegen, also extrem spät. Normalerweise plant man ein Festival mindestens ein Jahr im Voraus. Und da natürlich vieles für uns „Neuland” war und ist, war es ein ziemlich sportlicher Ritt – Fördermittelanträge schreiben, ein Programm zusammenstellen, die Vernetzung mit den lokalen Akteur:innen, die Stadt kennenlernen, eine Website bauen und, und, und … Also ja, es ist schwierig, aber wir spüren in Erfurt, dass es einen großen Willen zur Veränderung gibt, eine positive Grundenergie, was kulturelle Projekte betrifft – kein Wunder, nach dieser pandemiebedingten Trockenperiode.
Anica: Ohne unser Team und die Kolleg:innen vom KulturQuartier wären wir auch nie so weit gekommen. Unsere Lernkurve dieses Jahr ist hoch. Im kommenden Jahr fangen wir ein bisschen früher an.
Wie entstand der Name „Phoenix“ und was möchtet ihr mit diesem Projekt konkret erreichen?
Jakob: Nun, der sprichwörtliche „Phoenix aus der Asche” ist natürlich ein sprachliches Klischee, aber in diesem Fall trifft es einfach wie die Faust aufs Auge. Das ehemalige Schauspielhaus ist Zeugnis einer traurigen Zerstörung – der Verfall eines traditionsreichen Kulturortes, der Abwicklung einer ganzen Kunstsparte, die für eine Stadtgesellschaft von Bedeutung war und ist. Das erfahren wir immer wieder, wenn wir mit Bürger:innen der Stadt über das KulturQuartier und die Geschichte dieses Ortes sprechen. Da haben wir die Asche.
Anica: In der Wandelhalle vom ehemaligen Schauspielhaus steht dieser Satz an der Wand: „Heute fehlt der Stadt ein entscheidendes Profil, nämlich das Schauspiel. Nicht nur als Haus.” Dieser Satz berührt unglaublich. Und ist für uns ein Spiegel, dass wir mit dem Theaterfestival Phoenix in Erfurt richtig sind.
Jakob: Und wir haben ja dieses ehrgeizige Ziel, das Schauspiel wieder in der Stadt zu etablieren; über das PhoenixFestival, irgendwann vielleicht auch über ein kontinuierliches Programm. Diesem Ziel wollten wir sprachlich Ausdruck verleihen.
Anica: Außerdem haben wir nach einem Begriff gesucht, dem auch etwas Künstlerisches und Magisches innewohnt – das macht doch Theater aus: die Kunst der Verführung.
Der Name ist also bereits sehr bedeutungsstark. Trotzdem habt ihr euch noch ein Motto gesucht. „Rise up from the pandemic” lautet es. Ihr wollt quasi aus der Pandemie auferstehen. Wie wird das funktionieren?
Anica: Das Motto ist mir dort gekommen, wo die meisten guten Ideen entstehen – beim Duschen. Ich kann das jedem nur empfehlen: Wenn es eine kreative Blockade gibt, dann geht duschen. Da hat man die besten Einfälle. Ich fand, dass der Appell „Rise up from the pandemic” eine Stimmung auffängt, die bei vielen Kulturschaffenden im Frühjahr da war, nach über einem Jahr Lockdown und Unsicherheit und Arbeitslosigkeit – es muss wieder losgehen. Es muss was passieren!
Jakob: Die Pandemie hat ja deutlich gezeigt, was alles fehlt, wenn die Menschen nicht mehr ins Kino, ins Theater oder ins Konzert gehen können. Das ist paradoxerweise eine riesige Chance: Nach Jahren der Einsparungen in den kommunalen Haushalten, ist die Bedeutung von Kultur und Kulturveranstaltungen so stark wie nie ins Bewusstsein gerückt. Wir hoffen, an diese Stimmung andocken zu können.
Vier Stücke und mehr. Könnt ihr uns etwas über das Programm erzählen?
Jakob: Das Motto „Rise up!” bezieht sich auch auf das Programm. Wir haben vier Produktionen junger Theaterkünstler:innen eingeladen, die gerade auf der Schwelle zum Berufsleben sind, ihre Arbeiten aber nicht zeigen konnten. Einige Produktionen haben bei uns ihre öffentliche Premiere. Schauspielerin Katharina Kurschat und ihr Team beschäftigen sich mit der bewegenden Geschichte von Ada Lovelace, einer Frau, die in der Geschichtsschreibung einer patriarchalen Gesellschaft untergegangen ist. Wir haben die Produktion nicht nur wegen der relevanten Thematik eingeladen, sondern auch wegen des experimentellen Konzepts, welches die Möglichkeiten des Digitalen nicht als Ersatzform, sondern als gestalterisches Mittel nutzt. Der Abend findet nämlich parallel analog und digital statt.
Anica: Nicolai Gonther beschäftigt sich in seiner kraftvollen Performance mit der wahren Geschichte des Mechanikers von Marvin Heemeyer, der mit einem Bulldozer gegen die Stadtverwaltung zu Felde zieht. Die PhysicalTheatre-Künstlerin Elina Ritzau und das Cuma Kollektiv hat ein ganz neues Format erfunden: ein „Physical-Theatre-Konzert“, das uns aus dem Sessel katapultiert hat. Und die Regisseurin Constanze Hörlin erzählt den Theaterklassiker „Reigen“ von Arthur Schnitzler mit nur einer Schauspielerin und einem Schauspieler auf witzige, zeitgemäße und ungewöhnliche Art. Da war uns sofort klar: Das müssen wir auch zeigen.
Jakob: Dazu experimentieren wir mit einer „Theater Vorband” – ähnlich wie wir es von Konzerten kennen. Die belgische Performerin Catherine Elsen und der Theatermusiker Franz Leander Klee geben vor jeder Produktion performative Einführungen und stimmen das Publikum auf den Abend ein.
Ihr kooperiert mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst aus Frankfurt am Main. Wie kam die Zusammenarbeit zustande?
Anica: Es geht uns hierbei darum, Sichtbarkeit zu erzeugen, Möglichkeiten des Sich-Zeigens. Wir wollen gemeinsam daran arbeiten, dass junge Künstler:innen ihr Verständnis von lebendigem, zukunftsgewandtem Theater präsentieren können. Da lag es für uns nahe, die guten Kontakte zu den Ausbildungsleiter:innen der Theaterhochschulen zu nutzen.
Jakob: Ich bin inzwischen selbst als Hochschuldozent tätig – da habe ich natürlich einen guten Draht zu Alumni und Studierenden, die tolle Produktionen machen, die dann aber zu schnell von der Bildfläche verschwinden – in Corona-Zeiten natürlich umso schneller. Aber die Arbeiten sind es wert, gezeigt zu werden.
Meint ihr, das Festival hat ein wichtige Rolle, wenn es um die Wiederöffnung des ehemaligen Schauspielhauses geht?
Jakob: Die engagierten Kolleg:innen vom KulturQuartier bieten bereits seit Jahren kulturelle Veranstaltungen und Festivals an, wie „Preview” oder „Mittendrin”. Anstatt in Zeiten der Pandemie den Kopf in den Sand zu stecken und klein zu planen, legt das KulturQuartier in diesem Jahr noch eine Schippe drauf – was ganz toll ist! Das KulturQuartier-Festival markiert in mehrfacher Hinsicht eine neue Zeit: Mit drei Wochen ist es so lang wie nie zu vor, es ist noch abwechslungsreicher.
Anica: Ich denke, dass wir mit dem Phoenix-Festival einen wunden Punkt treffen. Das Schauspiel kehrt dieses Jahr nach über 15 Jahren erstmals ins ehemalige Schauspielhaus zurück. Wir sind sehr glücklich, dass wir nach der pandemiebedingten Schließung das KulturQuartier mitgestalten und es damit um die Perspektive Schauspiel erweitern dürfen.
Das hört sich alles sehr vielversprechend an. Also wird das Phoenix-Festival auch in Zukunft bestehen?
Jakob: Es ist das Phoenix-Festival – also ja! Wir sind gerade am Anfang der Planungen für die nächste Festival-Ausgabe im kommenden Jahr. Dieses Mal legen wir etwas früher los.
Anica: Obwohl wir jetzt viel in Erfurt sind, sind wir ja letztlich Neulinge in der Stadt. Deshalb freuen wir uns, wenn alle kommen – egal ob sie was mit Theater anfangen können oder nicht. Was uns interessiert, ist die Meinung vom Publikum und der Stadtgesellschaft. Nur mit dem Feedback können wir im nächsten Jahr das Programm anbieten, was die Leute interessiert. Wir sind neugierig. Deshalb laden wir auch ein zum Gesprächsformat „Auf ein Bier mit …” ein. Kommt zum Festival und sprecht uns an!
Hard Facts
- Wo: KulturQuartier | Hopfengasse 3 | Erfurt
- Wann: 17. bis 20. September
- Programm: Neben den Stücken bietet das Programm in „Behind the Stage“ Einblicke hinter die Kulissen des KulturQuartiers , im Programmpunkt „Respekträume“ erwartet euch ein partizipatives Thesenspiel, und bei „Auf ein Bier mit …“ könnt ihr mit den Festivalmachern ins Gespräch kommen.
- Mehr Infos findest du hier.