Wenn Eröffnungen anstehen, kommt es nicht selten vor, dass zur Vordertür die ersten Gäste eingelassen werden, während durch den Hinterausgang die letzten Handwerker verschwinden. Als Anfang September die Zentralheize eröffnete, konnte man bei den Führungen viele „Ahhhs“ und „Ohhhs“ hören und das eine oder andere, „Ist das schon fertig oder wird hier noch gebaut?“. Mit viel Geduld und sichtlich spürbarem Stolz ob des Geschafften, wurden die Gäste durch das imposante Gebäudeensemble geführt und alle Fragen beantwortet, während in der Ecke der Maschinenhalle unbeirrt ein paar Besen in der Ecke standen und von den Vorbereitungen der Eröffnung zeugten.
Zentralheize Erfurt – der neue Kultur-Hotspot
Schon das Entree des markanten Gebäudes mit seinen großen Fenstern und Sichtachsen auf die Bar mit dem goldfarbenen Tresen – ein „Überbleibsel“ einer Ausstellung der Studierenden des Fachbereichs Architektur der FH Erfurt – ist ein Versprechen. Das Versprechen auf einen Ort, wie es ihn in Erfurt bisher nicht gab. Die Zentralheize macht vor, was auch andernorts in Erfurt geplant und in vielen anderen Städten längst etabliert ist. Es ist ein historischer Ort, der hinter der mit Patina überzogenen Fassade zu den modernsten Veranstaltungs- und Arbeitsflächen der Stadt gehört, der Geschichte atmet und nicht hypermodern und clean daherkommt. Was früher als Makel gewertet wurde, macht heute den Reiz aus. Der Reiz des Industriecharmes ist – endlich – in Erfurt angekommen.
Ein Zusammenschluss aus sieben befreundeten Machern – eine Investorengruppe um das IMK, hks I architekten und die 3R Projektentwicklung – hatte den Mut, das alte Heizwerk zu sanieren und in eine moderne Eventund Kulturfläche, aber auch in einen Arbeitsort für kreative Köpfe zu verwandeln. Einer von ihnen, Andreas Tröger, Geschäftsführer des IMK – Institut für angewandte Marketing- und Kommunikationsforschung – ist zugleich Geschäftsführer der Zentralheize. Das große Interesse der Erfurterinnen und Erfurter an der Zentralheize freut ihn. Überraschend ist es allerdings nicht, war das Industriegebiet Brühl mit dem Heizwerk doch etliche Jahrzehnte Arbeitsplatz für viele tausend Menschen der Stadt.
Metamorphose eines Stadtteils
Bevor das Brühl ein dicht bebautes Industriegebiet wurde, begann in diesem Areal das üppig grünende und blühende Gartenland der dereinst reichen und mächtigen Mittelaltermetropole. Seit dem 15. Jahrhundert befand sich dieser „Garten Erfurts“ innerhalb des äußeren Stadtmauerrings. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Erfurt zu einer Industriegroßstadt. Der Garten musste weichen. Vorreiter der Metallindustrie war die Königlich-Preußische Gewehrfabrik. Mit der vom Militär verwalteten Fabrik im Brühl rückte Erfurt zu den großen Rüstungsschmieden Deutschlands auf. Während des Ersten Weltkriegs waren hier bis zu 20.000 Arbeiter beschäftigt. 1945 wurde die Waffenherstellung eingestellt.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die nächste Wandlung. Der VEB (Volkseigene Betrieb) Optima Büromaschinenwerk stellte im Brühl mit großem Erfolg Schreibmaschinen her, ein wahrer Exportschlager der DDR. Der auf das 1937 gegründete Telefunken-Werk zurückgehende VEB Funkwerk Erfurt stieg gleichzeitig zum Stammbetrieb des Kombinats Mikroelektronik Erfurt auf. Für die zwischenzeitlich mehr als 10.000 Optimaner und Funkwerker gab es eine soziale Infrastruktur von Kantinen und Verkaufseinrichtungen bis hin zur Betriebspoliklinik. Das Erfurter Heizwerk kam in dieser Zeit zu seiner namensgebenden Bestimmung. Nach der Wende kam das Aus. Das Industrieviertel verfiel und die LEG – Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen – hatte die Aufgabe, das Areal in ein neues Stadtquartier zu wandeln. Initialzündung war 1999 die Grundsteinlegung für den Neubau eines Kulturortes – das Theater Erfurt. Wichtiger Bestandteil der Schlussetappe der städtebaulichen Neuentwicklung des Brühls bildet abermals ein Kulturort – die Zentralheize.
Die Lust am Bier scheint in der DNA der Erfurter verankert zu sein. Bereits im Mittelalter wurden unzählige Liter des Gebräus getrunken und damit indirekt der Waidhandel gefördert. Viele Jahrhunderte wurde in Erfurt Bier gebraut. 2010 war Schluss. Vorerst. Denn mit der Heimathafen Brauerei gibt es wieder Erfurter Bier. Fast hätte auch das Heizwerk eine Brauerei beheimatet. Im Jahr 2012 hat die IMK GmbH eine repräsentative Umfrage in Erfurt und Umgebung zum Thema Bier durchgeführt. Über 90 Prozent der Befragten gaben an, dass sie ein Erfurter Bier, das tatsächlich auch in Erfurt gebraut wird, bevorzugt kaufen und trinken würden. Die Idee einer Kleinbrauerei war geboren.
„Brauerei über Bord“
Aus der Idee wurde Stück für Stück ein Konzept, das bis 2016 so sehr an Kontur und Substanz gewann, dass sich besagte Investorengruppe 2017 erfolgreich bei der LEG um den Kauf und die Sanierung des Erfurter Heizwerkes bewarb. Der Kaufvertrag wurde 2018 unterzeichnet, dann konnte das Vorhaben beginnen. Pläne wurden weiterentwickelt, die Idee der Brauerei über Bord geworfen. Der Erweiterungsbau war, wie Andreas Tröger sagt, der Gamechanger zugunsten kultureller und Eventflächen. Kesselsaal, Maschinenhalle, Kohlebunker – die Namen der Veranstaltungsflächen der Zentralheize sind eine Reminiszenz an das alte Heizwerk. Mit 700, 400 und 250 Quadratmetern eröffnen sie zahlreiche Optionen für, wie es auf der Website heißt, „Konferenzen, Tagungen, Kongresse, Business Events, Gala- & Show-Events, Messen, Ausstellungen, Workshops, Kreativ Meetings, Incentives, Produktpräsentationen, Konzerte, Public Events, TV & Filmproduktionen, Fotoproduktionen“.
Bei der Sanierung des Heizwerkes standen der Erhalt des Bestehenden und die Integration der Materialität, der Farbigkeit und der Patina im Vordergrund. Die verbliebenen Überreste der zeittypischen Ausstattung wurden fast ausnahmslos in das Gestaltungskonzept integriert. Das verleiht der Zentralheize, in Verbindung mit dem Erweiterungsbau und der „gläsernen Fuge“, ihren ganz besonderen Charme.
Von Gastronomie bis Büroflächen
Der gesamte Bereich der Maschinenhalle ist multifunktional ausgelegt. Er beherbergt eine gastronomische Einrichtung mit Bar, die, je nach Nutzung der Zentralheize, öffentlich zugänglich ist. In den oberen Etagen befinden sich Büroflächen. Bei Großveranstaltungen dient die Halle als Empfangsbereich und Foyer. Der Kohlebunker, ein exklusiver Raum mit Panoramablick über die Stadt, ist noch im Bau. Beeindruckend ist der Zugang über einen neu errichteten Steg in luftiger Höhe zum Petersberg. Herzstück der Zentralheize ist der imposante Kesselsaal. Bis zu 1.000 Menschen sollten in dem 15 Meter hohen Saal Platz finden, an dessen Decke die ehemaligen Kohleschütten in den Raum ragen. Laut Andreas Tröger konnten diese Eventflächen nur realisiert werden, weil durch den Erweiterungsbau Platz für Büroflächen und Apartments geschaffen wurden.
Ein Kultur- und Kreativkraftwerk
Kein Euro an Fördermitteln sei in die Zentralheize geflossen, so Tröger. Nun, nach Fertigstellung, wolle man einen Beitrag zur Bereicherung des Kulturlebens in Erfurt leisten. Geplant ist ein Mix aus gewinnbringen Veranstaltungsformaten und identitätsstiftenden Kulturangeboten. Hierbei wolle man nicht in Konkurrenz zu bestehenden und sich gerade entwickelnden Kulturorten treten, vielmehr ginge es um Kooperationen und Synergien. Erfurt vertrage nicht nur mehr Kultur, sondern auch mehr überregionale Beachtung. Die Lage und Erreichbarkeit der Landeshauptstadt sind eine Komponente, die sich entwickelnde Kulturlandschaft eine weitere.
Im Zuge der Sanierung und Eröffnung war die Zentralheize auf der Suche nach Zeitzeugen. Mit einer Audioinstallation sollen diese Menschen gewürdigt werden und zu Wort kommen. Ein Film ist in Vorbereitung. Und im Frühjahr erscheint ein Coffee Table-Book. In der Zeit der Pandemie liegt die Hoffnung auf Öffnung und Umsatz auf der viel beachteten Ausstellung „The Mystery of Banksy – A Genius Mind“, welche am 27. Januar eröffnet. Tickets können bereits heute online erworben werden. Und nach Corona? Da wird es hoffentlich weiter gehen mit den bereits bestehenden Kooperationen mit den Thüringer Bachwochen, der Herbstlese, dem Tanztheater Erfurt, mit der Etablierung neuer Projekte mit weiteren lokalen Akteuren aber auch mit gänzlich neuen Formaten. Die Voraussetzungen sind gut, die Zentralheize ist Heimat zahlreicher kreativer Köpfe.
Hart Facts:
- Wo? Maximilian-Welsch-Straße 6, 99084 Erfurt
- Homepage: www.zentralheize.de
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