Geradlinig, puristisch und minimalistisch – das sind die Adjektive, die wohl am besten die Zeichnungen und grafischen Entwürfe von Jule Großmann beschreiben. Mit ruhiger Hand zeichnet sie ihre Linien. Linien, die im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut gehen. Denn Jule hat im Juni ihr erstes, eigenes Tattoo-Studio in Erfurt eröffnet. Unter dem Namen „Linienliebe-Tattoo“ will sie jetzt ihre Kunst auf der wohl kostbarsten Leinwand verewigen, die ein Mensch zu bieten hat.
Aber ganz im Gegenteil zu ihren Illustrationen ist der Lebensweg, den die 33-Jährige eingeschlagen hat, ganz und gar nicht geradlinig. Im Alter von 19 Jahren hat die gebürtige Saalfelderin das Haus ihrer Eltern verlassen, um in Augsburg Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte zu studieren. Der Grund: „Ich interessierte mich dafür und wollte das“, sagt Jule und gibt damit unvermittelt den Antrieb für alle ihre Entscheidungen Preis, denn die junge Frau hat sich entschieden ihre Träume zu leben – einfach, weil sie ein normales Leben nicht glücklich machen würde.
„Florales, Frauengesichter und Typografie – das gefällt mir am besten“
Glücklich macht sie das Zeichnen und das Schreiben – die Kunst. Mit ihrem Magister in der Tasche entschied sie sich, zurück in die Heimat zu kommen und sich ihrem Traum zu widmen. „Zunächst habe ich als freie Journalistin bei der Bild gearbeitet“, blickt Jule zurück. „Als Freelancer konnte ich mich meinen Zeichnungen widmen. Ich versuchte, meinen Stil zu finden“, sagt sie.
Ihre Lieblingsmotive kristallisierten schnell heraus. „Florales, Frauengesichter und Typografie – das gefällt mir am besten“, erklärt sie. Auch erste Erfolge ließen nicht lange auf sich warten: Für ein Magazin in Kanada zeichnete sie Sternzeichen, illustrierte E-Books für Schriftsteller aus San Francisco, entwarf Logos und Hochzeitseinladungen.
Erst mit 29 entschied sie sich für ein weiteres Tattoo
Doch wie ist Jule zum Tätowieren gekommen? „Als ich 15 war, wollte ich ein Zungenpiercing, aber Mama hat’s nicht erlaubt. Mit einem Tattoo war sie einverstanden“, blickt sie zurück. Erst mit 29 entschied sie sich für ein weiteres Tattoo. „Es hat seine Zeit gebraucht. Ich musste erst wissen, wer ich bin“, erklärt die Wahlerfurterin. Natürlich ließ sie sich, ihre eigenen Motive stechen. „Als der Tätowierer meine Zeichnungen sah, sagte er, dass ich doch auch Tätowiererin werden kann. Alle Voraussetzungen bringe ich ja mit.“
Getreu ihrem Motto: Tu das, was dich glücklich macht, besorgte sich Jule eine Tätowier-Maschine und legte los. „Ich hab mich einfach selbst tätowiert. Dann mussten Freunde und Familie herhalten“, sagt sie. „2017 machte ich ein Praktikum bei einem Erfurter Studio. Dort lernte ich das Handwerk, Vor- und Nachbereitung, Hygiene.“
„Es ist das Schönste, dass Menschen meine Werke auf der Haut haben wollen“
Wie es der Zufall wollte, kam sie vor kurzem über Freunde an einen Raum in der Nordhäuser Straße. „Ich hab ihn gesehen und es fühlte sich richtig an“, schwärmt Jule, die zugibt, dass das Leben als Freiberufler nicht immer einfach ist: „Manchmal ist es ein Kampf. Aber ein 9-to-5-Job wäre nichts für mich. Ich will meine Kunst realisieren und es ist das Schönste, zu sehen, dass Menschen meine Werke auf der Haut tragen wollen.“
Die junge Frau ist stolz, dass sich Menschen über ihre Tattoos freuen. „Man kann mit allem zu mir kommen. Natürlich muss es zu meinem Stil passen. Ich liebe einfach Linien, deshalb auch Linienliebe“, sagt Jule, die ihre Kunst lebt und – man mag es kaum glauben – sich alles autodidaktisch beigebracht hat: das Zeichnen, das Tätowieren und natürlich auch das Träume-Verwirklichen.