Akzeptiert werden, wie man ist. Das sollte in unserer freien, demokratischen Gesellschaft selbstverständlich sein. Wir alle sind Menschen und deshalb gebührt uns allen der gleiche Respekt. Es wäre so schön, wenn diese Regel von jedem und jeder so gelebt würde, doch dem ist leider nicht so. Gerade Menschen mit einen queeren Hintergrund, die nicht der heterosexuellen Geschlechternorm entsprechen, haben es noch immer nicht einfach. Besonders in Sachsen und Thüringen, die laut der Studie „Queeres Deutschland – Zwischen Wertschätzung und Vorbehalten“ der Change Centre Foundation bei mehreren Fragen das Schlusslicht in Sachen Diversity-Toleranz bilden und über 50 Prozent der Befragten regelrecht Unbehagen gegenüber LSBTIQ*-Menschen (lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, inter* und queer) verspüren, ist man noch weit von einer Vielfalt akzeptierenden Gesellschaft entfernt.
„Da werde ich angenommen, wie ich bin.“ – Queeres Zentrum Erfurt
Wie soll man da Abhilfe schaffen? Es kann klar konstatiert werden, dass uns Sachsen in diesem Thema weit voraus ist. Denn dort gibt es zum Beispiel in Leipzig und Dresden seit Jahrzehnten Angebote und Zentren, die sich aktiv für Diversity-Toleranz, LSBTIQ*-Aufklärung und Beratung einsetzen. Doch ganz verzagen müssen wir in Thüringen nicht, denn es scheint Licht am Ende des Tunnels. Am Dienstag, den 19. Oktober wurde in Erfurt das erste Queere Zentrum des Freistaates eröffnet. Somit ist ein wichtiger Schritt in Richtung Freiheit, Respekt, Vielfalt und Chancengleichheit getan, so Marina Schulz, die Koordination des Projektes, die das Konzept des Queeren Zentrums Erfurt wie folgt beschreibt: „Wir sind ein Ort für Bildung, Beratung und Begegnung. Wir wollen eine Anlaufstelle für alle LSBTIQ*-Menschen sein und alle Thüringer:innen, die sich für das Thema interessieren. Wir sind ein Ort, an dem alle sagen können: Da werde ich angenommen, wie ich bin.“*
Die Menschen können seit der Eröffnung vorbeikommen, sich via Mail, Telefon oder Social Media an das Team des Queeren Zentrums wenden. Die fünf Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, bestehend aus zwei Berater:innen, zwei Bildungsreferent:innen und natürlich Marina, haben stets ein offenes Ohr für alle Anliegen. Beratung, Bildung und Begegnung ist die Trinität der Arbeit in der Johannesstraße 52 und seit der Eröffnung des Zentrums ist klar: der Bedarf ist groß. „Wir hatten bis dato bereits 26 Einzelberatungen und fünf Veranstaltungen mit über 75 Teilnehmern. Dabei reicht das Spektrum der Besucher:innen von 12 bis 80 Jahren“, sagt Marina*. Besonders hoch ist die Zahl der Beratungen für Trans- und nicht binäre Personen. Bei diesen Gesprächen kämen immer wieder die Fragen auf, wie man sein Geschlecht angleichen, Namen ändern oder den rechtlichen Weg samt vorgeschriebener Therapie gehen kann. Viel Wissen werde benötigt, so die Koordinatorin, denn in Deutschland haben es trans Personen nach wie vor sehr schwer.
Queeres Zentrum füllt Lücke in Thüringen
Aber nicht nur LSBTIQ*-Menschen finden im Queeren Zentrum eine Anlaufstelle. Häufig kommen zudem indirekt Betroffene zur Beratung vorbei. „Auch Eltern haben Anteil am Outing-Prozess ihres Kindes. Sie fragen, was es bedeutet, nichtbinär oder trans zu sein. Sie wollen wissen, wie sie am besten damit umgehen, dass ihr Sohn jetzt zur Tochter wird oder umgekehrt“, schildert Marina. Zum Teil hätten Eltern und Betroffene lange Beratung in Thüringen gesucht, da fülle das Queere Zentrum ganz klar eine Lücke in Thüringen.
Workshops und vieles mehr
Neben dem umfangreichen Beratungsangebot investieren ein Referent und eine Referentin viel Zeit in thüringenweite Bildungsarbeit. Workshops, Peer-Beratungs-Ausbildung, Netzwerkarbeit und vieles mehr stehen auf der Tagesordnung. „Erst vor kurzem veranstalteten wir einen sehr gut besuchten Senior:innen Workshop, in dem wir über das Thema LSBTIQ* aufklärten“*, so Erwachsenenbildungsreferent Marcello Helwig, der immer auf der Suche nach guten Inhalten ist. Er und seine Kollegin organisieren selbst Workshops im Queeren Zentrum, aber Stellen die Räume auch anderen queeren Gruppen zur Verfügung, denn das Zentrum will nicht nur Veranstalter, sondern auch Raumgeber sein. „Und da kann ich mir viel vorstellen – von einer Ü-50-Männergruppe über queeren Elternstammtisch bis hin zur Schreibwerkstatt.
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Marcello ist bereits seit den ersten Tagen des Queeren Zentrums im Jahr 2018 dabei. Damals kam er mit Interessierten im Rahmen des CSD Erfurt zusammen, infolgedessen eine Forderung des Demonstrationstages in ein Konzept für das erste LSBTIQ*-Zentrum in Thüringen mündete. Viel Zeit ist seitdem vergangen und viele Gespräche wurden mit Politikern der Stadt Erfurt und des Landes Thüringen geführt. Im Juli 2021 konnte dann endlich die Arbeit beginnen, der Thüringer Haushalt für 2021 samt Förderung für den Projektantrag wurden durchgewunken.
Appell an die Politiker
Was sich nunmehr nach einer rosigen Zukunft anhört, steht jedoch kurze Zeit nach der Eröffnung erneut auf tönernen Füßen. Der Haushaltsentwurf für das kommende Jahr sieht eine Kürzung des Topfes „Maßnahmen im Themenbereich Antidiskriminierung“ der Thüringer Staatskanzlei, aus dem das Queere Zentrum schöpft, um 200.000 Euro vor. „Wir wissen nicht, welche Stellen wir für das kommende Jahr einplanen können. Unser Träger ‚Queerweg‘ ist ein kleiner Verein. Er kann nicht in Vorleistung gehen und Gehälter sowie Miete zahlen“, erklärt Marina und appelliert gleichzeitig an die Kommunal- und Landespolitikerinnen: „Nach drei Jahren harter Arbeit wäre es eine Schande, wenn das Erreichte plötzlich wieder verloren ginge. Die hohe Nachfrage zeigt, der Bedarf ist da und die dankbaren Besucher:innen und Nutzer:innen unseres Zentrums beweisen, das Thüringen nicht wieder ein weißer Fleck auf der Landkarte der Queeren Zentren in Deutschland werden darf.“
Hart facts:
- Wo: Johannesstraße 52 | Eingang Waldenstraße
- E-Mail: info@queeres-zentrum-erfurt.de
- Homepage
- Telefon: (0361) 213 468 40