Während ihr diese Zeilen lest, ist der Erfurter Kabarettist Dominique Wand bereits verschwunden. Destination: Norwegen. Genauer: Sollia. Eine Gemeinde irgendwo in der Mitte zwischen Oslo und Trondheim. Auf einer Alm, wo der 46-Jährige voraussichtlich bis 29. September Fuchs und Hase gute Nacht sagen wird – nicht zu vergessen den Ziegen, die Dominique für etwa fünf Monate hüten wird.
Erfurter Kabarettist Dominique auf der Alm
Wir trafen den Erfurter Kabarettisten bereits Ende April. Bei Sonnenschein. In einem Hinterhofgarten mitten in der Großstadt, wo Dominique mit seinen Kollegen vom Kabarett „Die Arche“ die Seele baumeln lässt – soweit das in diesen Zeiten möglich ist, denn die Theater-Schauspieler gehen seit über einem Jahr auf dem Zahnfleisch. Corona hat Kabarett unmöglich gemacht. Einnahmen gleich null. Da verwundert es wenig, dass Dominique die Decke auf den Kopf fällt, er seine Sachen packt und das hiesigen Kulturkoma hinter sich lässt. Und das nicht zum ersten Mal. Bereits im vergangenen Jahr zog es den Kabarettisten in die Natur. Raus aus dem Großstatt-Einerlei. Ab in die unberührten Berge. Nach ganz oben.
Wie kamst du darauf, aus dem Pandemie-Trott zu fliehen
Letzten Sommer stellte ich recht früh fest, dass ich in meinem Job erstmal nicht weiterarbeiten kann. Als Soloselbständiger gab´s dann auch kein Geld. Das Hauptproblem war aber: Ich brauchte etwas zu tun. Also fing ich an, nach Jobs zu suchen. In den üblichen Gewerken wie der Gastronomie ging das nicht – war ja alles zu. Dann schaute ich, ob es vielleicht irgendwie im Norden, an der Ostsee oder Nordsee etwas gibt. Fehlanzeige.
Lange Rede kurzer Sinn – ich weitete die Suche immer mehr auf den deutschsprachigen Raum aus. Dann kam ich nach Österreich, zu den ersten Almen, zu denen ich überhaupt keinen Bezug hatte. Das waren riesengroße Gasthäuser mit 400 Plätzen – da hätte ich nur die Biergläser abgeräumt. Dann kam ich über Bekannte und Freunde in die Schweiz. Die haben mir eine Seite empfohlen, die heißt „zalp.ch“ auf der Albstellen angeboten werden. In der Schweiz gibt es über 7000 Almen, die Hilfskräfte suchen, so wie wir in Deutschland Spargelstecher:innen. Ich schaute mit ein paar Almen an und drei kamen in die engere Wahl. Eine ist es dann geworden.
Wann war das genau?
Das war Anfang August letzten Jahres.
Wie lang warst du dann wo genau?
Ich habe sofort meine Sachen gepackt, mir ein Zugticket gekauft und bin nach Engelberg in die Schweiz gefahren. Auf der Zugfahrt wurde mir klar, dass ich panische Höhenangst habe, noch nicht mal auf einen Kirchturm steigen kann und dass es eine völlig absurde Idee ist. Auch kannte ich meine Aufgaben und die Leute noch nicht. Aber ich dachte dann, „Sch*** drauf, komm mach jetzt!“
Die Alm lag auf etwa 2000 Metern Höhe. Ich kam nachmittags 14 Uhr an und um 18 Uhr habe ich schon meine ersten Ziegen gemolken. Da bin ich vier Wochen geblieben und arbeitete sieben Tage die Woche, á 14 Stunden. Ich bin morgens um fünf aufgestanden, habe halb sechs angefangen zu arbeiten. Fing an Ziegen zu melken, Ziegen auszustallen und den Stall sauber zu machen. Dann musste ich nochmal 1000 Meter auf den nächsten Berg, den sogenannten „Bocki“, da standen nämlich knapp 500 Schafe, die gesalzt werden mussten.
Ich schleppte große Säcke Salz da oben rum, das auf die Steine gekippt wird, weil die Schafe die Mineralien in der freien Natur nicht mehr finden. Dann bin ich wieder runtergestiegen und fuhr die Milch vom Abend und vom Morgen mit einem Kettenfahrzeug zur Seilbahn. Die kam dann runter ins Tal zur Käserei. Abends, zwischen fünf und halb sechs, kamen dann die Ziegen von allein zurück zur Alm. Die wurden dann einzeln eingestallt, nochmals gemolken und das Melkgeschirr sauber gemacht. Dann war es meistens so acht oder halb neun, ich bin einfach nur noch duschen gegangen und tot ins Bett gefallen.
Wie war diese erste Alm-Erfahrung für dich?
Unfassbar schön und sehr kontemplativ. Ich kam ohne die vielen Einflüsse von außen sehr zu mir selbst. Zwar hatte ich Internet, aber keine Zeit dafür. Wäre ein europäischer Krieg ausgebrochen, hätte ich nichts davon mitbekommen. Kein Fernsehen, Strom nur so viel, dass man ein Handy aufladen konnte. Ich bin im Prinzip mit der Sonne aufgestanden und mit ihr schlafen gegangen. Zwischenzeitlich hatte ich immer was zu tun, war nur an der frischen Luft und war einer enormen körperlichen Anstrengung ausgesetzt. Ich hatte danach kein Gramm Fett mehr an meinem Körper und Waden, die dicker als meine Oberschenkel waren. Ich aß den ganzen Tag, weil ich so viele Kalorien verbrauchte und war komplett bei mir. Auch dieses Gedankenkreisen, dass man nach einem stressigen Arbeitstag abends mal hat, gab´s einfach nicht.
Wie war die Zeit zwischen dem Wiederankommen, dem Pandemieleben hier, bis zu der Entscheidung, dass es jetzt nach Norwegen geht?
Ich habe mich aufs Wiederankommen gefreut, habe mich gefreut, meine ganzen Leute wiederzusehen. Dann durfte ich auch noch dreimal im Kabarett arbeiten – das waren drei unglaublich geile Auftritte. Das „richtige“ Ankommen war aber grausam. Ich bin mit dem Zug von Engelberg nach Erfurt über Mannheim zurück, wo ich zwei Stunden Aufenthalt hatte, aus dem Zug gepurzelt bin und hätte losheulen können. Zuerst fiel mir der Gestank auf – die Luft war grauenhaft. Ich überlegte mir, was stinkt denn hier so: sind das die Leute, das Bratfett, die Autos? Dann war ich extrem misanthropisch, habe mich in eine Ecke auf dem Bahnsteig verkrochen und auf meinen Zug gewartet. Ich bin dann erstmal in ein tiefes Loch gefallen. Es war Herbst. Mir wurde klar, es ist immer noch Corona und ich kann immer noch nicht arbeiten. Ich habe zwei, drei Wochen gebraucht, bis ich hier wieder angekommen bin.
Wie ging es dann weiter?
Ich bin wieder auf die Internetseite gegangen und fing an, nach Almen zu suchen, kam aber schnell zur Erkenntnis, dass ich nicht der einzige Dude war, der auf die Idee kam, in die Schweiz zu gehen. Ich telefonierte dann Almen ab. Die machten mir aber klar, dass sie unglaublichen Andrang haben. Dann schaute ich weiter und plötzlich tauchte auf der Website eine Alm auf, bei der ich dachte: „Da passt doch der Name nicht, das ist doch kein Schweizerdeutsch.“ Ich schaute mir die Fakten an und dachte: „Woa, die liegt in Norwegen. Krass.“
Na klar, Norwegen hat auch Berge, da muss es auch Ziegen geben. Dann kontaktierte ich die Alm und schrieb ein wenig mit der Besitzerin hin und her. Sie konnte witzigerweise deutsch, da sie Deutsche ist und einen Norweger heiratete. Sie sagte mir, dass sie dringend jemanden braucht, da ihre Nachbarn auch eine Alm haben und sie sich eine Käserei teilen. Wir telefonierten, verhandelten übers Geld und dann hat sie mir den Arbeitsvertrag zugeschickt.
Wann war der erste Kontakt und wann gab‘s den Zuschlag?
Ich habe sie das erste Mal Ende Februar erreicht, da war sie noch sehr skeptisch, weil sie auch nicht wusste, wie es mit Corona weitergeht. Außerdem hatte ich auch nur vier Wochen Erfahrung. Dann sind wir uns am Telefon aber mit der Zeit sehr sympathisch geworden, haben viel gelacht und rumgealbert. Mittlerweile machen sie sich Sorgen, ob ich es mir nicht vielleicht doch anders überlegt habe. Jetzt sind sie richtig scharf drauf, dass ich komme. Die endgültige Entscheidung viel Ende März.
Weißt du schon, was dich erwartet? Wird es das Gleiche, wie in der Schweiz sein?
Ich werde flexibler eingesetzt. Ich werde die Ziegen hüten, wenn das so ähnlich wie in der Schweiz läuft, dann entlasse ich sie morgens dem Gelände und stalle sie abends wieder ein. Da es in Norwegen auch eine Käserei gibt, werde ich dort ebenfalls aushelfen. Im Tal besitzen sie einen eigenen Bauernhof, da wird’s bestimmt noch eine Menge zu tun geben. Ich werden viel zäunen müssen, weil die Tiere immer wieder neue Weideflächen erschließen. Ich muss dann Zäune abbauen, woanders wieder aufbauen und die Tiere zügeln, also sie von der einen Stelle zur Nächsten bringen.
Ist es der Job auf der Alm ein Ausweg, ja sogar eine Rettung für dich?
Absolut, es ist ein Ziel. Es ist super wichtig ein Ziel zu haben, zu wissen worauf man zusteuert. Ich habe also eine Alternative, wie ich diesen höchstwahrscheinlich zweiten beschissenen Sommer umgehen kann. Zudem befinde ich mich in einem völlig wahnsinnigen Zustand. Ich habe meinen Kollegen im Kabarett angeboten, dass ich noch ein Stück mitarbeite, damit diese gegebenenfalls im Juni oder Juli etwas Neues spielen können. Es ist absolut schizophren mit Hochdruck und Vollgas, jeden Tag auf etwas hinzuarbeiten, dass man nicht miterleben wird. Kurz vor der Premiere werde ich aussteigen und das Baby loslassen. Das ist schwierig für mich.
Wie ist die Perspektive im Kabarett?
Die Perspektive ist ungewiss. Das Kabarett ist geschlossen.
Könntet ihr irgendwo draußen auftreten? Habt ihr da eine Spielstätte?
Nein, haben wir nicht. Durch die BUGA sind auch alle Spielstätten schon lange vergeben. Zudem ist die Situation, mit den Infektionszahlen recht schwierig. Ich merke, dass meine Kollegen auf eine ganz liebe, süße Art neidisch sind, weil ich weiß, dass was kommt. Was Neues, was Spannendes worauf ich mich freuen kann. Für mich ist es aber auch eine unglaubliche Prüfung. Das letzte Mal war ich vier Wochen weg. Vier Wochen vergehen schnell. Von Engelberg nach Erfurt ist man mit dem Zug sieben Stunden unterwegs. Jetzt habe ich eine zwei bis drei Tagesreise vor mir, bis ich überhaupt erstmal dort bin. Dann stehen mir sechs Monate mit mir allein bevor, im absoluten Nirgendwo. Ich bin auf diese Herausforderung sehr gespannt. Ob ich das durchhalte? Ich denke schon, denn ich möchte am Ende des Sommers in den Spiegel schauen können und sagen: „Alter, du hast Eier, du hast es durchgezogen!“ Ich möchte es mir beweisen.
Hoffst du, dass wenn du zurückkommst, alles gut ist?
Mir ist klar geworden, dass man nur Dinge beeinflussen soll, die du beeinflussen kannst. Natürlich habe ich die Hoffnung, dass dann alles gut ist. Doch das Leben ist nicht planbar und man hat fast nichts unter Kontrolle. Diese Erkenntnis durch Corona und den vier Wochen in der Schweiz erlangt zu haben, ist unglaublich befreiend. Diesen verkrampften Gedanken immer alles regeln zu müssen. Am Arsch. Lass es einfach auf dich zukommen. Finde deinen inneren Frieden. Schau, wo die Reise hingeht.
Also bist du nicht sauer auf die Situation? Die ganzen Einschränkungen?
Wir sind alle bereitwillig in diesen Lockdown gegangen. Es war uns klar, dass was gemacht werden muss. Das Land hat wirklich geholfen, jedenfalls am Anfang. Ich hatte das große Privileg und Glück, die Coronahilfe zu bekommen. Zwei Wochen später haben meine Kollegen im Haus diese schon nicht mehr erhalten, da das Land die Regeln änderte. Was für uns schwer zu verstehen ist, da wir mit einem rational nachvollziehbaren Berufsverbot belegt wurden und trotzdem nicht monatlich unterstützt werden. Das viertreichste Land der Welt müsste eigentlich in der Lage sein, uns zu unterstützen, damit wir weiterleben können. Was jetzt an Kunst und Kultur kaputt geht, wird nicht mehr wiederkommen. Gastro eher, da wird es immer Dudes geben, die eine Kneipe aufmachen. Kultur ist aber ein zartes Pflänzchen. Wenn so etwas kaputt geht, dann ist es unwiederbringlich kaputt.
Da bin ich mit der Bundesregierung am Hadern, weil es nicht zu verstehen ist, dass wir nicht 25 Leute ins Kabarett lassen dürfen, aber bei Zalando 1000 bis 1500 Leute jeden Tag ein und aus gehen. So läuft das in ganz vielen Wirtschaftszweigen. Airlines fliegen wieder, VW produziert wieder und denen passiert nichts. Im Gegenteil, die bekommen noch Milliarden über Milliarden an Zuschüssen. Die Bahn hat jetzt beschlossen, dass es total wichtig sei, dem Vorstand den Boni auszuzahlen, obwohl die auch mit Milliarden gestützt werden.
Die ganzen kleinen Soloselbstständigen, die ihr Leben schon selbst in die Hand genommen haben, lässt man jetzt verrecken. Das ist hart. Unsere Branche, wir kommen uns unsichtbar vor, wie als sähe man uns nicht. Man redet auch nicht mehr über uns, wir tauchen nicht mehr in den Medien auf. Wenn doch mal, dann wird gesagt, dass wir seit einigen Monaten im Lockdown sind – Nein, seit über einem Jahr sind wir im Lockdown! Ich bekam mein letztes reguläres Gehalt im März 2020, seitdem versuche ich mich irgendwie über Wasser zu halten. Ich habe meine gesamte Altersvorsorge aufgebraucht – über 30.000 Euro. Einfach weg.
Bringst du aus dieser Zeit eine Erfahrung mit, die uns alle helfen würde?
Werdet gelassener, werdet ruhiger. Das einzige Recht, das jeder hat, ist ein glückliches Leben zu führen. Das darf aber niemals auf Kosten anderer passieren. Wenn ich jetzt höre, wir wollen wieder reisen und dass es so wird wie vorher, dann kann ich nur sagen: Denkt nach! Das „Vorher“ hat uns genau hier hingebracht, wo wir jetzt mit Corona stehen. Jetzt nach einem wie Vorher zu brüllen wäre das Dümmste, was wir machen können. Bleibt locker und entspannt. Lehnt euch mal zurück und macht die Augen zu und genießt das, was ihr habt.