Der Weg führt durch die Tälerdörfer in Ostthüringen: Dichte Wälder, grüne Hügelwiesen, bunte Fachwerkhäuser, ein kleiner Fluss. Auf der Straße plötzlich: Ein großer Rabe. Er hat eine Walnuss im Mund und überquert damit die Straße. Hüpfend. Wenige Minuten später, in Renthendorf, wird einem noch so ein schlauer schwarzer Vogel begegnen. Renthendorf ist eines der malerischen Tälerdörfer an der Roda, rund 15 Kilometer südöstlich von Stadtroda, 15 Kilometer nordöstlich von Neustadt an der Orla. Ein recht abgelegenes Fleckchen Erde. Aber Renthendorf hat eine große Dorfkirche, ein Pfarrhaus und wenige Meter neben dem Ensemble ein rotes Backsteingebäude, das sichtbar neu saniert ist: Das Museum „Brehms Welt“. In diesem Haus lebte ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Familie des Zoologen, Abenteurers und Buchautors Alfred Brehm, dessen Vater der Dorfpfarrer und passionierte Ornithologe Christian Ludwig Brehm war. Beider großes Verdienst: Ein neuer Blick auf die Tiere. Nicht als der hochintelligenten Spezies Mensch unterlegene Kreaturen, sondern als Faszinosum weitreichender Forschung.
Brehms Welt: Ein neuer Blick auf Tiere
Schon zu DDR-Zeiten und danach war das Haus Museum. Zwischen 2012 und 2020 indes war es acht Jahre lang für Besucherinnen und Besucher geschlossen. Es wurde grundlegend saniert und dann, leider mitten in der Pandemie, neu eröffnet nicht nur mit freigelegten Originalfußböden oder handgedruckten Tapeten, sondern auch mit einem neuen, kulturwissenschaftlich zeitgemäßem und zugleich für neugierige Kinder adäquatem museumspädagogischem Anspruch. Und mit einem echten Rabenvogel, dessen Blick sich gleich im ersten Raum mit dem eines echten Wolfes trifft.
Kommunikation untereinander
Wolf und Rabe in Brehms Stube sind perfekt präpariert, sie wurden vom Phyletischen Museum der Universität Jena zur Verfügung gestellt. Ihr Blickkontakt wirkt beinahe lebendig. „Weiß jemand, warum sie sich ansehen? Was hat Brehm für eine wichtige Entdeckung gemacht?“, fragt Inke Pickhardt, wissenschaftliche Volontärin am Brehm Haus zu Beginn ihrer Führung. Zwei Zehnjährige wissen es: Rabe und Wolf kommunizieren. Der Rabe erspäht Beute aus der Luft, lotst das Raubtier hin und bekommt seinen Anteil. Tiere sind also mitnichten primitiv. Sie sind hochintelligent.
Affen als Haustiere
Überhaupt, dieses komische Wort: primitiv. Im nächsten Museumsraum, dem originalgetreu restaurierten Wohnzimmer der Familie, liegt das Präparat einer getigerten Hauskatze täuschend echt neben dem Kachelofen. Auf dem tannengrünen Biedermeiersofa aber hockt noch ein anderes Haustier: ein Pavian! Alfred Brehm hielt sich, zu Studienzwecken, tatsächlich Affen als Haustiere. Das wirft ethische Fragen auf – die sowohl die modern formulierten Beschriftungstafeln als auch die Museumspädagogin diskutieren.
Die Vögel vergangener Fauna?
Überhaupt ist das Museum mitnichten ein Ort der Huldigung der dort einst lebenden prominenten Forscher. Immer wieder werden geschickt Bezüge zu aktuellen Fragen im Umgang mit Tieren eingestreut: Welche der Vögel, die Christian Ludwig Brehm mit Leim und Käfigen in den Thüringer Wäldern gefangen, präpariert und erforscht hat, existieren eigentlich noch in der lokalen Fauna? Und welche sind kaum 150 Jahre später bereits ausgestorben? Und wenn man Vögel und Säugetiere liebt, ist es dann okay, sie zu züchten und zu essen?
Die erste Etage des Hauses
Die erste Etage des Hauses ist dem berühmten Sohn Alfred Brehm gewidmet. Als 18-jähriger, der zunächst Architektur studieren wollte, geht er durch Vermittlung seines Vaters auf seine erste große, mehrjährige zoologische Expedition – erst zu Fuß von Renthendorf nach Altenburg, dann auf verschiedenen Reisewegen bis nach Abessinien. Die Räume zeichnen seine Forschungsreisen, seine spätere Tätigkeit als Zoodirektor in Hamburg und Berlin sowie seinen Erfolg als Autor von „Brehms Tierleben“ nach. Hier setzt das Museum stärker auf audiovisuelle Reize und auf Brehm selbst, der als erzählender Hausgeist in einer Spiegelprojektion aus seinem aufregenden Leben berichtet.
Die Trübung von Ideologien
Gleichwohl bleibt die Haltung kritisch, denn bei aller Modernität, die Brehms Blick auf Tiere auszeichnete: Was er über afrikanische oder ostasiatische Völker in den gut Gleichwohl bleibt die Haltung kritisch, denn bei aller Modernität, die Brehms Blick auf Tiere auszeichnete: Was er über afrikanische oder ostasiatische Völker in den guterhaltenen Tagebüchern schreibt, ist getrübt vom Rassismus und Sozialdarwinismus vieler elitärer Europäer – und Europäerinnen – seiner Zeit.
Die Erhaltung des Erbes
Beide Brehms sind wichtige Forscherpersönlichkeiten, aber wir wollen sowohl ihre Arbeit, als auch ihre Weltansichten so differenziert wie möglich darstellen“, betont Pickhardt. Dieser Anspruch unterscheidet das Museum lobenswert von vielen regionalen Einrichtungen. Es ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch den Mitteln zu verdanken, die der Ort in den vergangenen Jahren erhalten hat. So konnte hier ein wissenschaftsgeschichtliches Erbe nicht nur architektonisch, sondern eben auch biografisch saniert werden. Es ist in jedem Falle ein Ort, dem man viele Besucherinnen und Besucher gerade nach den holprigen Öffnungszeiten unter der Pandemie wünscht.
die Vergrößerung von Brehms Welt
Aus dem Fenster im ersten Stock blickt man auf eine große Wiese hinter dem Haus. Dort werden bald Bagger anrücken: Brehms Welt wird vergrößert und der Biedermeierbau um eine moderne kleine Bibliothek ergänzt, damit auch die Brehm-Bibliothek wieder an Ort und Stelle untergebracht werden kann. Im letzten Ausstellungsraum befindet sich schon so etwas wie eine kleine Bibliothek: In einem alten Bücherschrank sind sämtliche Ausgaben des populären, wenig forschungsnahen Hauptwerkes von Alfred Brehm zu finden. „Brehms Tierleben“ verkaufte sich über viele Jahr-zehnte hervorragend, prägte das Bild exotischer Tiere in deutschen Wohnzimmern.
Ein Geschenk für die kleinen
Die beiden Zehnjährigen sind ganz begeistert von dem Schrank. Nicht unbedingt, weil sie sich sofort in Bücher vertieften, sondern weil Inke Pickhardt für Kinder darin ein Geschenk bereithält: Jedes darf sich eine große Postkarte mit Illustrationen einzelner Tiere aus der zweiten, kolorierten Auflage von Brehms Tierleben aussuchen. Die zwei strahlen: Es ist ein wunderschön gezeichneter Rabe dabei!
Hard Facts:
- Wo: Dorfstraße 22 | 07646 Renthendorf
- Öffnungszeiten: Di. – Fr. | – 17 Uhr | Sa. – So. | 11 – 17 Uhr
- Homepage findest du hier