„Jürgen Grewes in unwirkliches Licht getauchte Stillleben verströmen ein gewisses Gefühl von Artifizialität, das – bei aller Schönheit – die Betrachter auf Distanz hält und ebenso im Zweifel lässt. Diese unterkühlte Stimmung macht den besonderen Reiz von Grewes Kunst aus“, schreibt Diego Castro. Der Künstler und Musiker liefert die passenden Worte, um Jürgen Grewes OEuvre zu artikulieren. Laut Castro knüpft nicht einfach an die kunsthistorischen Zitate Kubismus oder kapitalistischer Realismus an, sondern aktualisiert die Referenzen, indem sie die Bilder in der Gegenwart verankert, die von einer schwer auf den Punkt zu bringenden Entfremdung im Spätkapitalismus kündet.
Kunst, die Menschen architektonisch dekonstruiert
„Strange Days“ heißt die Losung der Ausstellung, die ab Freitag im Kunsthaus Erfurt eröffnet und Kunstwerke von Jürgen Grewe zeigt, die den Menschen architektonisch dekonstruieren. „Der Mensch als Konstrukt, der Mensch als Summe seiner strukturierenden Teile. Rational geformt und doch unergründlich verspielt“, umschreibt es Castro die figurativen Darstellungen, die nicht selten im Bild auch mit Architekturen in Beziehung treten.
Brutalismus als prägende Bedeutung in den 70er Jahren
Brutalismus nennt sich die Epoche der Baukunst, an der sich Grewe in seinen Werken abarbeitet, jenem Baustil dessen Name sich bekanntermaßen nicht von Brutalität, sondern vom nackten Sichtbeton herleite. Im Westdeutschland der neunzehnhundertsiebziger Jahre erfuhr dieser Stil prägende Bedeutung. Nicht nur als dominierende Strömung im Bauwesen, sondern auch als Inbegriff vermeintlich menschenfeindlicher Architektur galt und Ausgangspunkt einer ablehnenden Haltung gegenüber einer rational-positivistischen Moderne war.
Graue Fassaden mit bunter Farbe übermalt
Nicht selten wurde der Sichtbeton brutalistischer Schulgebäude und Sozialbauten von hilflosen Aposteln einer als verdrängt gewähnten Phantasie mit bunter Farbe überpinselt. Indessen waren es gerade die grauen Fassaden dieser Gebäude, die den Hintergrund für präzise westdeutsche Milieustudien lieferten, wie etwa Schlöndorffs Katharina Blum oder Ulrich Edels Kinder vom Bahnhof Zoo“, konstatiert Castro und stellt Relationen zu den im Kunsthaus Erfurt gezeigten Werken her.
Sichtbeton, der die Figuren formt
Demgemäß transformiere Grewe in seiner 2010er- Arbeit „Mädchen in der Vorstadt“ Augen, Nase und Mund in erstarrte Elemente einer rationalistischen Physiognomie. „Die Nase ein Erker, an dessen Ende sich zwei Belüftungsschlitze befinden. Das Augenpaar wird zur Loggia, hinter der man ein lichtarmes Interieur vermutet“, metaphorisiert es der Kunstkritiker.
Abstrakte Gestalten ohne Figuration und Beziehung
Auch die neueren skulpturalen Arbeiten, die im Kunsthaus Erfurt gezeigt werden, schließen an das brutalistische Momentum an. Hier ist es tatsächlicher Sichtbeton, der die Figuren formt. Als zur Dreidimensionalität erwachte Formen umschreibt Castro die Plastiken: „Nur bleiben diese abstrakt, ohne Figuration, ohne offensichtliches Narrativ. So treten hier Zwei- und Dreidimensionale Bildwelt Grewes in den Dialog. Seine kubistisch-poppigen Darstellungen der letzten Jahre erweitern das Repertoire auf Stillleben, Landschaften und Menschen in Landschaften. Menschen in Bademode, die am Strand Erfrischungsgetränke durch Strohhalme schlürfen und den Rauch ihrer Zigaretten in den Himmel pusten. In ihren Posen, die Freizeit und Genuss symbolisieren, erscheinen die schematisierten Figuren immer auch ein wenig beziehungslos“, so der Kunstkritiker, der eruiert, dass die gezeigten Gestalten „eine apathische, kaum ergründliche Stimmung versprühen, die weder Spaß noch schlechte Laune ist.“
Werke des Künstlers Jürgen Grewe im Kunsthaus Erfurt
Wie sich diese Gefühlszustände im Nimbus zwischen Lust und Unmut anfühlen, können Besucher:innen ab diesen Freitag erleben. Bis 12. April zeigt das Kunsthaus Erfurt die Werke des Berliner Künstlers Jürgen Grewe, der zur Vernissage morgen Abend vielleicht selbst verrät, welche Gemütszustände er mit seiner Kunst triggern will.
Hard Facts:
- Ausstellung „Strange Days“ von Jürgen Grewe: 23. Februar bis 12. April | Kunsthaus Erfurt | Michaelisstr. 34
- Vernissage: 23. Februar | 20 Uhr
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