Am Ende der knapp 100 Tage sahen etwa 50.000 Besucherinnen und Besucher allein in Erfurt Auszüge aus Banksys ikonischem Werk. Der weltweit agierende, vermutlich 1974 in Bristol geborene Dosen-Künstler, ist zudem politischer Aktivist, Maler und Filmregisseur (2011 erhielt er eine Oscar-Nominierung in der Kategorie Bester Dokumentarfilm für einen Film über den französischen Streetartist Thierry Guetta). Doch vor allem ist er ein immer wieder für Aufsehen sorgender Konzeptkünstler. Eine Ausstellung über sein Schaffen, kann ohne sein Zutun schwer glücken. Denn einerseits ist die kreative Messlatte schwindelerregend hoch und anderseits lebt ein Großteil seines Wirkens von der öffentlichen Umgebung, in die er seine Kunst durchdacht und pointiert hinein platziert: Wände, Treppen, öffentliche Plätze. Orte zu denen jede und jeder kostenfreier Zugang hat.
Banksy, die Ausstellung und der Künstler dahinter
Er kommentiert und reagiert auf gesellschaftliche Missstände und auf ungleiche Machtverhältnisse. Seine humorvollen, spitzfindigen und sozialkritischen Motive finden sich in Kanada, Nord- und Südamerika, in Afrika, in Europa wie im arabischen Raum. Viele kennen sein Stencil „Girl with Balloon“, das ursprünglich 2002 erstmals in London auftauchte. Es war eine Reaktion auf die Not der Menschen, die vor dem syrischen Bürgerkrieg fliehen mussten. Das Mädchen, das nach einem herzförmigen Ballon greift (oder ihn vielleicht auch fliegen lässt?) ist seitdem inflationär verbreitet und zeugt, als eines von vielen Banksys, von der nachdrücklichen Bildsprache derer er mächtig ist, wie kaum ein zweiter.
Persönliche Unsichtbarkeit
Auffällig an Banksy ist der unbedingte Wille, sichtbar zu sein. Seine antikapitalistische, friedliche und gerechte Vision von Gesellschaft hat einen unbändigen Drang an die Öffentlichkeit zu gehen. Er versteht die Spielregeln der Gesellschaft und hält ihr gekonnt den Spiegel vor. Um Sichtbar in seiner persönlichen Unsichtbarkeit zu sein, ist er sich keiner kreativen Idee zu verlegen.
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Etwa zwanzig Jahre ist es her, als Banksy strenge Sicherheitsvorkehrungen in sieben angesehenen Museen (wie das „Tade Modern Museum“ in London, das „Louvre-Museum“ in Paris oder das „Metropolitan Museum of Art“ in New York) umgehen konnte, um von ihm bearbeitete und adaptierte Gemälde neben Pablo Picasso oder Andy Warhol aufzuhängen. Dass die deutschsprachigen Feuilletons und die Streetart Community mit gemischten Gefühlen und ablehnender Kritik auf die durch Deutschland und Österreich wandernde Ausstellung „The Mystery of Banksy – A Genius Mind“ blicken, ist nachvollziehbar. Zumal Banksy selbst auf seiner Homepage darauf hinweist, dass diese weltweiten Ausstellungen weder einvernehmlich, noch durch seine Beteiligung entstanden sind: „Members of the public should be aware there has been a recent spate of Banksy exhibitions none of which are consensual. They‘ve been organised entirely without the artist’s knowledge or involvement. Please treat them accordingly.“
Rechte des Urhebers
In Sydney, Bukarest, Antwerpen, Tel Aviv und an vielen Orten auf der Welt zeigen diverse Veranstalter unautorisierte, eintrittspflichtige Ausstellungen über ihn. Warum geht das so einfach? „Zunächst ist wichtig zu wissen, dass laut deutschem Urheberrecht – und in vielen europäischen Ländern ist es ähnlich – Graffitis nicht urheberrechtlich geschützt sind, da sie sich auf oder an öffentlich zugänglichen Flächen befinden“, erklärt Ludwig Rentzsch. Der Rechtsanwalt aus Stuttgart führt eine Kanzlei, die sich auf Künstlerund Medienrechte spezialisiert hat. Streetart und Graffiti kann so zum Beispiel durch Fotos gefertigt und kommerziell vermarktet werden. „Rechtsgrundlage hierfür ist die Panoramafreiheit oder Straßenbildfreiheit, die in §59 des deutschen Urheberrechtsgesetzes (UrhG) geregelt ist“, erklärt der Urheberrechtsexperte weiter und verweist darauf, dass dadurch die Rechte des Urhebers zugunsten der Allgemeinheit, die sich durch den öffentlichen Raum bewegt, einschränkt sind.
Anonymität ist seine Superpower
Zu beachten ist allerdings, dass das entsprechende Graffiti als urheberrechtliches Werk durch die Vervielfältigung und Vermarktung nicht entstellt werden darf (§14 UrhG). „Banksy müsste seine Anonymität vor Gericht aufgeben. Nur dann kann er gegen die Ausstellungen vorgehen oder finanziell entschädigt werden“, macht Ludwig Rentzsch deutlich. Seine „Anonymität ist seine Superpower“, so zitiert ihn die Kuratorin Jean Virgin im Interview. Wohl wissend, dass diese Anonymität auch seine Achillesferse ist. Denn diese wird er nicht aufgeben, zu keinem Preis der Welt. Die weltweit agierenden Veranstalter und Produzenten der Banksy-Ausstellungen nutzen diesen Spielraum, um das Phänomen Banksy auf den Veranstaltungsmarkt zu etablieren und Gewinn damit zu erzielen.
A Genius Mind
Doch was nützt das voreilige Zwei-Kategorien-Denken und die Bewertung in moralisch richtig und falsch oder gute und schlechte Kunst, außer dass es starre Vorstellungen nährt und womöglich die Chance verpasst wird, in einen Dialog zu gehen über die Zugänglichkeit von Kunst? Konstruktiv betrachtet kann die Ausstellung „The Mystery of Banksy – A Genius Mind“ als Einladung verstanden werden, die Gewohnheiten und Konventionen der Kunstwelt zu hinterfragen. Die Frage, ob diese Ausstellung noch Kunst ist – oder Unterhaltung – und ob sie deswegen weniger relevant ist, oder weniger Wert hat, muss an anderer Stelle diskutiert werden. Dann müsste natürlich auch der steile Eintrittspreis (18 bis 20 Euro) hinterfragt werden, wenn diese Ausstellung von sich behauptet, eine für „alle“ sein zu wollen.
Die Graffitis, Fotografien, Skulpturen, Videoinstallationen und Drucke, die in der Zentralheize in Erfurt zu sehen sind und noch in vielen weiteren Städten zu sehen sein werden, sind Teil einer begehbaren Dokumentation. Sie ermöglicht ein bebildertes und gegenständliches Eintauchen in Banksys Werk mit aufwendigen Anschauungsobjekten. Das gelingt dann besonders gut, wenn Orte und Räume nachempfunden wurden, wie der Eingang des „Walled off Hotels“ ,das in Bethlehem steht. Es eröffnete 2017 als soziales Projekt, das als Kunsthotel, die Menschen in Palästina unterstützt. Zugleich heißt es die Israelis willkommen, wenn sie mit „offenen Herzen kommen“, wie Banksy auf der Homepage des Hotels anmerkt. Auch die nachgebaute U-Bahn mit seiner Botschaft zum Umgang mit der Corona-Pandemie (2020) oder der große, pink-golden bemalte Elefant, der an Banksys kontroverse Ausstellung „Barely Legal” in Los Angeles (2006) erinnert, sind gelungene Momente der Banksy-Schau. (In Los Angeles war es tatsächlich ein echter Elefant namens Tai, der Aufmerksamkeit schaffen sollte für unzureichenden Tierschutz und Armut.)
Die Aura des Authentischen fehlt
Die Schwäche von „The Mystery of Banksy – A Genius Mind“ liegt darin, dass die Aura des Authentischen fehlt, die sakrale Ausstrahlung von Werken, die der Künstler in der Hand hielt, die seinem Schaffen unmittelbar entwachsen sind und die direkt und tief berühren. Vergleichbar vielleicht mit einem besonderen und einvernehmlichen Erleben von Livemusik und der Energie des freudigen Austausch – im Vergleich zu einem Mitschnitt, der im Radio oder Fernsehen läuft. Besonders originell oder „banksyhaft“ ist weder die Dramaturgie der Hängung noch die Art, wie sein Schaffen erzählt wird. Und dennoch ist diese Dokumentation (offensichtlich) wirkungsvoll genug.
Bezug zur Kunst
Nicht nur, weil ohne sein direktes Zutun innerhalb von einem Jahr etwa 350.000 Menschen allein in Deutschland und Österreich einen vertieften und breiten Einblick in Banksys Kreativität gewinnen konnten. Sondern vor allem, weil sie sehr viele Menschen erreicht und inspiriert, die zuvor wenig bis keinen Bezug zur Kunst der Straße hatten. Menschen, die Graffiti und Streetart als Vandalismus, Eigentumsverletzung oder Schmiererei ärgerlich nebenbei wahrnahmen, verstehen nun mehr diesen bewussten Akt der Rebellion. Die Ausstellung kommt zudem in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, in der die Sehnsucht nach integeren, visionären und starken Heldinnen (Greta Thunberg) und Helden (Banksy) groß ist. Sein Werk für die breite Masse sichtbar zu machen, dass ist der gemeinsame Nenner, den die Ausstellungsmacher:innen und Banksy verbindet.