„Wir betreiben gerade alle nichts als Glaskugellesen“, sagt Anne Dünger, Vorstandsmitglied der Freien Bühne Jena e.V. zur Frage, wann es wieder Live-Theater geben kann an der Saale. Die Freie Bühne Jena ist neben dem Theaterhaus die bekannteste Theater-Adresse der Stadt, aber, anders als das Theaterhaus, kein offizielles Ensemble, sondern lebendige Subkultur. Rund ein Dutzend Engagierte haben im vergangenen Jahrzehnt einen Theaterbetrieb mitsamt Spielstätte im ehemaligen Schlachthof aufgebaut.
Neue Theaterformate
Die Freie Bühne bringt spannende neue Theaterformate und viele theaterpädagogische Projekte nach Thüringen. Sie steht ehrenamtlich Engagierten offen. Doch nach 15 Monaten Pandemie ist die Freie Bühne alles andere als frei. Sie ist zu. Dicht. Für ihr Publikum geschlossen. Bis auf Weiteres spielt sich alles online ab, denn auch den Theatern bleibt das Netz. Doch wie bespielen die Jenaer Bühnen den digitalen Raum? Eine Spurensuche.
Stücke stehen in Startlöchern
Auf den Seiten des Theaterhauses Jena steht es schwarz auf weiß: „Wir sind bereit.“ Neue Stücke sind entwickelt, geprobt. Sie stehen in den Startlöchern: „Musik – Etappen einer Skandalgeschichte“ in Kooperation mit der Philharmonie. „All by Myselfie“ – schon der Titel strotzt vor Zeitkommentar. Und: ein Clowns-Kongress. Positiver Humor kann nie schaden. Derzeit schon gar nicht. Doch bis der Startschuss gegeben werden kann, dauert es noch. Online-Aufführungen sind erstmal nicht geplant. Für ungeduldige Besucherinnen und Besucher der Website stellt das Theaterhaus aber Videoserien ein: So kommt man endlich mal raus aus der Enge des Saaletals. Auf die Saaleplatte. Nach Isserstedt. In den Baumarkt. Die mehrteilige Serie „Urlaub in Deutschland“ entstand im letzten Sommer. Aktuell ist sie immer noch: Man muss in seinen vier Wänden bleiben, also verschönert man diese, exotisiert sie oder bläst sie auf (mit dem größtmöglichen Badepool). Die Lowest-Budget-Produktion sprüht vor verschrobenem Witz und jener Fremd-Selbstbespiegelungs-Kraft, für die das aktuelle niederländische Ensemble so geschätzt wird.
Handpuppen führen durchs Theaterhaus
Für jüngere Theaterfans gibt es ferner ein Videoformat – „Engeltours“ – in dem zwei Handpuppen (von denen eine aus irgendwelchen Gründen stark berlinert) durch das Theaterhaus führen und Einblicke in Bühnentechnik, Requisiten, Kostüme und Maskenbildnerei oder auch in den künstlerischen Alltag sowie ins Management und in die Geschichte des Theaterhauses mit seiner merkwürdigen Architektur geben.
Improvisationstheater in digitalen Räumen
Während das Theaterhaus allein aufgrund seiner Architektur – die nackte Bühne klafft im Stadtzentrum – und dank eines riesigen Fotos mit einem Mann mittleren Alters in einem Badefass und dem witzigen Titel „Raus aus der Isolation!?“ trotz Schließung für Menschen in der Innenstadt sichtbar bleibt, hat es die Freie Bühne schwerer, sichtbar zu bleiben, in der Stadt wie im Netz. Doch experimentiert die Initiative mit Online-Programmen: Es gibt interaktives Improvisationstheater in digitalen Räumen und sogar Aufführungen eines Stückes zum weiblichen Geschlechtsorgan mit dem Titel „Der Ursprung der Welt“.
Theaterszene lebt
Sofa statt Klappstuhl. Big-Blue-Button-Einladungscode statt abreißbare Eintrittskarte. Bildschirm statt Bühne und Kühlschrank statt Bar. Aber immerhin: die Jenaer Theaterszene lebt. Trotz allem. Und zumindest bei der Freien Bühne kann auch in diesen Zeiten jeder an einer Probe teilnehmen, der möchte, so wie es auch an einem „echten“ Probentag im Kulturschlachthof im Industriegebiet der Fall gewesen wäre. Und auch für den Ausbau digitaler Theaterpädagogik, die mit Schülerinnen und Schülern zusammen Freizeit theatral gestaltet, engagiert sich die Freie Bühne in diesem zweiten Pandemiejahr weiterhin. Aber es bleibt dabei: Kaum eine Kunstform benötigt die Interaktion mit einem Publikum so sehr wie das Theater.
Bald wieder auf echter Bühne
Anne Dünger hat immerhin in ihrer Glaskugel etwas entdeckt, das die Rückkehr zur Magie der Bühnenmomente an ein realistisches Datum knüpft: „Wir planen, entwickeln, proben ständig. Alles pandemiekonform, alles digital“, sagt die Regisseurin und Theaterpädagogin. „Vielleicht können wir Ende Juni, Anfang Juli wieder auf einer echten Bühne stehen.“