„Wo, wenn nicht im Club, kann man vielleicht mal kurz abschalten von den Sorgen, die man im Leben hat und der Realität entfliehen? Dafür ist die Clubkultur ja da. Gerade in der heutigen Zeit mit Krieg, Inflation und Perspektivlosigkeit für junge Menschen ist es wichtig, Räume zu schaffen, die als Safe Space fungieren“, sagt Hubert Langrock, der Betreiber des Kulturortes und Clubs Kalif Storch, der nach einem „Razzia ähnlichem“ Einsatz der Erfurter Polizei und des Ordnungsamtes Alarm schlägt. In der Nacht vom 15. zum 16. April fuhren mehrere Polizeisprinter um 3 Uhr am Club Kalif Storch in Erfurt vor. Aus den Kastenwagen sprangen circa 20 Polizisten. Etwa 10 von ihnen sind laut Langrock vermummt und in Begleitung des Ordnungsamtes der Stadt in den Kulturort gestürmt, um eine Kontrolle durchzuführen. Überprüft werden sollte der Nichtraucher- sowie Jugendschutz.
Auf eine teilweise aggressive und nicht deeskalierende Art und Weise
Die Einsatzkräfte der Polizei kontrollierten mit Taschenlampen und auf eine teilweise aggressive und nicht sonderlich deeskalierende Art und Weise die Räume des Kalif Storch“, erklärt der Clubbetreiber, der nicht nur das Vorgehen der Beamten kritisiert. Das schiere Aufgebot stelle demnach ein Problem dar. Und nicht nur das: „Wenn jemand schwarz gekleidet, vermummt, mit Schlagstock in einen Club geht, kann das Traumata hervorrufen. Gerade bei uns, wo migrantisches und queeres Publikum zusammenkommt, ist das problematisch. Das sollte in einem Safe Space, wie es der Kalif Storch ist, nicht passieren“, meint Langrock. Er benennt auch den Schaden für den Club klar: „Die Gäste hatten Angst vor Polizeigewalt und haben teilweise unverzüglich die Veranstaltung verlassen. Das Gefühl der Sicherheit und Unbeschwertheit bei Kulturveranstaltungen ist verloren gegangen. Einige Gäste berichteten im Nachgang gar von Angstattacken.“ Zudem beanstandet der Clubbetreiber den entstehenden finanzieller Schaden sowie den Imageschaden, den der Kulturort zu tragen habe.
„Des Weiteren gab es vor geraumer Zeit solche Einsätze in anderen Kulturorten der Stadt Erfurt, welche klar für Offenheit, Toleranz, Vielfalt und ein angenehmes Miteinander stehen. Es ist auffällig, dass gerade diese Orte bei solchen Einsätzen unverhältnismäßig kontrolliert werden, denn dort gab es ebenfalls eine erhöhte Anzahl an Einsatzkräften der Polizei“, schildert Langrock und verweist damit auf Kontrollen in den Erfurter Clubs Engelsburg, Kickerkeller und Central. „Es war keine Gefahr in Verzug, dass die Polizei diesen Einsatz hätte durchführen müssen. Gerne können sie mit einer Hundertschaft vor dem Club stehen, aber es gibt keinen Grund, dass die Polizisten in dieser Zahl in den Club kommen und die Veranstaltung stören“, so der Kalif-Chef, der mit seinem Team klar für deeskalierendes und wokes Verhalten eintritt. Dies beweise nicht zuletzt das Awareness-Team des Clubs, welches die Aufgabe habe, Betroffenen von Diskriminierung und persönlichen Grenzüberschreitungen beizustehen.
Eine Kriminalisierung der Clubkultur
Wenn die Ordnungsbehörde Alters- und Nichtraucherkontrollen durchführen möchte, sei es die bessere Option, zunächst gemeinsam mit den ortskundigen Sicherheitskräften des Clubs durch diesen zu gehen und nach Verstößen zu schauen. „Wenn die Behörde dann angefeindet würde, ist ein Polizeieinsatz natürlich in Ordnung. Wenn man jedoch von vornherein vermutet, dass dort Gefahr bestehe, ist es eine Kriminalisierung der Clubkultur“, so Langrock. Er meint auch: „Es wird pauschal davon ausgegangen, dass es in einer Kulturstätte wie den Kalif Storch, die den Kulturpreis der Stadt Erfurt gewonnen hat, Gefahr für Leib und Leben der Ordnungsbehörde herrscht. Das finde ich etwas übertrieben.“
Einsatz im Erfurter Theater wäre undenkbar gewesen
Ähnlich beurteilen das die Stadträt:innen Katja Maurer (Linke) und Jasper Robeck (Bündnis 90/Die Grünen). Die beiden Politiker:innen äußerten sich öffentlich zu den Vorfällen. „Der Einsatz macht deutlich, dass die Erfurter Clubs durch die Ordnungsbehörde nicht als Kulturort wahrgenommen werden. Ein vergleichbarer Einsatz im Erfurter Theater wäre undenkbar gewesen“, sagt Robeck und fügt an: „Niemand hat etwas gegen die Durchführung von Kontrollen. Aber: Nachtkultur ist ebenso ein wichtiger Bestandteil der Erfurter Kultur, wie das Theater oder etwaige Konzert-Lokalitäten. Junge Menschen haben in gleichem Maße das Recht auf Kulturveranstaltungen, die für sie einen Safe Space darstellen, wie alle anderen Bürger:innen auch. Daher ist es im Interesse der Stadt, solche Einsätze anders durchzuführen.“
Das schlechte Image der Ordnungsbehörde und Polizei
Auch Katja Maurer ist ähnlicher Meinung: „Am Ende des Einsatzes wurden keine Minderjährigen angetroffen und es wurde eine einzige Verwarnung aufgrund des Nichtraucherschutzgesetzes ausgesprochen. Das unterstreicht deutlich die Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes. […] Wer so mit jungen Menschen umgeht, muss sich nicht über das schlechte Image der Ordnungsbehörde und Polizei wundern.“ Die beiden Politiker:innen wenden sich in ihrer öffentlichen Kritik an die Sicherheitspolitik des Ordnungsdezernenten Andreas Horn (CDU), der ähnlich wie die Stadträtin Stefanie Hantke (FDP) die Maßnahme verteidigt. „Das Thema Kontrollen, gerade in Bezug auf Jugendschutz, ist richtig und wichtig und ich bin sehr froh darüber, dass durch das Dezernat Ordnung und Sicherheit diese Kontrollen intensiviert wurden, denn sie wurden lange Zeit vernachlässigt. Dass diese Kontrollen nicht gerade angenehm sind, kann ich zum Teil nachvollziehen. Dennoch sind sie schlichtweg notwendig, gerade in Bezug auf das Jugendschutzgesetz und Nichtraucherschutzgesetz“, sagt Hantke.
Ebenso bekräftig Horn das Vorgehen: „Diese Sonder- oder Komplexkontrollen, die wir durchführen, gibt es schon seit vielen Jahren. Wir intensivierten diese seit 2020 aufgrund vieler Beschwerden und Hinweise der Bevölkerung.“ Schwerpunkte dieser Kontrollen seien unter anderem Lärmbelästigungen, Vermüllung, Jugend – und Nichtraucherschutz und auch die Gewerbeordnung, so der Dezernent. „Die Streifen innerhalb Diskotheken, Bars und Getränkemärkten führen wir als Ordnungsbehörde im Schulterschluss mit der Polizei durch. Natürlich nimmt jeder seinen Bereich im Sinne der Rechtsordnung, seine Aufgaben war. Der Kalif Storch war ein einer von neun dieser Kontrollpunkte auf einer vorher bestimmten Route.“
Man kann nicht mit zweierlei Maß messen
Auf die Frage der schieren Masse und Angemessenheit der Kontrolle antwortet Horn ausweichend. „Das kann ich beim besten Willen nicht sagen. Das obliege der Polizei.“ Letzte Behörde argumentiert wie folgt: „Der Begriff ‚Großaufgebot‘ ist kein polizeilicher Fachbegriff und eher im allgemeinen Sprachgebrauch zu finden. Daher gibt es hier keine eindeutige Definition. Der Kräfteeinsatz orientiert sich stets an einer vorherigen Lagebeurteilung und -bewertung. In diesem Fall war er erforderlich und angemessen, um eine vorher nicht bestimmbare Anzahl von Menschen einer Kontrolle unterziehen zu können“, schreibt Polizeisprecherin Julia Neumann, die erklärt: „Weder war ein Großaufgebot der Polizei im Einsatz, noch stürmten die Beamten die Lokalität. Die Polizisten handelten im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags verhältnismäßig. Der Kräfteansatz war zudem erforderlich und angemessen.“ Ähnlich empfindet dies Stefanie Handkte: „Das Empfinden der Betreiber, sie seien kriminalisiert und geschädigt, sehe ich als etwas übertrieben. Ich finde es nach wie vor richtig, dass diese Kontrollen durchgeführt werden – auch als Mutter – und es spielt dabei keine Rolle, was es für eine Lokalität oder Club ist. Man kann nicht mit zweierlei Maß messen.“
Betreiber der Erfurter Clubs empfinden die Art und Weise als unangebracht
Ob dies alles das Vorgehen des Ordnungsamtes und der Polizei rechtfertigt, sei dahingestellt. Sicher ist, die Betreiber der Erfurter Clubs empfinden die Art und Weise, wie ihre Kulturorte kontrolliert wurde, unangebracht. Da sind sich Ben Gutt (Engeslburg), Hubert Langrock (Kalif Storch), Andreas Bretschneider (Central) und Benno Bounce (Kickerkeller) einig. Sie alle fordern, ähnlich wie Linke und Grüne ein Umdenken im Umgang mit Nachtkulturstätten. Ein Leitfaden müsse her, damit dem Kulturraum „Club“ Rechenschaft getragen werde. Oder wie Benno Bounce abschließend sagt: „Die Beamten treten allesamt sehr unfreundlich auf, nicht gerade deeskalierend. Aber wir werden kriminalisiert. Die Großeinsätze verschrecken die Gäste und stören die Veranstaltung. Das würde in keinem anderen Kulturort passieren. Wir als Clubbetreiber beschäftigen uns offenbar mehr damit, wie man einen kulturellen Safe Space schafft als die Ordnungsbehörde und die Polizei. Wenn die wüssten, was wir alles machen: Ausweiskontrolle, Awareness-Teams, Leute kontrollieren, es laufen die ganze Zeit Sicherheitskräfte Streife. Da kann nichts Schlimmes passieren. Weil wir uns ganz einfach alle Mühe geben.“