Lebensgeschichtliche Berichte sind mittlerweile für die Geschichtsforschung unerlässlich geworden“, stellt Agnes Arp, eine der Initiatorinnen der Oral History-Forschungsstelle an der Universität in Erfurt, fest. Gemeinsam mit Christiane Kuller hat sie diese besondere Art der Geschichtsforschung im Oktober 2021 ins Leben gerufen. Im Rahmen dessen ist nun eine Veranstaltungsreihe zum vietnamesischen Leben in Erfurt entstanden, welche sich vom April bis in den September dieses Jahres streckt.
Sie bieten ein enzigartigen Blick in die Vergangenheit
Die übersetzt „Mündliche Geschichte“ oder „oral history“ habe es sich zur Aufgabe gemacht, so Arp, Lebensgeschichte zu sammeln und diese als historische Quelle nutzbar zu machen. Anders als Archive und Lehrbücher biete sie einen ein zigartigen Einblick in die Vergangenheit und ermögliche es so, historische Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. So solle nun auch mehr Fokus auf das Leben der vietnamesischen Bürger, vor allem in Ostdeutschland, gelegt werden. „Die vietnamesische Community gibt es in Erfurt seit über 30 Jahren. Außerdem gibt es zahlreiche vietnamesische Vereine. Damit sind sie ein Teil der Stadtgeschichte Erfurts, die wir gerne gemeinsam mit der vietnamesischen Community sichtbar machen wollen“, erklärt Arp dazu.
Diese Lücke will die Forschungsstelle schließen
Die mittlerweile in Deutschland etablierten Oral-History-Archive fokussieren sich laut der Initiatorin jedoch weitestgehend auf die Geschichte der alten Bundesrepublik. Eine Auseinandersetzung mit der DDR und der ostdeutschen Perspektive käme dabei kaum oder nur am Rande vor. Diese Lücke wollen die Forschungsstelle der Universität Erfurt versuchen zu schließen. Auch heute noch merken wir im Alltag teils starke Unterschiede zwischen Ost und West, zum Beispiel bei verschiedenen Formulierungen oder auch in anderen Bildungssystemen. Früher waren diese Ungleichheiten jedoch weitaus gravierender, was auch Menschen der vietnamesischen Kultur zu spüren bekamen. Je nachdem, ob sie im Westen oder Osten aufwuchsen, habe das zu unterschiedlichen Lebensqualitäten geführt.
Die Vietnamesische Zuwanderung in Deutschland
In der alten Bundesrepublik sollen nämlich besonders Menschen aus Südvietnam nach den Folgen des Vietnamkrieges als sogenannte „Boat People“ Zuflucht gefunden haben. In Ostdeutschland hingegen sind durch ein Abkommen zwischen der DDR und der Sozialistischen Republik Vietnams besonders Menschen aus Nordvietnam angekommen, berichtet Arp. Außerdem sollen beide Gruppierungen von den zwei deutschen Staaten unterschiedlich aufgenommen wurden sein. Mittlerweile wohnen laut statistischem Bundesamt (Stand 2021) etwa 198.000 vietnamesische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen und Deutsche mit vietnamesischer Herkunft in Deutschland.
Auftakt der vietnamesischen Veranstaltungsreihe
Der Anteil der ausländischen Mitbürger und Mitbürgerinnen von Erfurt betrage nach Stand 2021 zehn Prozent. Ihre Kultur finde sich an verschiedensten Stellen der Stadt wieder. So auch im Asiamarkt „An der Lache“, wo im Kulturhaus am 29. April der Auftakt der Veranstaltungsreihe stattfinden soll. Explizit habe man sich laut Mitteilung für einen Ort außerhalb des universitären Rahmens entschieden, um Menschen, die sich eventuell bisher von kulturellen Bildungsangeboten ausgeschlossen fühlten, eine Teilnahme zu ermöglichen. Neben einer historischen Einführung werden vietnamesische Akteure von ihren persönlichen Eindrücken erzählen sowie traditionelle Tänze aufführen. Da sich alle Veranstaltungen stark voneinander unterscheiden, wolle sich Arp, auf kein Highlight festlegen. Ihr Wunsch sei es einfach Menschen für bisher unerzählte Geschichten zu sensibilisieren. Denn: „Es ist immer wichtig sich über Lebenserfahrungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen auszutauschen, da nur dadurch gegenseitiges Verständnis entstehen kann“, erläutert die Gründerin der Forschungsstelle.
Auch im Alltag große Unterschiede
Dass sich immer noch so viele Vietnamesen oder auch Menschen anderer ausländischer Kulturen in Deutschland ausgeschlossen fühlen, lege auch daran, dass Migranten kein Wahlrecht besitzen. Auch im Alltag, insbesondere bei der Wohnungssuche und im Bildungswesen gebe es noch starke Unterschiede. Doch nicht nur das, besonders die Corona-Pandemie habe auch gezeigt, wie stark verankert anti-asiatischer Rassismus immer noch ist. Durch das Hashtag „ich bin kein Virus“ sei nochmals deutlicher geworden, wie sehr asiatisch-gelesene Menschen heutzutage immer noch ausgegrenzt und auch stereotypisiert werden.
Hard Facts:
- Was?: Auftaktveranstaltung, „Vietnamesisches Leben in Erfurt“
- Wann?: 29. April | 16 bis 19 Uhr
- Wo?: Kulturhaus Asia Großmarkt | An der Lache 39
- Weiter Veranstaltungen findet ihr unter: Oral-History-Forschungsstelle (uni-erfurt.de)
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