Mehr als 53 Millionen Menschen rund um den Globus haben sich die Körperweltenausstellungen von Gunther von Hagens bereits angesehen. Und diese Zahl wird sich wahrscheinlich in den kommenden Monaten weiter erhöhen, denn die Anatomie-Schau ist vom 31. Januar bis 1. Mai in Erfurt zu sehen. Der Zyklus des Lebens heißt das Thema der Ausstellung, bei der der menschliche Körper im Kreislauf von Entstehen und Vergehen im Fokus steht.
Körperweltenausstellung kommt nach Erfurt
„Der kontinuierliche Veränderungsprozess des Körpers wird anhand zahlreicher Ganzkörper-Plastinate anschaulich dargestellt. Die einzelnen Stationen – von der Zeugung bis ins hohe Alter – laden dazu ein, sich intensiv mit seinem eigenen Körper und Lebensstil zu beschäftigen“, wie es in einer Ankündigung heißt. Wir konnten Kuratorin Dr. Angelina Whalley vorab ein paar Fragen zu Körperwelten in Erfurt stellen.
Der Zyklus des Lebens ist das Thema der Körperweltenausstellung in Erfurt. Wie wird das Thema aufgegriffen?
Mit dieser Ausstellung möchte ich verdeutlichen, dass unser Körper der Spiegel unserer eigenen Lebensführung ist. Denn alles, was wir tun oder auch nicht tun – ob wir körperlich aktiv sind, wie wir uns ernähren, ob wir ein gesundes familiäres oder soziales Umfeld haben – wirkt auf ihn zurück, im Positiven wie im Negativen. Das hat auch wesentliche Auswirkungen darauf, wie sich unser Alterungsprozess gestaltet. Wir altern im Grunde beständig, sobald wir auf die Welt kommen. Wie sich dieser Entwicklungsprozess vollzieht, ist ganz wesentlich davon abhängig, wie wir mit unserem Körper umgehen. Dafür möchte ich die Menschen sensibilisieren.
Wie passiert gesundheitliche Aufklärung und Prävention in der Ausstellung und was macht sie mit den Besuchern?
Körperwelten ist eine Ausstellung über das Leben, die den Blick auf uns selbst nachhaltig verändert. Die Besucher schauen in fremde Körper und entdecken darin den eigenen auf neue Weise. Die oft verblüffenden und emotionalen Eindrücke lassen den Betrachter nachdenklich über das eigene Leben werden und schärfen den Sinn für die eigene Verletzlichkeit und die eigene Gesundheit. Tat[1]sächlich geben viele Menschen nach dem Ausstellungsbesuch an, zukünftig mehr Acht auf ihren Körper geben zu wollen. Dass dies auch nachhaltig ist, zeigte sich eindrucksvoll in einer Besucherumfrage, die ein halbes Jahr nach Ausstellungsende stattfand. Darin gaben neun Prozent der Befragten an, seit dem Ausstellungsbesuch weniger geraucht oder gar mit dem Rauchen ganz aufgehört haben, rund 33 Prozent hatten sich um gesündere Ernährung bemüht und etwa 25 Prozent seither mehr Sport getrieben.
Hat die Ausstellung eine Altersfreigabe?
Wir empfehlen den Ausstellungsbesuch ab 12 Jahren, aber es gibt keine Altersbeschränkungen. Man könnte vielleicht meinen, dass die Ausstellung nichts für Kinder sei, weil es für sie schwer zu ertragen sein könnte, mit toten Körpern konfrontiert zu sein. Doch Kinder begegnen den Exponaten erfahrungsgemäß sehr neugierig und völlig unbefangen. Ich habe in all den Jahren sehr viele, auch kleine Kinder in der Ausstellung erlebt und nur positive Erfahrungen gemacht. Ich denke, dass Eltern am besten beurteilen können, ob ihre Kinder interessiert genug und auch in der Lage sind, die Eindrücke gut zu verarbeiten. Je eher Kinder damit beginnen, ein Bewusstsein für den eigenen Körper und dessen Verletzlichkeit zu bekommen, umso besser.
Wird auf jüngere Gäste mit einem angemessenen pädagogischen Konzept reagiert?
Für unsere jungen Besucher und vor allem für Schulklassen haben wir zusammen mit Pädagogen sehr viel Informationsmaterial vorbereitet, das wir auf unserer Webseite bereitstellen. Darüber hinaus achte ich als Kuratorin sehr darauf, dass alle in der Ausstellung verfügbaren Informationen leicht zu verstehen sind und die Exponate ästhetisch und in angemessener Atmosphäre präsentiert werden, so dass man ihnen frei von Abscheu und mit Respekt begegnen kann.
Wie lange dauert es, ein Exponat zu plastinieren?
Die Plastination ist sehr zeit- und arbeitsintensiv. Allein die anatomische Präparation, aber auch das spätere Positionieren nehmen mehrere hundert Stunden in Anspruch. Für ein Ganzkörperplastinat benötigen wir im Durchschnitt 1.500 Arbeitsstunden; der gesamte Prozess dauert etwa ein Jahr.
Welche Prozesse durchläuft ein gespendeter Körper bis zum fertigen Exponat?
Zuallererst injizieren wir Formalin in die Arterien des Körperspenders. Es tötet sämtliche Bakterien ab und verändert die Eiweißstrukturen des Gewebes. Dadurch ist die Verwesung gestoppt, und wir können mit dem anatomischen Präparieren, also dem Freilegen von Muskeln, Sehnen, Nerven und Organen beginnen. Der eigentliche Plastinationsprozess beginnt erst, wenn die anatomische Präparation abgeschlossen ist. Vereinfacht gesagt, ist die Plastination ein Vakuumprozess, bei dem das Körperwasser gegen Kunststoff ersetzt wird. Doch weil sich der Kunststoff nicht mit dem Wasser vermischt, müssen wir das Körperwasser zunächst gegen ein Lösungsmittel austauschen. Dazu legen wir das Präparat einfach für mehrere Monate in wechselnde Azeton-Bäder ein. Ist alles Wasser durch Azeton ersetzt, folgt der zentrale Schritt der Plastination: die vakuumforcierte Imprägnierung.
Das Azeton durchtränkte Präparat wird dazu in flüssiges Silikon eingelegt und unter Vakuum gesetzt. Das Vakuum saugt das Azeton aus dem Präparat heraus und verursacht einen Unterdruck im Gewebe, der das Silikon bis in die letzten Zellen des Präparats eindringen lässt. Ist das Präparat nach etwa sechs bis acht Wochen komplett imprägniert, bringen wir den Körper in die gewünschte Pose, fixieren alle anatomischen Strukturen in der korrekten Lage und härten das Präparat schließlich mithilfe eines speziellen Gases. Danach ist das Präparat trocken, geruchsfrei und bleibt naturgetreu und auf ästhetische Weise dauerhaft erhalten.
Was passiert mit alten Exponaten? Können sie schlecht werden? Werden diese dann beerdigt? Plastinate sind vermutlich haltbarer als die Mumien der alten Pharaonen. Auch die Mumien existieren heute nur deshalb noch, weil sie kein Wasser mehr enthalten. Aber im Gegensatz zu Plastinaten sind sie erheblich geschrumpft. Unsere Plastinate werden also noch über Generationen hinweg der medizinischen Ausbildung dienen können. Würde man sie einmal – aus welchen Gründen auch immer – aussortieren wollen, müsste man sie kremieren.
Was passiert mit menschlichen Überresten, die nicht genutzt werden?
Es gibt tatsächlich so etwas wie „Präparierabfall“. Dazu zählen vor allem die Haut und das Unterhautfettgewebe, aber ggf. auch andere Gewebsanteile, wenn wir tiefer gelegene anatomische Strukturen herausarbeiten. Diese werden in unserem Labor gesammelt und gesondert verbrannt, so wie man auch mit Operationspräparaten in Kliniken verfährt.
Auf was wird bei der Kuratierung der Ausstellung geachtet, wenn man bedenkt, dass sie angemessen an den Ort angepasst werden sollte?
Das ist ein sehr komplexer Prozess, der unglaublich viele Aspekte berücksichtigen muss. Er beginnt mit der Auswahl einer geeigneten Veranstaltungsstätte, die den Basisanforderungen hinsichtlich Größe, Flächenaufteilung und Deckenhöhe entspricht, und reicht hin bis zur Festlegung der Ausstellungsexponate, die Planung des Ausstellungsrundgangs, dem Schreiben und Gestalten aller Ausstellungstexte und sonstiger ausstellungsbegleitender Elemente.
Gibt es eine Neuheit, die in Erfurt gezeigt wird?
Die Ausstellung war zuvor in etwas anderer Konstellation und mit einem anderen Thema in Trier zu sehen. Auf jeden Fall gastieren wir mit dieser Ausstellung das erste Mal in Thüringen.
Gibt es auch Tiere zu sehen? Wenn ja, welche?
Tiere werden wir in Erfurt leider nicht zeigen können; dafür müsste die Veranstaltungsstätte etwas größer sein.
Kann die Ausstellung zu gruselig für zarte Gemüter sein? Gibt es so etwas wie eine Trigger-Warnung?
Unser Körper ist weder gruselig noch eklig. Ihm verdanken wir überhaupt erst unser Leben. Wir sind gewissermaßen Körper. Ohne unseren Körper gibt es weder Gedanken noch Erlebnisse oder Handlungen. Ohne ihn haben wir keine Welt, keine Familie, keine Freunde. Körperwelten erlaubt uns, einen völlig neuen Blick auf unseren Körper zu nehmen. Die allermeisten Besucher sind sehr interessiert und berührt. Selbst die Besucher, die mit Bedenken kommen, sind in aller Regel positiv überrascht und sagen, dass die Ausstellung doch ganz anders sei, als sie es sich vorgestellt hätten. Dass zum Beispiel die Exponate sehr ästhetisch anzuschauen seien und dass sie sehr viel über ihren eigenen Körper gelernt hätten.
Warum sollten sich die Thüringer einen Besuch der Ausstellung auf keinen Fall entgehen lassen? Weil die Ausstellung eine einzigartige Möglichkeit bietet, sich ein authentisches Bild von der eigenen inneren Leiblichkeit zu machen. Nur was wir kennen, können wir auch wertschätzen und schützen. Der Körper ist der einzige Ort, den wir zum Leben haben; es lohnt sich, ihn zu verstehen und achtsam mit ihm umzugehen.
Hard Facts
- Was? Körperwelten
- Wann? Von 31. Januar bis 1. Mai | Mo – Fr: 9 -18 Uhr | Sa + So: 10 – 18 Uhr
- Wo? Zentralheize Erfurt | Maximilian-Welsch-Str. 6