Gelöstes Lachen und dichte Wortschwaden dringen aus dem Theatersaal der Schotte, als ich das Foyer betrete. Ein freundliches aber bestimmend lautes „Neue Aufgabe“ bringt ein wenig Ruhe in den Gruppentrubel. Der Projektunterricht läuft und Projektleiter Steffen Wilhelm bringt den Schülern das Improvisationstheater näher. Man kann deren Spaß daran förmlich fühlen.
Die Schotte feiert 30 Jähriges Jubiläum in Erfurt
Ich erinnere mich an meine eigene Projekterfahrung auf derselben Bühne – als schüchterne Fünftklässlerin durfte ich in die Rolle des hungrigsten Igels einer Igelfamilie schlüpfen. Die Requisite, auf die ich mich stürzen sollte – ein Apfel –, entglitt während der Aufführung meinen kleinen Fingern und schoss ins Publikum. Peinlich. Fast 30 Jahre ist das mittlerweile her und doch ist die Erinnerung frisch, als wäre sie gestern entstanden. Unangenehm ist mir das längst nicht mehr, eher hat es mich gestärkt, denn Gelächter und Applaus gab es trotzdem.
„Genau darum geht es“, erklärt Uta Wanitschke mit einem wissenden Lächeln. „Es geht darum, zu fühlen, sich durch diese Emotion ganzheitlich an Momente zu erinnern und ins Spielen zu kommen.“ Uta ist von Anbeginn dabei, seit 2008 als künstlerische Leiterin tätig. 30 Jahre Kinder- und Jugendtheater feiert der Verein „Schotte e.V.“ in diesem Jahr. Eigentlich ist dieses Jubiläum längst schon erreicht, denn als der „Verein zur Förderung interessierter und talentierter Kinder und Jugendlicher“ am 25. März 1991 offiziell eingetragen wurde, steckte schon eine Menge Arbeit im Gebäude. 1990 zog das bereits unter der damaligen Leiterin Renate Lichnok existierende Pioniertheater vom Petersberg in die einstige Turnhalle der ehemaligen POS 18 Schottenschule (heutiger Sitz der Volkshochschule). In viel Eigenleistung wurde nun dort die Bühne gebaut, die noch Jahrzehnte später für Kinder und Jugendliche die Welt bedeuten.
Wie sich die Kinder und Jugendlichen dort Weiterentwickeln
„Wir sind eine Art Anker für unsere 253 aktiven Jugenddarsteller, ein sozialer Halt. Denn sie bleiben über Jahre bei uns und wachsen mit den Stücken mit. Das eigentliche Ziel ist die Menschenbildung. Junge Menschen sollen hier dabei unterstützt werden, ihre Persönlichkeit zu entwickeln, indem sie sich in einem geschützten Raum ausprobieren können. Es dauert eine Weile, bis sie zum ersten Mal auf einer Bühne stehen. Sie arbeiten in Etüdengruppen, um sich frei zu spielen, sich zu öffnen – sich selbst und anderen gegenüber. Sie lernen sich kennen und werden zu selbstbewussten Menschen. So sind sie später in der Lage, sich überall einzubringen. Unser Ziel ist nicht, Schauspieler hervorzubringen. Wir wollen den Rahmen bieten, damit sie sich später in die Gesellschaft einbringen“, sagt Uta.
Die spätere Berufswahl der „Schotten“ ist sehr breit gefächert. Altenpfleger, Logopäden, Kostümbildner oder Restauratoren. Viele gehen in soziale Berufe. Diejenigen, die kreative Berufe ergreifen, kehren gern zurück. In diesem Sommer gab es drei Workshop-Wochen, an denen 172 Kinder- und Jugendliche die Möglichkeit hatten, etwas über Tanz, Videographie oder Puppentheater zu lernen – von ehemaligen Schülern, die diese Fachrichtungen eingeschlagen haben. Es gab 17 Workshops à fünfzehn Stunden innerhalb von fünf Tagen. Alles unter den notwendigen Hygienebedingungen. Ein organisatorisch aufwendig gewebtes Netz, nur um die „Sommeruni“ nicht ein weiteres Mal ausfallen zu lassen. Diese findet sonst im Ferienpark Feuerkuppe in Straußberg statt und bildet sowohl das Highlight als auch die Basis für das nächste Theaterjahr.
Umstrukturierung durch Corona
Doch Corona stellte auch hier das Team vor die wohl größte Herausforderung der letzten drei Jahrzehnte – vor allem aus künstlerischer und sozialer Sicht.Die gesamte Arbeitsstruktur musste innerhalb der letzten anderthalb Jahre angepasst werden. So spielen sie nun vorrangig kleinere Stücke. Inszenierungen mit großer Personage wurden teils auf andere Formate, zum Beispiel als Straßentheater, umgearbeitet. Neben digitalen Proben gibt es jetzt kleinere Gruppen, die auch ohne laufende Aufführungen Wiederaufnahmeproben durchführten, erklärt Uta und führt an: „Wir wollten einfach weiterhin das bieten, für was wir stehen: Die Kinder und Jugendlichen sollten im Gefühl bleiben, was Theater mit ihnen macht.
Spielen ist die ureigenste Art des Lernens. Man ist immer in der Empathie. Das ist die Voraussetzung für eine Rollengestaltung. Dadurch entwickeln sie Verständnis für das Anderssein, für Teamgeist und Verantwortung. Doch vor allem: Sie sind glücklich.“ Ohne ein funktionierendes Team wäre das nicht möglich, betont Uta immer wieder. Allesamt Profis auf ihrem Fachgebiet, die sich auf Augenhöhe begegnen. Ein Team, das von ehemals drei auf mittlerweile 14 gewachsen ist, befristete Projektmitarbeiter und FSJler mit einbezogen. Dazu kommen Freunde und Förderer der Schotte, unter anderem erwachsene Darsteller. Sie alle spielen honorarfrei. Überhaupt sind die zeitliche und finanzielle Unterstützung, auch und besonders der Stadt Erfurt und des Landes Thüringen, eine enorm wichtige Existenzgrundlage. Denn der Vereinsbeitrag ist bewusst erschwinglich gehalten, um möglichst vielen Kindern eine Teilnahme zu ermöglichen.
Die Weiterentwicklung der Schotte
Doch nicht nur das Team ist im Laufe der letzten Jahre gewachsen, auch viele Meilensteine wurden gemeinsam erreicht. Der Anbau des Foyers, der Ausbau des Gebäudes, aber auch künstlerische Höhepunkte wie die Teilnahme an Welttheaterfestivals in Monaco oder Venezuela und der Gewinn vieler renommierter Preise. Auch wuchs die Anzahl der Vorstellungen, es gibt ein breiteres Angebot und viele neue Formate wurden entwickelt. 1992 wurden die Schultheatertage initiiert, die bis heute ein beliebtes, weil abwechslungsreiches Projektziel von Schülern und Lehrern sind. 30 Vorstellungen in drei Tagen werden dann gezeigt. 1993 kam das Amateurtheater-Festival hinzu, 2003 das Improvisationstheater.
Und gerade das Improvisieren, das im Grunde eine der Hauptmethoden des Theaters ist, half wohl durch die Krise. „Umstände ändern sich, aber das ist nicht schlimm. Wir wollen unseren Schülern die Leichtigkeit vermitteln, dass uns eine Veränderung nicht in den Grundfesten erschüttern muss. Leben ist lebendig“, schließt die künstlerische Leiterin optimistisch. Eine Einstellung, die sich bezahlt macht: im September 2021 erhält die Schotte zum 30. Geburtstag ein ganz besonderes Geschenk, das lang und hart erarbeitet wurde: den Kulturpreis der Stadt Erfurt.
Hard Facts
- Die Schotte : www.dieschotte.de
- Wo? Schottenstraße 7, Erfurt
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