Was sagt das Judentum eigentlich zu Homosexualität? Wie geht es jüdischen Menschen in der queeren Szene? Und wie sieht die praktische Arbeit von Keshet, der 2018 in Berlin gegründeten Vertretung jüdischer LGBTQI + Personen, aus? Diese und weitere Fragen möchte Rosa Jellinek von Keshet Deutschland im Eröffnungsvortrag zu den ersten Queer-Jüdischen Tagen in Thüringen am Sonntag, 27. November, im Besucherzentrum des Thüringer Landtags beantworten. Dabei erhalten die Besucher zudem Einblicke in die Vereinbarkeit jüdischen und queeren Lebens sowie aktuelle Debatten um Antisemitismus und Queer Feindlichkeit.
Jüdische Menschen in der queeren Szene
Weiter im Programm geht es am Montag, 28. November. Dann beschäftigen sich Studierende der Religionswissenschaften an der Universität Erfurt mit Queerness im Judentum. Dazu gehört auch ein Gespräch mit Landesrabbiner Alexander Nachama und dem Vorsteher der Jüdischen Landesgemeinde in der Neuen Synagoge. Beendet werden die Queer-Jüdischen Tage mit einem Filmabend in der Erfurter Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße 37. Dort wird am Mittwoch, 30. November, um 18.30 Uhr „Kiss me kosher“ gezeigt, ein Film über die Liebe zweier Frauen unterschiedlicher Kulturen, Vorurteile und verrückte Familien. Im Anschluss können die Besucher:innen mit dem Vorstandsvorsitzenden von Keshet, Monty Ott, sowie der angehenden Rabbinerin und Keshet-Mitglied Helene Braun diskutieren. Die ersten QueerJüdischen Tage in Erfurt sind eine gemeinsame Veranstaltung des Projekts „Jüdische Kultur(en) in Thüringen“ des Kulturrats Thüringen und vielen weiteren Akteuren. Wir haben vorab Projektsprecher Anton Hieke ein paar Fragen gestellt.
Wie kam es dazu, dass jetzt zum ersten Mal die QueerJüdischen Tage in Erfurt gefeiert werden?
Ursprünglich war für die Arbeit des Projektes „Jüdische Kultur(en) in Thüringen“ (Kulturrat TH e.V.) ein Vortrag in Zusammenarbeit mit dem Vielfalt Leben – QueerWeg Verein für Thüringen e. V. angedacht. Hierbei war der gemeinsame Wunsch, zur Arbeit von Keschet Deutschland (Interessenvereinigung jüdischer Queer Personen) zu berichten. Da es einige Parallelen bei beiden Identitätsspektren (jüdisch und queer) gibt, gerade was die Akzeptanz in der Gesamtgesellschaft und die Erfahrungen individueller Personen mit Diskriminierung und Grenzen der Identitätsentfaltung gibt, erschien hier eine gemeinsame Veranstaltung als richtig. Letztendlich ergab sich mit dem Wunsch der Religionswissenschaften der Uni Erfurt und dem zufällig gleichzeitig geplanten Gespräch des QueerZentrums und RIAS mit einer Filmvorführung die Gelegenheit über eine inhaltlich Gesamtkonzeption als „Queer-Jüdische Tage“ die einzelnen Programmpunkte zu verbinden.
Also kam es so zur Zusammenarbeit der ganzen Akteure (Kulturrats Thüringen, QueerWeg e.V., der Religionswissenschaften der Universität Erfurt, RIAS Thüringen, Keshet Deutschland und in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen)?
Die Queer-Jüdischen Tage bieten zwei Elemente an: der Vortrag von Rosa Jellinek mit dem Gespräch wurde gemeinsam organisiert von Jüdische Kulturen und QueerWeg e.V. Hier setzten wir uns einfach zusammen, um zu überlegen, wie man beide Identitäten gemeinsam in einer Veranstaltung ansprechen könnte, um den Blick auf unsere Gesellschaft zu weiten. Persönlich gesprochen, war es mir für Jüdische Kultur(en) wichtig, Anknüpfungspunkte zwischen verschiedenen Gruppen zu finden und so nicht immer getrennt voneinander in der Mehrheitsgesellschaft aufzutreten. So entstand auch die gemeinsame Veranstaltung mit dem Landesverband der Sinti und Roma am 23. Oktober („Oy!Joy – Der jüdisch-Sinti und Roma-Tag in Gotha“).
Queerness zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten, Religionen, Traditionen durch, so dass die Frage nach queer im Judentum besonders interessant ist. Nach Gesprächen mit Professor Waldner von den Religionswissenschaften zu Formaten mit jüdischem Bezug, kam die Idee eines Workshops zu jüdisch und queer auf. Da ohnehin jede Projektidee für Jüdische Kultur(en) mit dem Landesrabbiner besprochen wird (mein Büro liegt in der Landesgemeinde) ergab sich das Gespräch für den Workshop. Parallel fanden das QueerZentrum in Erfurt und RIAS Thüringen zusammen, um mit einer Filmvorführung und Gesprächsrunde einen vergleichbaren Weg zu gehen. Die Verbindung zu Queer-Jüdischen Tagen war damit eigentlich schon gegeben.
Was sagt das Judentum eigentlich zu Homosexualität?
Die unterschiedlichen Strömungen des Judentums zeigen unterschiedliche Auffassungen – wie ja auch im Christentum. Es reicht von der eher wenig akzeptierenden Haltung in eher traditionelleren/orthodoxen Ausrichtungen bis hin zu schwul-lesbischen Reformgemeinden (wie Bet Havarim in Atlanta). Das gibt es in der Lebensrealität keine allumfassende Sichtweise. Inwieweit es gelebt wird – Akzeptanz und Nichtakzeptanz – ist die Frage der persönlichen Sichtweise bzw. die der Gemeinde. Vergleichbar ist es mit der Stellung von Frauen etwa als Rabbinerinnen. Unsere Rednerin Helene Braun ist zum Beispiel angehende Reformrabbinerin. Was in manchen Gemeinden gelebt wird, ist in anderen wenig denkbar. Ein Symbol ist hierfür auch die Nähe zwischen Jerusalem und Tel Aviv in Israel. Während das erste das Zentrum des religiösen Lebens ist, ist das andere eines der wichtigsten Zentren queeren Lebens weltweit. Hinsichtlich der Sexualität selbst ist interessant, dass im Judentum (heterosexuelle) Sexualität keinen vergleichbaren negativen Hauch genießt wie manchmal im Christentum. So ist etwa der Zölibat undenkbar. Hinsichtlich der anderen (T und I in LGBTQI+) muss ich leider passen, weshalb wir ja aber auch Rosa Jellinek, Matty Ott und Helene Braun mit ihrem Fachwissen nach Erfurt eingeladen haben.
Kann man jetzt schon sagen, wie es jüdischen Menschen in der queeren Szene ergeht?
Da werden uns die Gespräche und der Vortrag in unserem Wissen weiterbringen – will sagen, dass ich das an dieser Stelle weitgehend unbeantwortet lasse. Interessant wird es schon sein, inwieweit es in der queeren Lebensrealität eine Rolle spielt, jüdisch zu sein. Erfahrungen zeigen, dass natürlich auch queere Menschen nicht frei von eigenen Vorstellungen sind. Das ist menschlich. Hier wird aber auch ein wichtiger Punkt angesprochen, der zu den Queer-Jüdischen Tagen eine große Rolle spielt: nicht nur, wie sind die Erfahrungen, queer in jüdischen Gemeinden zu sein, sondern auch jüdisch in einem queeren Leben. Allein die Zahlen zeigen die Bedeutung: circa 200.000 Menschen in Deutschland sind jüdisch, jedoch schon etwa fünf bis zehn Prozent queer (je nach Schätzung). Und, natürlich auch, nicht nur die Erfahrungen in Großstädten wie Berlin, sondern in kleineren wie Leipzig und darunter. Hier freuen wir uns sehr, aus der Praxis von Keshet heraus, Denkanstöße zu erhalten.
Warum ist es wichtig, das Thema auf die Agenda zu nehmen?
Queer und jüdisch (ob verbunden oder getrennt voneinander) stellen Schattierungen der Gesellschaftsidentität dar. Zum einen heißt das natürlich nicht, dass innerhalb dieser beiden Identitätsspektren eine Empathie für die jeweils andere existieren muss. Hier ist der Bericht zur Arbeit von Keshet sehr wichtig, was es heißt, queer in der jüdischen Tradition zu sein und auch jüdisch in der queeren Identität. Zum anderen werden „Minderheitengruppen“ im Allgemeinen vor allem getrennt voneinander wahrgenommen, als etwas beinah Exotisches, Alleinstehendes. Eine solche Art von singulärer Identität gibt es schon nicht für den einzelnen, erst recht nicht für die gesamte Gesellschaft, die sich aus „Minderheitengruppen“ zusammensetzt.
Die Queer-Jüdischen Tage sollen gerade auch darauf ein Schlaglicht werfen, nicht zuletzt, weil Präsenz und Wahrnehmung heute so wichtig sind. Hier soll ein wenig das Denken in Erfahrungsblasen durchbrochen werden, das die heutige Zeit mitprägt. Nicht nur ist es wichtig, das Thema selbst anzusprechen – und damit natürlich auch getrennt voneinander jüdisch und queer –, sondern auch gerade jetzt, wenn politische Gruppierungen verstärkt versuchen für die Gesellschaft zu definieren, wer dazu gehört und wer aus welchem Grund nicht. Mit den Queer-Jüdischen Tage wird bewusst ein Weg beschritten, der Öffentlichkeit (Vortrag und Filmvorführung mit Gesprächen) und Wissenschaftlichkeit des Workshops verbindet. Es soll damit ein Bewusstsein mit längerfristiger Wirkung ermöglicht werden.
Wird es die Queer-Jüdischen Tage jetzt jedes Jahr geben?
Die zutreffende Antwort ist ein bestimmtes „vielleicht“. Wichtig ist für dieses Jahr das Zustandekommen und die erfolgreiche Durchführung mit allen Beteiligten. Ob es sich verstetigt – als Einzelveranstaltungsreihe oder als Bestandteil größerer Veranstaltungen – muss sich, glaube ich, zeigen.
Hard Facts:
- Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße | Erfurt
- Mittwoch | 30. November | 18.30 Uhr
- Filmvorführung | „Kiss me kosher“