Kunst, Kultur und Handwerk sind nicht immun gegen Corona. In Thüringen trifft die Krise unzählige Freischaffende, Selbständige und Einzelkämpfer, die mit viel Herzblut und Schweiß ihr Business aufgebaut haben oder ihren Weg gegangen sind. Der Shutdown nimmt ihnen nun die Lebensgrundlage. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme geben, sie sichtbar machen und zeigen, dass Kultur kein Luxus ist.
Kultur Shutdown mit Poetry Slammer, Autor und Veranstalter Friedrich Herrmann aus Jena
In unserer Interview-Reihe „Kultur Shutdown“ sprechen wir diesmal mit Friedrich Herrmann aus Jena. Die Bühne ist sein Zuhause. Als Poetry Slammer ist Friedrich Deutschsprachiger Meister 2019. Und auch als Duo „F+“ sind Friedrich und Flemming Witt nicht gerade unerfolgreich. Nebenbei ist er außerdem Autor, Moderator und gibt Workshops.
Wie ist denn deine aktuelle Lage? Du stehst eigentlich auf der Bühne, das ist aktuell aber nicht möglich.
Die Situation ähnelt einem Berufsverbot, auch wenn das Wort vielleicht ein bisschen hart klingt. Ich muss mir Möglichkeiten suchen, meine Arbeit ins Internet zu schieben. Das ist nicht besonders zufriedenstellend. Aktuell ist es ein müder Ersatz für das Eigentliche. Es gibt Streams, die mir Spaß machen, wenn man mit den Live-Kommentaren der Zuschauer interagiert beispielsweise, und dann gibt es Situationen, in denen ich einfach in die Kamera spreche, und da komme ich mir schon komisch vor. Also ich habe große Sehnsucht nach der Zeit, wenn das alles vorbei ist.
Die Streams sind sozusagen deine Notlösung, nimmst du aktuell Geld ein?
Einen Bruchteil. Ich verschicke hin und wieder Bücher von mir, wenn mir Leute schreiben. Das ist vielleicht noch die beste Einkommensmöglichkeit zurzeit, ansonsten auf Spendenbasis über PayPal beispielsweise. Aber es ist überhaupt cool, wenn Leute was geben, denn sie müssen aktuell ja wahrscheinlich auch schauen, wie es mit dem Geld bei ihnen aussieht. Das ist nicht mehr so selbstverständlich wie vor der Krise.
Welche Posten müssen weiterhin gezahlt werden?
Ich muss natürlich Miete zahlen und Lebensmittel, aber ich habe kein großes Büro oder so. Meistens arbeite ich in der Bibliothek nebenan oder an meinem Schreibtisch. Dass ich nicht so viele Nebenkosten habe, ist wirklich eine komfortable Situation als Autor. Ich habe meinen Lebensstil aber irgendwie schon ganz schön runtergedampft. Die ganz großen Ausgaben sind das Reisen und das Essen unterwegs. In anderen Städten zu sein, bedeutet immer irgendwie Geld auszugeben. Aber das ist aktuell halt alles weg.
Man kann beim Freistaat Thüringen finanzielle Hilfe beantragen. Hast du das gemacht?
Ja, ich habe Soforthilfe beantragt. Das Geld ist auch schon da und ich bin sehr froh drüber, dass das so gut geklappt hat.
Was erwartest du jetzt von der Politik?
Schwierige Frage. Ich habe ein großes Problem damit aus einer Haltung die, sagen wir mal, uninformiert ist, große Forderungen an die Politik zu stellen. Also sich hinzustellen und so zu tun als wüsste man alles besser. Da müssen die Gesundheitsbehörden schon wissen, was sie machen, denn ich habe noch keine Pandemie miterlebt. Das ist, glaube ich, ein relativ mathematisches Szenario und das ist ein Feld, in dem ich mich nicht auskenne. Ich halte mich weitestgehend an die Vorgaben der Behörden.
Das klingt irgendwie so, als hätte ich mich mit so einer Art Gehorsamkeit abgefunden, aber ich finde, in so einer Situation hat man nicht wirklich eine andere Wahl. Mir erscheint der Kurs, der gerade genommen wird, im Großen und Ganzen richtig. Ich halte eher die Füße still und hebe mir meinen Protest für die Zeit danach auf oder falls die Dinge wirklich mal schief laufen, aber das Gefühl habe ich gerade eigentlich nicht. Ich finde eigentlich, dass die Stadt Jena sehr viel richtig gemacht hat.
Hast du Tipps, um das Beste aus der Lage zu machen?
Also um ehrlich zu sein, nicht wirklich. Ich kann natürlich Bücher empfehlen oder Videospiele, aber das sind alles Dinge, auf die die Leute selber kommen. Vielleicht ein schönes Hobby anfangen, was mit Lebensmitteln zu tun hat. Irgendwas kleines pflanzen, was anbauen. Ich züchte zum Beispiel gerade Pilze im Keller. Das ist cool, man versorgt sich ein bisschen selber und spart gleichzeitig Geld.
Wie soll es nach der Krise für dich weitergehen?
Gerade bin ich im Gespräch mit jemandem, der Autokinos betreut, das könnte mich über den Sommer retten, mal sehen. Ansonsten bin ich eigentlich optimistisch, dass viel draußen stattfinden wird. Ich habe so das Gefühl, dass draußen auch nicht wirklich viel Ansteckung stattfindet, sondern dass das eher durch dicht gedrängte Menschenmassen und in Innenräumen geschieht. Und wenn man die Abstandsregeln einhält, kann im Sommer, glaube ich, viel draußen stattfinden. Es wird, meiner Meinung nach, ein ganz komischer Sommer, aber es werden auch schöne Dinge passieren, da bin ich mir sehr sicher. Viele schöne, unerwartete Dinge.
Denkst du, das alles hat auch etwas Positives an sich?
Ich finde, um dazu etwas zu sagen, ist es zu früh. Im Moment ist es nur ärgerlich. Die weltweiten Konsequenzen zu lesen, macht mich selber sehr betrübt. Denn wir haben es hier in Deutschland relativ gut erwischt vom jetzigen Stand. Wenn man da Berichte von anderen Ländern liest, ist das wirklich gruselig. Insofern kann ich dem Ganzen eigentlich nichts Positives abgewinnen.
Gibt es noch etwas, dass du sagen willst? Liegt dir noch etwas auf dem Herzen?
Geht nicht so viel in irgendwelche Telegram-Gruppen, überlegt wirklich, ob die Leute auf YouTube mehr Ahnung haben als die Leute, die in offiziellen Positionen sind. Hinterfragt eure eigene Haltung genauso wie die Haltung von anderen. Gönnt euch viele Perspektiven, anstatt Videos zu klicken, die mit „Die Wahrheit über …“ betitelt sind. Das ist in der Regel doch eine sehr verengte Sicht. Und werdet nicht irre in dieser ganzen Daten- und Informationsflut. Dann lieber das Internet vielleicht mal eine Stunde mehr ausmachen, als sich das 15. Video dazu anzuschauen, was doch alles falsch läuft und wie die ganzen Verschwörungen ablaufen. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass das nicht stimmt.
Diese ganzen Verschwörungstheorien, die jetzt überall auftauchen, machen alles noch schwieriger. Man ist kein kritischer Denker, wenn man jetzt gerade dagegen ist. Es ist, glaube ich, einfach der falsche Zeitpunkt dafür. Man soll sich sein kritisches Denken auf jeden Fall behalten und nicht alles blind befolgen, das hat auch niemand gesagt, aber es sind zum großen Teil einfach sehr sinnvolle Dinge und wenn man sich die Situation in manchen Intensivstationen anschaut, dann weiß man einfach, was an uns vorbeigerollt ist. Und ich finde es wirklich albern, dass Leute das so leichtfertig wieder verspielen wollen.
Ihr seid Kulturakteur oder kreativer Einzelhändler in Thüringen und wollt mit uns über euer Leben in der Krise sprechen? Schreibt uns mit dem Betreff “Kultur Shutdown” an: f.dobenecker@mediengruppe-thueringen.de