Kunst, Kultur und Handwerk sind nicht immun gegen Corona. In Thüringen trifft die Krise unzählige Freischaffende, Selbständige und Einzelkämpfer, die mit viel Herzblut und Schweiß ihr Business aufgebaut haben oder ihren Weg gegangen sind. Der Shutdown nimmt ihnen nun die Lebensgrundlage. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme geben, sie sichtbar machen und zeigen, dass Kultur kein Luxus ist.
Kultur Shutdown mit Friedemann vom Circus MoMoLo in Jena
In unserer Interview-Reihe „Kultur Shutdown“ sprechen wir diesmal mit Friedemann Ziepert vom Circus MoMoLo in Jena. Er hat zusammen mit zwei weiteren Zirkuspädagogen 2006 den Circus MoMoLo gegründet. Seit 2018 veranstaltet er zusammen mit verschiedenen Partnern und mit Unterstützung in der Produktion das Composé Festival.
Wie ist jetzt bei euch die aktuelle Lage?
Der Betrieb des Circus MoMoLo, bei dem über 140 Kinder und Jugendliche regelmäßig zu verschiedenen Zirkuskursen kommen, ist derzeit komplett eingestellt. Mit unseren Teilnehmer*innen sind wir aber regelmäßig über kleine Aktionen in Kontakt. Das erst 2018 gegründete Composé Festival für zeitgenössische Zirkuskunst und Musik ist eigentlich für die erste Septemberwoche 2020 geplant. Wir gehen aktuell davon aus, dass es so wie ursprünglich angedacht nicht stattfinden wird. Dennoch arbeiten wir gerade an der Entwicklung von alternativen Formaten, zum Beispiel ausschließlich draußen und mit weniger Zuschauer*innen sowie gleichzeitigem Livestream. Unsere festen Mitarbeiter*innen sind gerade alle in Kurzarbeit. Unser Ziel ist es, mit den eingesparten Mitteln so lange wie möglich durchzuhalten und das Team samt der Personalstellen abzusichern.
Hast du Angst vor dem Virus? Wirtschaftlich und gesundheitlich gesehen?
Ich gebe zu am Anfang hatte ich etwas Angst. Die Situation war kaum zu greifen, erzeugte Ohnmacht und die wissenschaftlichen Erkenntnisse waren gering. Nach einer Woche veränderte sich mein Empfinden und ich würde die Frage jetzt mit „Nein“ beantworten. Statt weiter in die Angst zu gehen, half mir die Konzentration auf die realen Tatsachen, dem Annehmen der Situation und möglicherweise meine Erfahrungen als Wendekind: die Erinnerung an eine kollektive Situation bei der sich quasi über Nacht alles verändert. Ich bin grundlegend optimistisch und positiv gestimmt.
Welche Posten musst du weiterhin tragen? Wie wird mit den Mitarbeitern weiterhin verfahren?
Unsere laufenden Verbindlichkeiten, wie Personalkosten, Mieten, Gebühren, Beiträge und Versicherungen laufen natürlich weiter. Wir haben relativ schnell Kurzarbeit angemeldet und unsere Vermieter um Nachlass bzw. Aussetzung gebeten. Die LAG Soziokultur aus Erfurt, einer unserer Dachverbände, hat uns dabei sehr schnell mit wichtigen Informationen versorgt. Von der LAG kam auch der Tipp mit der Mietminderung. Die Mietzahlung für unser Zirkuszeltgelände konnten wir in Rücksprache mit dem städtischen Vermieter sofort einstellen. Auch mit dem privaten Vermieter unseres Büros im Stadtzentrum konnten wir eine gemeinsame Lösung finden. Darüber sind wir sehr dankbar!
Gibt es eine Notlösung, um weiterhin Geld einzunehmen? Hast du Aktionen geplant?
Derzeit nur über verschiedene Förderungen wie zum Beispiel die Soforthilfe. Wir haben momentan leider keine Möglichkeit Eigenmittel zu erwirtschaften, weil wir keine Projekte durchführen und unsere Räume nicht vermieten können. Für unsere Kinder und Jugendlichen bieten wir zurzeit einen kostenfreien Materialverleih an. Eine weitere Möglichkeit ist die Umwidmung von bereits bewilligten Projekten. Dazu sind wir mit unseren Partnern bereits im Austausch.
Hast du Tipps, um das Beste aus der Lage zu machen?
Mir hilft es ruhig und positiv zu bleiben und vor allem nicht in einen blinden Aktionismus zu verfallen. Gerade in den ersten Tagen und Wochen war eine Flut von digitalen Angeboten zu beobachten. Diese zum Teil tollen Formate können aber nur eine kurze Brücke sein. Mir hilft die Akzeptanz der aktuellen Lage. Zudem sollte man nicht den Mut verlieren und sichtbar bleiben – egal in welcher Art und Weise. Wir vom Team des Circus MoMoLo und des Composé Festivals möchten uns mit dem momentanen Zustand auch künstlerisch auseinandersetzen. Vielleicht ist es auch die richtige Zeit, um politisch mehr Druck zu machen, weil gerade Dinge möglich sind, die vor ein paar Monaten undenkbar gewesen wären. In Bayern und Baden-Württemberg bekommen Künstler*innen ab sofort eine regelmäßige Finanzhilfe, zumindest erst mal für mehrere Monate und das bedingungslos. Eine Vorstufe des bedingungslosen Grundeinkommens? Ich finde das gut und es verstärkt die Wertschätzung für kulturelle und künstlerische Arbeit. Das wünsche ich mir natürlich auch für Thüringen!
Wie soll es nach der Krise für euch weitergehen?
Unser Fokus liegt gerade auf der aktuellen Situation. Wir fahren wie alle auf Sicht und versuchen die Krise so gut es geht zu bewältigen. Wie schon erwähnt, entwickeln wir gerade kulturelle Formate, die auch in der neuen Lage möglich sind. Wir gehen davon aus, dass uns die Pandemie lange begleiten wird und hängen nicht zwanghaft an alten Vorstellungen und Vorhaben fest. Mit einem neuen Projekt unter dem Titel „Zirkus mit Abstand“ wollen wir älteren Menschen mit kleinen Auftritten vor dem Balkon regelmäßig eine Freude machen. Sobald wir wieder Gäste empfangen dürfen, wollen wir eine Kombination aus analogen Kursen, Shows und Livestream realisieren. Uns ist es wichtig Kunst und Kultur auch weiterhin sichtbar zu machen.
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Denkst du, das alles kann etwas Positives bringen?
Jede Krise hat etwas Positives. Das was bleibt, ist die Hoffnung, dass wir auch aus dieser Situation genügend Dinge mitnehmen können, die uns als Gesellschaft solidarischer und bewusster werden lassen. Gerade die Arbeit der vielen Künstler*innen und Kulturschaffenden kann dabei eine wichtige Brücke sein! Mit Kunst und Kultur werden Werte und Bindungen geschaffen, die man mit Konsum niemals erreichen kann.
Gibt es noch etwas, dass du sagen willst? Liegt dir noch etwas auf dem Herzen?
Wir Künstler*innen und Kulturschaffenden sollten weiterhin Schönes und Kritisches erschaffen, was Menschen erfreut und zum Nachdenken oder Handeln anregt – gerade jetzt! Für uns alle wünsche ich mir dafür in Thüringen und natürlich darüber hinaus Unterstützung auf allen Ebenen.