Kunst macht da nicht mit! Kunst schlägt Alarm! Kunst schlägt dazwischen! Für eine gemeinschaftliche und solidarisierende Antwort aus der Kunst- und Kulturlandschaft auf die feindseligen Versuche rechter Gruppierungen und Parteien, Menschen auszugrenzen, Kultur zu beschneiden und den Krieg zu verherrlichen, wird am kommenden Freitag die achte Ausstellung der Reihe „Kunst gegen Rechts“ (KGR) in Gera eröffnet. Die Schau in der gerade erst umgezogenen Galerie „Mieze Südlich“ nimmt den 30. Jahrestag der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen als Anlass, um kritisch auf aktuelle gesellschaftliche Konflikte einzugehen. Laut Dirk Teschner, dem Kurator von „Kunst gegen Rechts“, wird von vielen verkannt, dass Deutschland eine postmigrantische Gesellschaft der Vielen ist, die durch die Erfahrung der Migration geprägt und aus dem demografischen Wandel durch Einwanderung gekennzeichnet ist. Immer noch werde diese Tatsache viel zu wenig zur Kenntnis genommen.
Kunst gegen Rechts in Gera
Der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 folgten rassistische Ausschreitungen und Mordanschläge in Rostock, Mannheim, Hoyerswerda, Mölln und Solingen bis zur Terrorserie des NSU. Es folgten Anschläge auf jüdische Friedhöfe und emanzipatorische Projekte. „Eine wiedererwachte deutsche Volksgemeinschaft kroch aus den Löchern hervor“, erklärt Dirk und fügt an: „Der rechte Populismus, der die Kultureinrichtungen als Akteure einer gesellschaftlichen demokratischen Vision angreift, steht der Kunst der Vielen feindselig gegenüber. Die Neue Rechte hat die Kulturpolitik als Kampffeld entdeckt, um ihre völkischen Vorstellungen umzusetzen. Rechte Gruppierungen und Parteien stören Veranstaltungen, verhindern Ausstellungen, greifen in Theater-Spielpläne ein, polemisieren gegen die Freiheit der Kunst und arbeiten an einer Renationalisierung der Kultur. Es wird ein Feldzug gegen zeitgenössische, ‚undeutsche‘ Kunst geführt, die als ‚neumodische Extravaganzen‘ und ‚exzentrische Randgruppenkunst’ bezeichnet wird.“ Wir haben mit Dirk Teschner über die aktuelle Ausstellung gesprochen.
Hallo Dirk, was wird bei der aktuellen „Kunst gegen Rechts“-Ausstellung zu sehen sein?
Alle Sparten: Zeichnung, Malerei, Fotografie, Video, Objekte, Installation, Plakate. Anne Mundo zum Beispiel zeichnete ihre Arbeit „Alarm“ beim Hören der LP „Alarm“ von der Peter Brötzmann Group. Die Peter Brötzmann Group (bestehend aus neun Musikern aus sechs Ländern) spielte im November 1981 unter dem Eindruck der Aufrüstung atomarer Mittelstreckenraketen in West- und Osteuropa diese LP ein. Den Ausgangspunkt für das Werk bilden die von den Musikern erschreckend real imitierten Warntöne eines Sirenenalarms. Die Arbeit von Anne Mundo, wie auch ihre bei der Ausstellung in Gera zu sehenden Arbeiten „machine gun“, „Ein Riss geht durch die Welt (pain for free)“ und „Manipulation und Wut“ entstanden aktuell im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und die akute Gefahr von Einsatz atomarer Waffen.
Lukas Lieses Objekt „Mit Aluhut und Pickelhaube“, bestehend aus Eisenguss und Aluminiumguss, behandelt das verstärkte Aufkommen von Verschwörungserzählungen der letzten Jahre. Unter deren Deckmantel werden gezielt antisemitische und rassistische Ressentiments geschürt, zum Beispiel die Chemtrail-Verschwörung oder die sogenannte Reichsbürger-Bewegung. Im Zuge seiner Auseinandersetzung und intensiver Recherche sind Skulpturen und Installationen entstanden, die die politische, mediale und kommerzielle Verbreitung der Bildästhetik der Verschwörungserzählungen in verschiedenen Materialien reflektieren.
Peter Dobroschkes Video „Um die Schuld manövrierend“ stellt aus Pressebildern des Prozesses gegen einen über 100-jährigen Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen, dem Beihilfe zum Mord in 3518 Fällen vorgeworfen wird, in diesem Video die Prozessgeschehnisse nach. Statt der Originale wurden die Situationen vom Künstler selbst fotografisch nachgestellt und auf die Drehung des im Fokus liegenden Ordners reduziert. Beim monotonen Durchblättern der Bilder versackt die Gesichtslosigkeit der Taten in der blauen Fläche eines bürokratischen Aktendeckels.
Wie geht ihr mit der aktuellen KGR-Ausstellung kritisch auf aktuelle, gesellschaftliche Konflikte ein?
Wie in den Beispielen erkennbar, werden Themen wie Verschwörungserzählungen bei den aktuellen Demonstrationen, der Krieg gegen die Ukraine behandelt, wie auch die Thematik Kolonialismus und Raubkunst bei Zoe Claire Miller, die weitere Aufarbeitung der Terrortaten des NSU, bei Regina Schmeken oder der Umgang mit der Geschichte der Shoa, bei Stephanie Kloss. Es werden auch Projekte vorgestellt, wie „Buchenwald. Ein Audiowalk“ von Samantha Font-Sala und Arbeitsgruppe. Dort haben junge Erwachsene mit sehr unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Kompetenzen – Menschen mit und ohne Flucht- oder Migrationsbiografien, sich mit der Geschichte des KZ Buchenwald sowie deren Gegenwartsrelevanz auseinandergesetzt.
Die Ausstellung hat unter anderem den Untertitel „Kunst schlägt Alarm!“. Wie genau schlägt sie Alarm?
Das ist natürlich als Behauptung formuliert, ist aber gleichzeitig auch als Aufruf gemeint. Alarm schlagen geschieht einerseits durch die Behandlung der Themen in den künstlerischen Arbeiten, aber auch im Einmischen durch aktives Arbeiten in Aktionsgruppen, wie bei Raul Walch bei „Die Vielen“ oder Zoe Claire Miller, die das Thema „Schlossdebatte und Umgang mit Nazivermögen“ in den Kunstkontext setzt. Es werden auch Räume wie „Spreeufer“ in Berlin als antikolonialer Ausstellung- und Aktionsraum gegründet.
Oder Ulf Aminde, dessen Arbeit im letzten Jahr in Gera zu sehen war. Zusammen mit der Anwohnerinitiative „Herkesin Meydanı – Platz für Alle“ in Köln entwickelte er in langjährigen Auseinandersetzungen mit der dortigen Stadtverwaltung das „Mahnmal Keupstraße“. Es erinnert an den ersten Nagelbombenanschlag des NSU auf Läden migrantischer Einzelhändler in der Kölner Keupstraße. Das Mahnmal bietet nun die Chance, der jahrelangen Stigmatisierung der Bewohner:innen der Keupstraße zumindest symbolisch etwas entgegenzusetzen und ein Ort des Gesprächs und Aktion zu werden.
Zuletzt war die 8. Ausgabe von Kunst gegen Rechts in Berlin, wie war dort die Resonanz?
In Berlin fand die KGR-Ausstellung wieder in den Uferhallen im Wedding statt. Das ist ein großes, von Vertreibung gefährdetes, Ateliergelände. Dort fand die Ausstellung in unmittelbarer Nachbarschaft der Uferhallenausstellung und des „Berlin Art Week – Garden“ statt. Dadurch entstand ein fruchtbarer Austausch und Bündelung verschiedener Akteur:innen. In der zweiwöchigen Laufzeit kamen etwa 15.000 Besucher:innen und es gab Austausch mit Aktionsgruppen, Galerien und Institutionen.
Vor einem Jahr war die Reihe KGR zum ersten Mal in Gera zu sehen. Wie kam es zur erneuten Ausstellung?
Im letzten Jahr eröffnete in Gera die Galerie Sorglos, später Mieze Südlich ihre neuen Räume mit der KGR-Ausstellung. Der Besitzer des Gebäudes untersagte danach Ausstellungen mit politischem Inhalt. Jetzt ziehen Thomas und Jana Prochnow um und übernehmen die Räume der Galerie für zeitgenössische Kunst in der Häselburg unter ihrem Namen Mieze Südlich. Die KGR-Ausstellung ist auch dort ihre erste Ausstellung. Sozusagen ist die KGR wieder die Weihe.
Was kann Kunst machen, damit sich Vorfälle wie die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen nicht wiederholen?
Dazu ist Kunst und die diese produzierende Kulturarbeiter:innen zu schwach, um so etwas wieder zu verhindern. Aber einen Beitrag dazu können Künstler:innen leisten, als Teil einer Bewegung, aber auch durch ihre Arbeiten. Kunst erreicht auch ein anderes Publikum und kann, wie schon viele Beispiele zeigen, auch im öffentlichen Raum agieren. Aufklären durch Kunst, die Unruhe in der Gesellschaft reflektieren, einen Diskurs anschieben und dann doch auch gleichzeitig durch eine qualitative Ästhetik andere Regungen zu erzeugen.
Warum darf man nie müde werden, „Alarm“ zu schlagen?
Ein gutes Beispiel ist der erste Gesetzentwurf der neuen rechtsradikalen Regierung in Italien, der fordert eine harte Hand gegen ungenehmigte Raves mit einer Höchststrafe von 10 Jahren Gefängnis für Organisator:innen. Das heißt, nicht die Unterstützung der Bevölkerung durch steigende Energiepreise, nicht Maßnahmen gegen Klimazerstörung oder Krankenhausüberfüllungen durch CovidPatienten sind die ersten Maßnahmen der Regierung, sondern Repressionen gegen die Kulturszene. Das zeigt doch auch, welche Gefahr Rechtsradikale und Faschisten in Kultur und Kunst sehen. Soll heißen, auch uns betrifft das Anwachsen rechtsradikaler Bewegungen in ganz Europa ganz konkret. Somit ist eine Solidarisierung mit allen von Rechts attackierten Gruppen, Institutionen und Personen wichtiger denn je und gemeinsames Handeln das Gebot der Stunde!
Hard Facts:
- Kunst gegen Rechts
Eröffnung mit Vernissage: 18. November, 18 Uhr
- Ort: Kulturhaus | Mieze Südlich / Häselburg | Burgstraße 12 | 07545 Gera
- Öffnungszeiten: Di.: 11 bis 19 Uhr | So.: 15 bis 18 Uhr
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