Was würdest du als „typisch deutsch“ bezeichnen? „Ich kann es so nicht sagen. Hier ist es wie überall, oder wie im Iran. Manche Menschen sind so, andere so. Manche sind sympathisch und geben viel, andere lehnen andere ab. Menschen sind unterschiedlich“, antwortet Shabnam. Die 38-jährige Iranerin wohnt zum Zeitpunkt, als sie von Samantha Font-Sala für ihr Kunstprojekt interviewt und fotografiert wird, seit sechs Monaten in Deutschland. Shabnam und ihre Familie hatten Probleme mit der iranischen Regierung und mussten fliehen. Für die junge Mutter ist es das Wichtigste, dass ihre Kinder in Sicherheit sind.
Foto-Ausstellung von Samantha Font-Sala in Erfurt
Shabnams Interview mit neun weiteren Fragen ist derzeit auf einer großen Tafel am Buga-Standort Petersberg zu sehen. „In Thüringen zu Hause – Porträts von Zugewanderten“ heißt die Foto-Ausstellung von Samantha Font-Sala – präsentiert von Annett Roswora, der Thüringer Beauftragen für Integration, Migration und Flüchtlinge, die noch bis 10. Oktober inmitten der Pflanzenpracht gastiert. Zu sehen sind acht Tafeln, die Menschen wie Shabnam zeigen. Menschen mit Migrationsgeschichte. Darunter der 27 Jahre alte Emir aus der Türkei, der aufgrund seiner ethnischen Volksgruppe in seinem Heimatland diskriminiert wird. Oder die 48-jährige Masuma, die vor dem Krieg in ihrem Heimatland Afghanistan floh. Unter den dargestellten Ausländern ist aber auch die Französin Agnès, die aufgrund ihrer Arbeit in Thüringen gelandet ist.
„Das sollte man so nicht sagen“, unterbricht Annett Roswora, die das Interview mit Samantha begleitet. „Es sind keine Ausländer. Es sind Menschen mit Migrationsgeschichte.“ Und da trifft die 42-jährige Künstlerin einen Nerv. Die dargestellten Personen sind Menschen. Menschen, wie du und ich. Menschen, die in fast zärtlich wirkenden Bildern von Samantha portraitiert werden. Ihre Fotografien zeigen die Abgebildeten fast nie frontal. Neben den Gesichtern, die teilweise in Spiegelungen oder von der Seite festgehalten sind, arrangiert Samantha Stilleben. Da eine Puppe. Dort ein Zettel an der Wand. Oder eine Schüssel voller bunter Schokoladenostereier.
Dramaturgie durch Stillleben
Es sind immer Fotografien, die sie bei den Portraitierten zu Hause aufgenommen hat. Gemeinsam mit dem Interview runden sie das Bild des Menschen ab. Beim Betrachten und Lesen fühlt man sich in das Leben der Person hineingezogen. Ein Gefühl, das von Samantha ganz bewusst erzeugt wird. „Die Thematik steht im Mittelpunkt. Durch die Dramaturgie der Fragen und Bilder soll man sich mit dem Menschen identifizieren können. Deshalb die Stillleben. Was man um sich herum hat, erzählt viel über dich“, sagt Samantha und erzählt eine Geschichte.
„Ich bin in Frankreich geboren und habe in Nizza und München studiert. Ich wohne hier. Arbeite hier. Und hab‘ meine Familie hier. Als meine Tochter vor ein paar Jahren eingeschult wurde, war das wie eine fremde Welt für mich. Das Schulsystem in Frankreich funktioniert anders als in Deutschland. Hier ist es scheinbar wichtig, wo du wohnst und auf welche Schule deine Kinder deshalb müssen. Damals sagte eine Freundin: Aber Sam, auf diese Schule kannst du deine Tochter nicht schicken. Da sind so viele Ausländer. Ich verstand diese Aussage damals nicht. Ich bin doch auch eine Ausländerin. Wer sind diese Ausländer eigentlich, fragte ich mich“, sagt Samantha und markiert mit ihrer Erzählung den Startpunkt ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit Rassismus, Vorurteilen und Diskriminierung. „Warum werden andere Ausländer nicht betrachtet wie ich? Ich bin doch auch eine Ausländerin? Nur weil meine Freundin mich kannte, war ich in ihren Augen nicht mehr dieser fremde Mensch.“
Vielfalt zeigen
Und genau da setzt Samantha an. Sie will mit ihrer Ausstellung Vielfalt proklamieren, die Menschen miteinander bekannt machen. Zeigen, dass wir alle Menschen mit Geschichte sind. Menschen, die nicht einfach aufgrund ihrer Herkunft verurteilt und diskriminiert werden sollten. Menschen wie Shabnam, Masuma, Emir oder Agnès. Menschen wie Samantha. Menschen wie du und ich …