Mitten auf einem Hügel in einem weiten Weizenfeld in Roldisleben im Landkreis Sömmerda stehen zwei Pavillons. Sie brechen das pittoreske Landschaftsbild. Einer ist schwarz, der andere weiß gestrichen. Zusammen sind beide etwa 64 Quadratmeter groß. Verbunden sind die Bauwerke durch ein industrielles Förderband. Aus langen Brettern wurde die kastenförmige Architektur mit jeweils einem spitzen Dach gebaut. Als ob ein kleiner Landwirtschaftlicher Betrieb in die Botanik versetzt wurde. Aus der Nähe betrachtet, erschließt sich weitere Tiefe: Im schwarzen Pavillon ist eine Vertiefung gegraben, die mit Schaufeln und Pickeln ausgestattet wurde. Im weißen Pavillon hingegen ist alles flach ausgelegt. Steht der Betrachter auf Höhe der Konstruktionen, hat er einen weiten Blick in Richtung des Dorfes.
„Bevor es im Dreißigjährigen Krieg niederbrannte.“
Roldisleben soll sich ursprünglich an dieser Stelle befunden haben, bevor es im Dreißigjährigen Krieg niederbrannte. Der mysteriöser Fleck auf dem Feld, auf dem die Pavillons stehen, beschäftigt die Dorfbewohner schon seit über 30 Jahren. Obwohl die Erde dort feucht ist, wächst keine einzige Pflanze. Die Denkmalschutzbehörde und auch andere Experten können sich dieses Phänomen bisher nicht erklären.
Ein perfekter Platz also, um das oben beschriebene Kunstwerk „Hole/Mound“ (Loch/Hügel) zu installieren, befand
das Künstlerkollektiv YRD, das für diese temporären Bauwerke verantwortlich ist. Die Bauwerke sind Teil einer partizipativen Installation der Spiegelarche mit dem Thema „Intervention“. Der gemeinnützige Verein „der grüne Salon“, der sich für die Förderung des ländlichen Raumes in den Bereichen Kunst, Kultur und auch Bildung einsetzt, entwickelte 2020 die Spiegelarche, ein Kunstprojekt, das für nachhaltige gesellschaftliche Transformation im ländlichen Raum steht. Die zwei verspiegelten Container sind nur einige Meter hinter den Bauwerken des Künstlerkollektives aufgebaut.
Kein Wettbewerb
Cornelia Saalfrank, Kuratorin des Kunstprojektes an der Spiegelarche, holte das Kollektiv YRD.Works nach Roldisleben. Sie kenne die drei Künstler schon länger, erklärte sie und sei von ihrer Arbeiten begeistert gewesen. Deshalb musste das Kollektiv keinen Wettbewerb durchlaufen. In den vergangenen Jahren war das anders. Dieses Jahr lud die Kuratorin sie „einfach mal“ ein. Jedes Jahr gab es bis dato für die Künstler eine andere Aufgabenstellung. Nach den Ausstellungen „Isolation“ 2021 und „Illusion“ 2022 ging es in diesem Jahr um „Intervention“.
„Wir schaffen kurzfristige Begegnungsorte“
Das Offenbacher Kollektiv rund um Yacin Boudalfa, Ruben Fischer und David Bausch. die mit den Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen den Namen des YRD.Works Kollektives bilden, lernte sich während ihrer Schulzeit kennen. Gemeinsam studierten sie Kunst an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main. Sie erarbeiten seit 2015 eigenständig initiierte Projekte für Kulturinstitutionen und Festivals. 2018 gewannen sie sogar den Kunstpreis der Stadt Nordhorn. „Bei unserer Arbeit interessieren uns besonders temporäre Räume und deren soziale Funktion. Wir schaffen kurzfristige Begegnungsorte und forschen an der Schnittstelle von Raum, Skulptur und Aktion. Für uns ist es wichtig, unsere architektonischen Interventionen nicht losgelöst von den Betrachtenden zu verstehen, sondern diese aktiv in den Ort zu integrieren“, erklären die Künstler und fügen an: „Unsere Arbeitsweise ist nicht auf ein bestimmtes Medium festgelegt und wir sehen es als Herausforderung an, uns projektbezogen neue Praktiken anzueignen. Ausgangspunkt unserer Raumskulpturen und performativen Aktionen ist häufig die Frage, was an einem Ort fehlt.“
Begeistert von den Projekten fragte die Spiegelarche-Kuratorin das Kollektiv an. „Wir sprachen das erste Mal mit YRD.Works im Sommer letzten Jahres. Da war schon eine Vertrauensbasis da“, so Saalfrank. Vor Pfingsten fingen die drei schließlich an, die Pavillons zu bauen. Da das Projekt temporär ist, stellten die Künstler einen Bauantrag. Insgesamt drei Mal hat sich das Kollektiv bisher zur Errichtung ihres Projekts getroffen, wie Künstler Yacin Boudalfa im Gespräch mit unserer Zeitung berichtet. Freunde halfen dem Kollektiv beim Bau der Pavillons. Immer mit der Idee im Hinterkopf, Natur und Kultur gegenüberzustellen. „Hole/Mound“ thematisiere den Transformationsprozess und die Kultivierung, den die Erde durch gemeinschaftliche Arbeit des Publikums erfährt. „Der Plan war, dass wir nicht allein das Kunstwerk schaffen, sondern gemeinsam mit dem Publikum. So stellt sich die Frage ‚Wer ist der Schaffende? Wer baut die Skulptur?‘. Die Besucher sind ein Teil davon“, so Yacin Boudalfa.
„Die Besucher sind ein Teil davon“
Mit Schaufeln und Pickeln ausgestattet wird das Publikum im schwarzen Pavillon ein tiefes Loch graben. Das Transportband befördert den Erdaushub in den anderen Pavillon, wo dieser durch eine Luke in der Seitenwand in den Innenraum fällt. Somit entsteht in der Mitte des weißen Pavillons ein wachsender Erdhügel. „Es gibt ein Schild mit genauen Anweisungen. Ich schätze fünf bis sechs Leute können hier graben. Ausreichend Schaufeln liegen bereit“, erklärt Boudalfa. Inspiration für die Künstler lieferte die White-Cube-Architektur, bei der Kunst vor dem Hintergrund einer weißen Fläche erstellt wird, um sie sichtbarer erscheinen zu lassen. Somit entsteht ein Kontrast, der sich durch das gesamte Projekt zieht: schwarz und weiß, Loch und Hügel, die eine Tür des Pavillons rechts, die andere links. „Der Unterschied ist auch, dass der Gast im schwarzen Pavillon aktiv ist und gräbt, und die Erde anfasst. Im weißen Bauwerk ist der Besuchende hingegen einfach Betrachter:in, bleibt stehen und schaut sich alles an“, ergänzt Yacin Boudalfa.
Intervention“ spielt mit dem Material Erde als nährender Boden, der für Ursprung und Geburt steht. Erde stehe aber auch für Zerstörung. „Sie ist als Boden unter unseren Füßen Gemeingut und als Ort, an dem wir leben, ein zu schützendes Territorium: Eigentum und Heimat“, erklärt die Kuratorin Cornelia Saalfrank und fügt an: „Die interaktive Installation Hole/Mound entwickelt durch die aktive Einflussnahme jedes Einzelnen ein Gefühl des Miteinanders und der Teilhabe. Das Kunstwerk steht zudem als Sinnbild für ein dynamisches Gleichgewicht der Gegensätzlichkeiten und die wechselseitige Abhängigkeit von Kultur und Natur.“ Am Ende der Arbeit soll ein Vorher-Nachher-Bild entstehen, welches auch ausgestellt wird. Die Vorstellung der Künstler sei, dass synchron zwei abstrakte Skulpturen entstehen, die die Kraft gemeinschaftlichen Engagements symbolisieren. Bis zum 27. August können sich Besucher:innen das Kunstwerk immer samstags und sonntags zwischen 10 und 18 Uhr ansehen und gemeinsam daran mitwirken.
Hard Facts:
- Intervention: bis 28. August | Sa. und So. | 10 bis 18 Uhr | Mehr: www.spiegelarche.de
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Text: Clara-Luisa Weiland