Die Stühle, die eigentlich für die Theaterbesucher gedacht sind, stehen gestapelt in der Ecke. Teile einer Schaufensterpuppe liegen im Regal. Die Bühne wartet zerlegt am Boden auf ihren Wiederaufbau. Requisiten stapeln sich gen Decke. Die Blaue Bühne in Erfurt ist umgezogen. Erfurts jüngstes Theater soll 2021 neu in der Rathenaustraße erblühen. Was sich zunächst nach einer guten Botschaft anhört – Aufbruch und Neustart stehen ja im allgemeinen Sprachgebrauch für etwas Gutes –, hat in Wahrheit leider einen faden Beigeschmack.
Umzug ist Rettungsanker
Der Lockdown und das „Kulturkoma“ haben die Blaue Bühne hart getroffen. Der Umzug ist ein Rettungsanker. Eine Fluchtreaktion, wie Angie Ahrens es nennt. Erst im Februar 2020 ging die ausgebildete Schauspielerin mit ihrem Theater am Juri-Gagarin-Ring in Erfurt an den Start. Neue moderne Räume. Miete: 2.000 Euro monatlich. Spielzeit: nicht mal ein Monat. Dann kam der Lockdown. Etwa 10.000 Euro Unterstützung hat sie portionsweise vom Staat erhalten. Bei einem Jahr Einmietung in den alten Räumen kann man sich selbst ausrechnen, was davon überblieb.
Traum nicht aufgeben
„Ich gehe verschuldet ins neue Jahr“, sagt Angie und hat nichtsdestotrotz ein Lächeln auf den Lippen. „Es nützt alles nichts. Ich möchte meinen Traum nicht aufgeben“, fügt sie an. Es ist ein Traum, der lange vor Corona begann. 2008 ging Angie nach Berlin, wo sie Schauspiel studierte. Nach ihrer Ausbildung in der Hauptstadt zog es sie zurück in die Heimat. Ihrer Passion ging sie ab 2010 im Theater im Palais in Erfurt nach. Neben ihrer Arbeit als Mimin erweiterte sie ihr Repertoire mit Workshops.
Mit Leidenschaft helfen
„Ich wollte schon immer mit meiner Leidenschaft Menschen helfen, sie abholen und unterstützen. Dafür ist Theater wunderbar geeignet“, erklärt die Schauspielerin, die deshalb Projekte mit Kindern und schwer erziehbaren Jugendlichen umsetzt. In Weimar und Apolda schloss sie sich dem „talentCAMPus“ an. Sie bringt Jugendliche zwischen 9 und 18 Jahren, die in sozialen oder finanziellen Risikolagen aufwachsen, Kultur näher. 2018, als sie sich entschied, eine Bühne zu gründen, schien die Idee grandios. „Mit der Blauen Bühne wollte ich einen Ort schaffen, an dem ich mit lieben Kollegen eigene Stücke auf den Weg bringe. Zudem sollten die Workshops in Erfurt eine Heimat finden“, sagt Angie und fügt an: „Die Blaue Bühne startete mit großem Erfolg. Dann kam Corona. Alles ging von 100 auf null. Zunächst dachte ich noch, wir können nach ein paar Wochen wieder starten. Doch ich wurden eines Besseren belehrt“, erinnert sich die Theater-Chefin.
Hoffnung auf Besserung schwand
Glücklicherweise hatten Angie und ihr Team den Sommer. Sie spielten Open-Air-Theater im Stadtgarten und in Weimar. Anfang Oktober 2020 war jedoch klar, dass die Räume am Juri nicht gehalten werden können. Die Hoffnung auf Besserung schwand. Zwei geplante Stücke, die „Schneekönigin“ und ein Comedy-Programm, kamen bis dato nicht zur Aufführung.
Zusammenarbeit mit Kaisersaal
Aber aufgeschoben heißt nicht aufgehoben. Die passionierte Schauspielerin lässt sich nicht unterkriegen. „Wir haben viele Pläne“, erklärt sie freudestrahlend. „Mit dem Kaisersaal arbeiten wir an einem Mafia-Dinner. Zudem sieht es so aus, als ob wir in diesem Jahr in der Barfüßerruine und in Weimar auftreten können. Wir versuchen zu machen, was möglich ist. Mit der Unterstützung meiner Schauspielkollegen und meiner Familie schaffe ich das. Ich hänge meinen Traum nicht wegen Corona an den Nagel!“
Neue Räume haben Charme
Während sie diese Worte spricht, sitzen wir beim Interview – natürlich mit Abstand – in den neuen Räumen in der Thälmannstraße. Ihre kleine Tochter Amy, die die passionierte Theaterschauspielerin mitgebraucht hat, setzt sich auf ihren Schoß. Das kleine Mädchen umarmt ihre Mutter unterstützend. Angie ist mit der Blauen Bühne in ihrem neuen Unterschlupf angekommen. Anfang Februar war Schlüsselübergabe. Die Räume in der Thälmannstraße haben Charme. Mehr als die alten: Hohe Fenster, teilweise vertäfelte Decken – da kann man was draus machen. Ein Aufbruch liegt in der Luft. Alles steht auf Neustart. Eine gute Nachricht.
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