Im April machte das Coronavirus den Gedenktag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald in seiner geplanten Form unmöglich. Überlebende konnten nicht anreisen, Veranstaltungen mussten abgesagt werden. Um so mehr möchte Achava an Buchenwald erinnern. Fünf Veranstaltungen (Ausstellung, zwei Dokumentar-Filme, Gesprächswanderung, multimediale Installation) blicken zurück und spannen den Bogen ins Hier und Jetzt. „Die Erinnerungsarbeit ist besonders heutzutage sehr wichtig“, erläutert Martin Kranz das Programm. „Die Überlebenden stehen im Mittelpunkt, denn sie sind die letzten Zeugen einer Epoche menschenverachtender Grausamkeit und gleichzeitig, als Überlebende, ganz besondere Menschen, die versöhnlich aufklären möchten. Zudem bin ich dankbar, dass für die Realisierung dieser Projekte die Stadt Weimar, das Kunstfest Weimar und die Gedenkstätte Buchenwald als Kooperationspartner mit im Boot sind.“
Achava startet am 11. September in Weimar
Weimar steht für Humanismus, Aufklärung und die Moderne genauso wie für Barbarei und Völkermord. Das Konzentrationslager Buchenwald auf dem Ettersberg gehört zur Ambivalenz dieser Stadt und soll uns Mahnung sein. Die Häftlinge des Konzentrationslagers wurden durch die Stadt getrieben und waren somit sichtbar.
Der Weg vom Weimarer Hauptbahnhof in die Innenstadt ist von zahlreichen Wegmarken gesäumt. Im Norden der Bahnhofsvorplatz, er ist stark frequentiert, der Platz der 56.000 hat direkten Bezug zum Konzentrationslager, das Neue Museum als ein Ort der Kunst, das jetzige Landesverwaltungsamt war früher Gauforum und somit Sitz des Nationalsozialismus und im Süden das neue Bauhaus Museum als Synonym des Aufbruchs in die Moderne.
Der Weimarer Fotograf Thomas Müller porträtierte über mehrere Jahre ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald aus verschiedenen Nationen. Sechzehn großformatige Fotoporträts stehen bereits seit dem 1. April 2019 im Stadtraum und werden im April 2020 um 6 weitere Fototafeln von Buchenwaldüberlebenden (Éva Fahidi-Pusztai, Günter Pappenheim, Tadeusz Kowalski, Josef Falkash, Zbigniew (Sbigneus) Pec, Raymond Renaud) auf dem Stéphane-Hessel-Platz und dem Jorge-Semprún-Platz ergänzt.
- Wann? 11. September | 17 Uhr
- Wo? Vernissage der Fotoausstellung im öffentlichen Raum
- Künstler: Thomas Müller
- zusätzliche Portraits: Jorge-Semprún-Platz | Stéphane-Hessel-Platz
Kinderblock 66 – Dokumentarfilm
1944, als der Krieg in seine letzte Phase eintrat, stieg die Zahl der Häftlinge in Buchenwald noch einmal an. Tausende Menschen, die die Ghettos und Vernichtungslager im Osten überlebt hatten, wurden unter furchtbaren Strapazen in das Konzentrationslager nahe Weimar gebracht. Die meisten von ihnen wurden als Juden verfolgt, unter ihnen waren viele Kinder und Jugendliche. Sie wurden von den Häftlingen u. a. in einem besonderen Block vor dem Zugriff der SS- Wachen geschützt: der Block 66. Hier erlebten etwa 900 von ihnen die Befreiung durch amerikanische Truppen am 11. April 1945. Unter ihnen waren auch Naftali-Duro Fürst, Pavel Kohn, Israel-László Lázár und Alex Moskovic. Der Film erzählt die Geschichten dieser vier Überlebenden und begleitet sie, als sie, 65 Jahre nach der Befreiung, im April 2010 nach Buchenwald zurückkehren.
Wann? 12. September | 11 Uhr | 90 Minuten
Regie: Rob Cohen
Produzent: Steven Moskovic
Ort: Lichthaus Kino Weimar | Am Kirschberg 4 | 99423 Weimar
Eintritt frei
Die Verhüllung
Das sich in der Renovierung befindliche und eingerüstete Rathaus von Weimar fungiert für vier Wochen als Symbolort für das Erinnern. Ein großformatiges Foto aus der Zeit der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald vom April 1945 wird die Rathausfassade komplett einhüllen. Unmittelbar gegenüber desBalkons des Hotel Elephants, von dem sich Adolf Hitler der jubelnden Weimarer Bevölkerung zeigte, werden die befreiten Buchenwaldhäftlinge und die Silhouette des Lagereingangs mit der berühmten Turmuhr den Weimarer Marktplatz dominieren.
Ottomar Rothmann´s Film „Mensch“
Auf einer großformatigen Videowall wird täglich der 2012 entstandene Dokumentarfilm „Ottomar Rothmann – Mensch“ des Regisseurs Thomas Kutschker gezeigt. Ottomar Rothmann war seit 1943 Häftling im Konzentrationslager Buchenwald. Im Gespräch mit dem Filmemacher beschreibt er das alltägliche Leben der Häftlinge, von der Ankunft bis zum Tod. Rothmanns ruhiger Erzählton und Kutschkers Kamera lassen die historischen Szenen im Kopf wieder auferstehen. Ottomar Rothmann lebte bis zu seinem Tod am 14.12.2018 in Weimar und ist heute Ehrenbürger der Stadt.
- Wann? Der 15-minütige Film wird bis zum 12. Oktober vier Mal täglich gezeigt:
10 Uhr | 12 Uhr | 15 Uhr | 18 Uhr.
Die Projektion
In den Abendstunden wird die Fassade des Rathauses mit großformatigen Projektionsinterventionen im Geiste „Genius Loci Weimar“ bespielt. Weitere 22 Buchenwaldüberlebende – Die Zeugen – sind Grundlage dieser künstlerischen Arbeit von Hendrik Wendler. Die ursprünglichen Porträts des Fotografen Thomas Müller stehen seit April 2019 als Open-air-Ausstellung in der Weimarer Nordstadt. Die Überlebenden werden allabendlich die Besucher betrachten und von ihnen betrachtet werden. Eine intime und zugleich berührende Begegnung des Lebens. Eine Koproduktion von Achava Festspiele Thüringen und Kunstfest Weimar in Kooperation mit Genius Loci Weimar, Stadt Weimar, Förderverein Buchenwald e.V., der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Pigmentpol Weimar und Goldwiege Weimar.
Der Gang nach Buchenwald – Spaziergang
Ein künstlerischer Spaziergang auf historischer Route anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald. Ausgangspunkt für diese soziale Skulptur ist der 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald am 11. April 2020. Der Tag des Projektes, der 12. September 2020, fällt auf den Abschlusstag des Kunstfestes Weimar und das Eröffnungs-Wochenende der Achava Festspiele. Kern des Projektes ist ein gemeinschaftlicher Spaziergang zum Eingangstor des KZ Buchenwald. Der Weg soll vom Bahnhofsvorplatz über die Ost-Unterführung der Bahngleise, über die Ettersburger Straße und die Blutstrasse durch den Ettersberger Wald hinauf führen bis zum Carachoweg.
Gemeinsam den Weg beschreiten
Die Streckenführung hat einen doppelten historischen Hintergrund: Einerseits mussten diesen Weg bis Oktober 1939 die Buchenwaldhäftlinge nehmen (danach kamen die Häftlinge bis zur Inbetriebnahme der Buchenwald-Bahn 1943 überwiegend am Güterbahnhof an), andererseits war dies auch der Weg, den rund 1.000 Weimarer Bürger*innen am 16. April 1945 nahmen, als sie von US-amerikanischen Besatzungstruppen dazu befehligt wurden, sich das Grauen von Buchenwald mit eigenen Augen anzuschauen. Die Teilnehmer des Gangs werden die Möglichkeit haben, über eine App (oder mittels eines geliehenen iPod) mit Kopfhörern einen künstlerisch gestalteten Audiowalk von etwa einer Stunde zu hören.
In Buchenwald erwarten den Besucher künstlerische Interventionen und thematische Sonderführungen. Durch Schauspielerinnen und Schauspieler des Deutschen Nationaltheaters Weimar werden Texte von Überlebenden Buchenwalds wie Imre Kertész, Stéphane Hessel, Jorge Semprún und Naftali Fürst an besonderen Orten vorgetragen. An ausgewählten Orten im und um das Lager erklingt in Buchenwald komponierte Musik.
Der Rückweg nach Weimar erfolgt mit einem Bus-Shuttle.
- Wann? 13. September | 10.30 Uhr
- Wo? Treffpunkt ist der Bahnhofsvorplatz Weimar
Vier Buchenwaldüberlebende im Porträt – Dokumentarfilm
Was sind es für Menschen, die das Grauen der Konzentrationslager erlebt haben? Diese Frage stellt sich immer wieder bei Begegnungen mit ehemaligen KZ-Häftlingen, sie stellt sich nach dem Lesen ihrer Tatsachenberichte, von historischen Abhandlungen, nach Filmen zum Thema, anlässlich von Gerichtsprozessen und Gedenkveranstaltungen. Hier setzt der Film an, im Alltag dieser Menschen, die mittlerweile das 9. Lebensjahrzehnt überschritten haben. In ihrer Jugend, vor mehr als 75 Jahren, haben sie etwas erlebt, das es in der Menschheitsgeschichte so noch nicht gegeben hatte. Gemessen an ihrem heutigen Alter war jenes Martyrium nur ein sehr kleiner Augenblick in ihrem Leben. Sie hatten also seither eine lange Zeit damit umzugehen. Hatten Mut zu sammeln, um einen Alltag zu bestreiten, Kinder zu bekommen und zu erziehen, in Berufen zu arbeiten, kurz: ein „normales Leben“ zu führen. Doch wie sieht dieses „normale Leben“ aus? Kann so etwas „funktionieren?“
Der Film zeigt die Poesie ihres Alltags
Der Film widmet sich vier Buchenwald-Überlebenden. Er zeigt sie und ihren Alltag. Vielmehr: die Poesie ihres Alltags. Kleine und große Dinge: der bestellte Garten, eine gedrechselte Figur, geschriebene und noch zu schreibende Romane, die Glasveranda voller zahlloser Zimmerpflanzen, der Kaffee am Morgen, der Wein am Mittag, der Schnaps nebenbei. Das Modell des Lagers Buchenwald in zweifacher Ausführung, der Vortrag vor einer Schulklasse, das Essen mit der Familie. Die Kümmernisse des Alters, die Einsamkeit der Nacht, die schon am Spätnachmittag deutlich zu ahnen ist.
Provozierung des Nachdenkens
Durch die filmische, jedoch nicht kommentierende Schilderung des unmittelbaren Lebensumfeldes eröffnet sich dem Zuschauer ein Wahrnehmungsdruck: alles ist gleich, alles ist anders; Schichten von Wahrheiten; normale Rentner, keine normalen Rentner; Zeitzeuge, Zeuge des eigenen Lebenslaufes; auf den Kopf gestellte, zu hinterfragende Alltäglichkeit. Die Langsamkeit der Bilder, die Länge der Einstellungen zwingen nicht nur zum Hinschauen. Sie provozieren das direkte Nachdenken über jene Personen, denen der Film gewidmet ist. Vier Menschen am Ende ihres Lebens. Vier Menschen, die alles verloren hatten: eine Kindheit, Jugend, die Eltern, das Vertrauen in die Zukunft. Vier Menschen, die im „Lager“ waren. Für die Orte, wie Auschwitz und Buchenwald keine Ausflugsziele gewesen sind. Vier Menschen, die zurück kamen ins Leben, was auch immer das für sie bedeutete. Ein kleiner Teil, ein winziger Ausschnitt davon, wird in dem Film zu sehen sein.