Sie ist offizielle Senfbotschafterin, DJane und Thüringer Waldfee – Heidi Witzka. Die Drag Queen aus Jena tritt gemeinsam mit ihren Kolleg:innen an, die hiesige Kulturlandschaft zu bereichern. Sie gehört zu einer jungen Generation an Entertainer:innen, die mit ihren Auftritten und Veranstaltungen abseits von Varieté und Travestie das Genre erweitern und es im Clubumfeld auch neuen Zielgruppen erschließen. Bei Auftritten zu CSDs, im Kassablanca sowie im Rosenkeller in Jena hat sie sich ihre Sporen verdient. Wir hatten das Vergnügen mit der 23-Jährigen zu sprechen, die bürgerlich Konrad heißt und der Thüringer Provinz Anmut und Grazie verleiht.
Heidi, was treibt dich an?
Ach, oh je … (denkt nach) … dass ich schon seit Kindheitstagen große Lust habe, auf der Bühne zu stehen und zu performen. Als Kind schaute ich mit meinen Omas immer Florian Silbereisen und schon damals sagte ich: „Ich möchte mal Tänzer beim MDR-Fernsehballett werden“.
Und wie war das mit Heidi Witzka?
Der eigentliche Antrieb, „Heidi Witzka“ zu sein, entstand im Lockdown aus Langeweile. Da kaufte ich zusammen mit meiner besten Freundin Kosmetik in der Drogerie und wir ließen in einer Nacht- und Nebelaktion im Bad das erste Mal „Heidi Witzka“ entstehen. Damals hatte sie noch keinen richtigen Namen. Ich knipste dann ein Foto, meldete einen Instagram-Account an und dachte: „So, jetzt poste ich hier mal so meinen ganzen Kram“. Die Drag-Internetseite war geboren.
In drei Sätzen, was bedeutet Drag für dich?
Drag ist die Kunst der Verwandlung, mit der man seiner Persönlichkeit Ausdruck verleihen kann. Man kann das machen, indem man sich Geschlechtsmerkmale raussucht und überlegt, ob man eine weibliche oder männliche Figur darstellen möchte, die entweder meinem eigenen oder aber auch dem anderen Geschlecht entspricht. Oder man entscheidet sich für etwas ganz Gender-Nonkonformes und stellt etwas Nicht binär-feststellbares dar. Das war jetzt voll kompliziert gesagt (lacht).
Also, was bedeutet das persönlich für dich?
Also für mich ist es wie eine „Ritterrüstung“, die man sich anzieht. In diesem Schutz der Ritterrüstung kann man seine Persönlichkeit ganz frei nach außen tragen. Alles, was dann an Kritik auf einen zukommt, perlt leichter von einem ab. Man hat diese Figur, ich will nicht sagen, „hinter der man sich verstecken kann“, aber die einen empowert.
Laut deinem TikTok-Account bist du ja „die zierliche Perle aus dem Thüringer Wald“. Also kommst du gar nicht direkt aus Jena?
Genau, ursprünglich komme ich aus der Nähe von Eisenach. Ich bin also mit dem Thüringer Wald direkt vor der Haustür aufgewachsen und dachte mir, ich will meine Herkunft gerne zu meinem Markenzeichen machen. Ich verstehe mich auch als Ossi, obwohl ich erst zehn Jahre nach der Wende geboren bin.
Seit wann machst du Drag eigentlich genau?
Dieser allererste Abend mit meiner besten Freundin war am 10. März 2020. Dieses Jahr hatte ich also sozusagen schon meinen dritten Geburtstag.
Wie sah dieser allererste Abend aus?
Ich hatte noch keine Perücke, noch kein Outfit. Ich klebte mir zum allerersten Mal die Augenbrauen mit einem Klebestift ab. Das ist eine Drag-Technik. Das nutzt man, um sich noch dramatischere und höhere Augenbrauen aufzumalen. Zunächst war das ziemlich chaotisch. Ich schaute mir ein YouTube-Video nach dem anderen an. So ist ein eher fragwürdiger Look entstanden … wenn ich mir das jetzt im Nachhinein so anschaue. Das konnte ich nur mit einem Filter posten (lacht). Aber es ist natürlich klar, dass es beim ersten Mal nicht perfekt wird. Es folgte noch ein langer Weg.
Du hast also keine „Drag-Mutter“ als Bezugsperson, wie es üblich ist?
Also leider gab‘s bis dato in meinem Umkreis einfach noch niemanden der Drag gemacht hat. Den Kreis baue ich mir jetzt so langsam auf. Meine beste Freundin war von Anfang an dabei. Sie gab mir Tipps. Ich konnte mich aus ihrem Make-up-Erfahrungsschatz ein bisschen bedienen. Sie ist das, was meiner „Drag-Mutter“ am nächsten kommt.
Diese Idee, mit Drag anzufangen, ist ja nicht plötzlich einfach so da, wenn man in der Drogerie steht und sich Make-up anschaut. Wie lange trugst du die Idee in dir?
Seit 2016, 2017. Damals schaute ich intensiv die Serie „RuPaul’s Drag Race“. Das ist ein Format aus den USA, ähnlich wie „Germanys Next Topmodel“, aber für Drag Queens und mit ein bisschen mehr Tiefgang. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich schon, dass ich das auch gerne mal machen würde. Aber der Gedanke, es tatsächlich umzusetzen, war vom einen Tag auf den anderen da. Da überlegte ich gar nicht so lange.
Gerade in in der Thüringer Provinz ist Drag bestimmt nicht so allgegenwärtig. Wie kam das Ganze denn bei deinen Eltern und Freunden an?
Eine Arbeitskollegin von meiner Mutti hatte Instagram. Sie sah mich dort und zeigte es ihr. Daraufhin sprach sie mich direkt drauf an und fand es in der Tat ganz toll. Da kam direkt der Vorschlag ihrerseits, dass ich sie ja mal ein paar Jahre jünger Schminken könnte (lacht). Papa findet‘s auch cool. Weil ich vom Dorf komm, war trotzdem eine leichte Zurückhaltung da. Keine Ablehnung, aber eine leichte Zurückhaltung. Mir wurde gesagt, dass ich aufpassen soll, wenn ich so auf die Straße gehe, weil ich ja nicht wüsste, wie die Leute reagieren. Eine gewisse Besorgnis spürte ich auf jeden Fall. In Jena ist das entspannter. Also klar, da gerät man auch mal in eine unangenehme Situation, aber eigentlich machte ich mir darüber nie groß Gedanken. Prinzipiell ist Jena eine sehr offene Stadt, deswegen dachte ich mir: „Ich mach das einfach und alles andere sehen wir später.
@theheidiwitzka Man muss Prioritäten setzen 💅🏻☕️ #milchkaffeeammorgen #monikamartin #comedy #dragqueen #verspätung
Erzähl doch mal, wo trittst du denn so auf? Wo verwirklichst du dich und wie kam es dazu, dass du deinen ersten Auftritt hattest?
Es sind etwa anderthalb Jahre vergangen, in denen ich mich zu Hause in eine Drag verwandelte und mich ab und an für ein Instagrambild oder -video schminkte. Durch die Pandemie gab es keine Möglichkeit, Fuß zu fassen. 2021 wurde in Jena das erste Mal nach dem Lockdown der CSD veranstaltet und diese Gelegenheit nutzte ich, um in die Öffentlichkeit zu gehen, zu networken und andere Leute aus der Bubble kennenzulernen. So kam es, dass mich eine junge Veranstalterin aus dem Kassablanca in Jena ansprach. Sie hatte die Vision, eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen, die offen für queere und allgemein diversere Acts ist. Das Event nannte sich „Comebackyard“ und fand mehrmals im Kassablanca statt. Es gab eine Sommer-Hof-Lounge, in der man draußen sitzen und tanzen konnte, natürlich alles coronakonform. Die Besonderheit war dann, dass ich dort als Liveact singen dufte. Mir und der Veranstalterin Lea Schmee fiel auf, dass eine Drag-Veranstaltung in Jena auf jeden Fall fehlt. 2022 im Oktober konnten wir dann endlich die Veranstaltungsreihe „Tischlein, Drag dich!“ starten. Das Programm wird von drei Drag Queens – unter anderem von mir – gefüllt. Mit dabei sind zudem Sugar Van Shock und Ivana Venus. Diese ganze Veranstaltung steht unter der kreativen und organisatorischen Verantwortung von Lea.
Und ihr macht da Musik, performt und du singst?
Genau, ich bringe eine Liveperformance mit Gesang auf die Bühne. Die anderen beiden tanzen und setzten Lip-Sync-Performances um. Außerdem gibt es Bingo, dazu Kaffee und Kuchen. Das ist immer ein entspannter Nachmittag mit ein bisschen Kunst und Kultur.
Aber du legst auch Musik im Rosenkeller auf, habe ich gesehen.
Richtig, letztes Jahr im Sommer suchte der Rosenkeller DJ Nachwuchs. Also sprach ich mit dem damaligen Kulturkoordinator des Rosenkellers und meinte: „Hey, ich würde gerne mal bei euch auflegen. Ich habe guten Musikgeschmack, nicht wirklich DJ-Erfahrung, aber auf Play drücken kann ich.“ Nach dem Motto: „Learning by Doing“. Seit Juni vergangenen Jahres lege ich sogar regelmäßig im Rosenkeller auf. Auch Gigs außerhalb flattern rein: Beim CSD in Halle durfte ich auf der offiziellen CSD-Party auflegen.
Du erwähntest, dass du mit zwei weiteren Drags für „Tischlein, Drag dich!“ unterwegs bist. Sind sie auch aus Jena?
Ja, Sugar Van Shock ist aus Jena und Ivana Venus ist jetzt frisch nach Jena gezogen. Sie kommt eigentlich aus Weimar, aber jetzt sind wir die drei Engel für Jena (lacht).
Wie würdest du denn die Thüringer Drag-Szene beurteilen? Gibt’s die überhaupt?
Man kann nicht sagen, dass es das vorher noch gar nicht gab. Im Dasdie in Erfurt finden schon seit Ewigkeiten Travestieshows statt. Drag und Travestie konnte man in Thüringen also schon länger erleben, aber jetzt kommt etwas Jugendliches und Neues dazu. Dadurch, dass es sich mit der Clubkultur mischt und nicht nur in einem Theater- und Varietérahmen existiert, bringt das etwas Frische rein.
Und die serviert ihr auch einem breiteren Publikum, oder?
Das auch, genau. Wenn ich jetzt bei „Tischlein, Drag dich!“ schaue, wer da im Publikum sitzt, ist das eine Altersspanne von bis unendlich. Und nicht nur queeres Publikum. Das Spektrum ist wirklich ein riesengroßes. Man könnte wahrscheinlich noch viel mehr Veranstaltungen machen und es würde immer noch genug Leute geben, die sich so etwas anschauen.
Gibt es einen Umschwung in der Gesellschaft? Merkst du, dass viele junge Menschen offener sind?
Auf alle Fälle. Als ich zur Schule gegangen bin, hätte ich mich nicht getraut, als Drag Queen und allgemein als queere Person so offen und selbstbewusst rauszugehen. Aber in den letzten Jahren hat sich da viel getan. Es ist nicht mehr so ein Kampf und kostet nicht mehr so viel Überwindung, sich zu zeigen.
Du bist unter anderem „Senf-Botschafterin“, wie kommst du zu diesem Titel?
Ich wollte gerne ein Logo oder ein Emblem, das auf einen Sticker oder ein Poster passt. Da ich die Heimat-Sache forcieren wollte, beschloss ich gemeinsam mit meiner Freundin Lea, nach Thüringer Marken Ausschau zu halten. Wir suchten ein cooles Emblem, aus dem ich ein Heidi-Witzka-Logo basteln kann. Irgendwie landeten wir bei Born-Senf. Auf den Senfdöschen von Born klebten wir also einen Sticker mit der Aufschrift „Thüringer Drag Mittelscharf“. Ich schickte das Bild an Born, weil ich Angst hatte, dass das rechtliche Folgen haben könnte, wenn wir deren Marke nutzen. Ich war ziemlich überrascht, als Born diese Idee angenommen hat und sie sogar lustig fand. Sie schickten mir sogar ein riesiges Paket mit Senf zu, den ich zusammen mit meinem Sticker beim CSD oder auch im Rosenkeller verteilte. Daher der Titel „Senf-Botschafterin“.
Dass Born mitmacht, ist natürlich super.
Ich war echt überrascht. Da muss man ja auch ein bisschen Spaß verstehen, um bei so was mitzumachen. Anscheinend arbeiten aber echt coole Leute bei Born, die das unterstützen wollten.
Drag wird meistens mit Unterhaltungszwecken verbunden, mit Lockerheit und Spaß, aber es gibt auch eine ernste Seite. Oft werden die Themen Intoleranz und Diskriminierung oder Ungleichbehandlung indirekt mit thematisiert. Wie siehst du das?
Wenn man als Drag Künstler:in anfängt, wird man schnell mit solchen Themen konfrontiert – ob man will oder nicht. Damit muss man sich befassen und selbst entscheiden, ob man nur die Unterhaltungsschiene fahren möchte oder auch im Aktivismus mitmischen will. Ich finde, es hat beides seine Daseinsberechtigung. Irgendwie ist das sowieso schon ein politisches Statement, wenn man in Thüringen als Drag Queen durch die Stadt läuft, weil ja in vielen Köpfen einfach noch nicht angekommen ist, was Vielfalt bedeutet und wie wichtig diese ist. Egal ob man sagt: „Ich möchte im Aktivismus arbeiten“, oder: „Ich möchte eher meine Kunst verfolgen und Unterhaltung machen“. Beides ist erlaubt. Allerdings bin mit dieser Meinung schon oft angeeckt, weil es viele gibt, die sagen, dass man doch aber den Kampf mitkämpfen muss, dass man aktivistisch sein muss. Ich finde, der Raum muss gegeben werden, um nach seinen eigenen Kapazitäten zu beurteilen, wie man das umsetzt.
Warum sollte man den Drag auf keinen Fall mit Trans- oder etwaiger Geschlechteridentität verwechseln?
Das sind zwei unterschiedliche paar Schuhe. Natürlich kann es passieren, dass man sich mit Drag auseinandersetzt und somit auch mit seiner eigenen Geschlechtsidentität konfrontiert wird. Es kann passieren, dass man aufgrund dessen feststellt, dass man Trans oder allgemein Gender-nicht-konform ist. Trotzdem gibt es da jedoch einen wichtigen Unterschied. Nicht jeder Mann, der eine Drag Queen ist, fühlt sich als Frau. Die meisten sehen sich als Kunstfigur. Differenzieren ist da wichtig.
Würdest du sagen, dass Mut eine wichtige Eigenschaft ist, die eine Drag mitbringen muss?
Oft dachte ich einfach nur „Komme, was wolle, ich zieh einfach durch“. Deswegen würde ich das selbst gar nicht mutig nennen. Solange man Lust auf die Sache hat und ein gewisses Selbstbewusstsein mitbringt, ist alles gut. Alle anderen Fähigkeiten trainiert man sich im Laufe der Zeit an. Trotzdem gibt es so gesehen keine Voraussetzungen, die man erfüllen muss, um mit Drag zu beginnen. Sobald man sich vernetzt und eine Community aufbaut, lernt man mit der Zeit einfach dazu.
Was könnte in Bezug auf dein Drag-Dasein noch besser werden in Thüringen?
Ich wünsche mir von der Kulturlandschaft und verantwortlichen Personen, dass mehr Offenheit entsteht und das noch mehr Räume geboten werden, denn die Nachfrage ist da. Die Karten für „Tischlein, Drag dich!“ sind beispielsweise sehr begehrt und schnell ausverkauft. Das Publikum ist offensichtlich da und die Künstler:innen sind es auch. Teilweise fehlt es demnach an Bühnen und an Räumen in der Kulturszene.
Warum soll sich Thüringen mehr Drag trauen?
Es ist einfach eine große Bereicherung für die Kulturszene. Es macht Menschen glücklich, und zwar nicht nur die Menschen, die Drag machen und auf der Bühne stehen, sondern auch die Leute, die es sich anschauen. Und das sollte es einfach viel mehr geben, damit man noch mehr Menschen glücklich und zufrieden machen kann. Es macht einfach Spaß. Und zu viel Spaß kann man ja gar nicht haben.
Hard Facts:
- Erlebt Heidi Witzka live:
11. Juni | 16 Uhr | Tischlein Drag Dich | Kassablanca Jena
7. Juli | 22 Uhr | Heidis Happy Hour | Rosenkeller Jena - Mehr zu Heidi Witzka
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