Über 100 rassistische und politisch motivierte Gewalttaten werden jährlich in Thüringen gemeldet. Die Erfurter Beratungsstelle ezra ist spezialisiert auf Menschen, die mit rechter, rassistischer oder antisemitischer Gewalt konfrontiert wurden. Sie bietet thüringenweit aufsuchende Beratungen an und unterstützt bei Strafverfahren, als Begleiter bei der Polizei oder beim Gericht und als Vermittler von Anwält:innen und Therapeut:innen. Für unser „Vielfalt-Spezial“ haben wir mit Theresa Laus gesprochen. Sie ist 32 Jahre alt und arbeitet als Beraterin bei ezra.
Seit wann gibt es euch eigentlich und warum der Name?
Uns gibt es schon seit 2011, wir werden also diese Jahr 10 Jahre alt. Und das Wort „ezra“ kommt aus dem hebräischen und bedeutet „Hilfe“.
Im Juli startet der erste CSD in Thüringen – der CSD Altenburg. Melden sich oft Menschen mit Anliegen an euch, die aufgrund ihrer Sexualität angefeindet werden?
Es kommt schon vor, dass wir Bedrohungen oder Angriffe registrieren, aber es ist tatsächlich nicht die betroffene Gruppe, die sich am häufigsten an uns wendet. Wir erfahren von Beleidigungen und Bedrohungen, aber nicht alle beraten wir, weil wir einen sehr engen „Gewalt-Begriff“ haben und vorrangig für Betroffene von Gewalt da sind. Aber ich glaube, es liegt auch an uns, uns in diesem Netzwerk noch ein bisschen bekannter zu machen, weil wir für die meisten Menschen die Beratungsstelle sind, die Betroffene von Rassismus berät und die Motive Homofeindlichkeit und Transfeindlichkeit eher nicht mit uns in Verbindung gebracht werden.
Wer meldet sich sonst noch so bei euch?
Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben vor allem Menschen in der Beratung, die von Rassismus betroffen sind. Das können beispielsweise Geflüchtete, ausländische Studierende, Touristen oder auch schwarze Menschen sein. Aber auch Menschen, die hier geboren wurden, aber dennoch als Fremd angesehen werden melden sich bei uns. Es kommen auch Menschen zu uns, die sich politisch gegen Rassismus, Rechtsextremismus oder extreme Rechte engagieren und deswegen angegriffen oder bedroht werden. Wir beraten aber auch Juden und Jüdinnen und Menschen, die aus sozialdarwinistischen Motiven angegriffen werden. Zum Beispiel, weil sie eine Behinderung haben oder wohnungssuchend sind.
Wie werden die Menschen angefeindet oder was passiert ihnen?
Auch das ist unterschiedlich. Das können zum Beispiel Bedrohungen sein. Die beraten wir nur, wenn sie ähnliche psychische Folgen haben wie ein körperlicher Angriff. Es passiert oft, dass die Menschen körperlich angegriffen werden, also zum Beispiel geschlagen oder getreten werden. Teilweise erfolgt der Angriff auch mit Waffen, zum Beispiel Pfefferspray. Es gibt auch Fälle, wo Menschen über einen längeren Zeitraum verfolgt werden. Sie werden sogar teilweise von Gruppen oder organisierten Tätern angegriffen.
Habt ihr aktuelle (natürlich anonyme) Beispiele?
Hier würde ich gerne auf unsere Website „www.ezra.de“ verweisen. Dort gibt es eine Chronik wo wir die öffentlichen Fälle sammeln. Wir haben auch eine Datenbank, in der wir die Fälle eintragen, die nicht öffentlich sind, von denen wir aber erfahren. Dort kann man sich auf jeden Fall belesen und dort findet man auch aktuelle Fälle von Nordhausen, Mühlhausen, Sömmerda oder Erfurt. Ohne Rücksprache mit dem Betroffenen, kann ich nicht viel über die aktuell öffentlichen Fälle erzählen.
Wie helft ihr Betroffenen?
Das richtet sich immer nach dem Bedarf und nach dem Wunsch, den die Betroffenen äußern. Wenn es zum Beispiel zu einer Anzeige gegen den Täter oder die Täterin gekommen ist, dann helfen wir in allen Aspekten, die das Strafverfahren betreffen. Dazu gehört die Begleitung zur Polizeiaussage oder zum Gericht. Wir unterstützen aber auch bei der Prozessvorbereitung, bei der Beantragung von Entschädigungsleistungen und bei der Suche von Anwält:innen oder Therapeut:innen und Ärzt:innen. Wir helfen zudem bei der Öffentlichkeitsarbeit und führen psychosoziale Gespräche. Wenn die Betroffenen merken, es geht Ihnen nicht gut und die Situation wird auch nicht besser, dann können sie mit uns sprechen. Das ersetzt keine Therapie, aber es führt zu einer ersten Entlastung nach dem Angriff.
Wer erfragt in Thüringen am häufigsten eure Beratung?
Welchen Hintergrund die Betroffenen haben, wird von uns nicht systematisch erhoben. Am meisten in der Beratung haben wir Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Das sind auch die meisten Vorfälle, die wir seit einigen Jahren zählen und aufnehmen.
Warum ist es wichtig, dass es solche Angebote wie Ezra gibt?
Die meisten Betroffenen haben kein richtiges Sprachrohr. Die Betroffenen-Perspektive kommt in der Öffentlichkeit viel zu kurz und die Berichterstattung ist oftmals sehr täterzentriert. Die Perspektiven und Wünsche der Betroffenen Menschen spielen da kaum eine Rolle. Deshalb ist es so wichtig, dass es uns gibt, um die Öffentlichkeit in dieser Hinsicht zu sensibilisieren. Ein weiterer Grund ist, dass Betroffenen empowered werden müssen und wir den Menschen helfen wollen aktiv zu werden.
Wie hat sich die Fall-Häufigkeit seit eurem Bestehen verändert? Gibt es seit dem Erstarken rechtspopulistischer Parteien eine Zunahme?
Auf jeden Fall. Seit 2016 merken wir eine starke Zunahme von Vorfällen. Aber auch die Fall-Häufigkeit von rassistischen Tatmotiven ist angestiegen und diese sind teilweise auch brutaler. Die Täter:innen agieren sehr sicher und begehen die Angriffe in der Öffentlichkeit vor Zeugen. Das hängt bestimmt auch mit dem politischen Klima zusammen, welches einfach rauer geworden ist. Das heißt bestimmte Themen werden durch Politiker:inne sagbar gemacht und die Täter:innen fühlen sich dadurch in ihrer Handlung bestätigt und werden viel zu selten von der Gesellschaft verurteilt.
Seid ihr der Meinung, dass Beratungsstellen wie Ezra irgendwann nicht mehr notwendig sind?
Ich glaube nicht, dass es in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren kein Rassismus mehr gibt. Ich glaube, dass es weiterhin auf jeden Fall notwendig sein wird, auch wenn es wünschenswert wäre, dass solche Beratungsstellen nicht mehr gebraucht werden. Wir erfahren auch nicht von allen Angriffen, die vorfallen. Wir gehen da eher von einer Dunkelziffer aus. Im Normalfall begleiten wir viele Fälle über mehrere Jahre hinweg, da ein Strafverfahren in der Regel sieben Jahre dauert. Das macht schon eine langfristige Begleitung notwendig.
Warum würdet ihr Betroffenen von Gewalt ermutigen sich an euch zu wenden?
Wir machen ein freiwilliges Beratungsangebot, es muss also niemand zu uns kommen, wenn keine Hilfe benötigt wird. Es ist natürlich immer wieder schön, wenn Menschen sich selbst zu helfen wissen und selber aus ihrer Rolle kommen. Es gibt aber auch Fälle, wo wir gut vernetzen und die Betroffenen empowern können. Für uns ist es wichtig an der Seite der Betroffenen zu stehen, da viele so eine Situation noch nie erlebt haben und da ist es immer gut, wenn man das nicht allein durchmachen muss. Auch die Familie oder der Freundeskreis kann da sehr hilfreich sein. Solidarität ist an dieser Stelle sehr wichtig.
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