In Gera Bieblach im Schatten eines Seniorenwohnheims ist die Anlaufstelle vieler Jugendlicher der Stadt. Ein kleiner Flachbau birgt dort den Jugendclub „Shalom“, der dieses Jahr 30-jähriges Bestehen feiert. Den Namen gaben sich die Jugendlichen damals aufgrund seiner vielschichtigen Bedeutung. Die Geschichte des Hauses geht bis in die 1980er zurück. Damals wurde das Gebäude als Jugendclub für das gegenüberliegende Lehrlingswohnheim gebaut. „Kristall“ hieß der WismutJugendklub damals. 1992 suchte die Stadt einen neuen Träger, der sich am 15. März 1992 in der evangelischen Kirchgemeinde Gera wiederfand.
30 Jahre „Save Space“ in Gera
„Für uns ist es wichtig, möglichst viele junge Menschen aus unterschiedlichen Gruppen und verschiedenen Alters zusammenzubringen“, erzählt Knorbel, der den Club seit einigen Jahren leitet. Er selbst kam früher als Jugendlicher hier hin. „Das Shalom ist ein Experimentier- und Erfahrungsraum, so gesehen ein kleines Abbild der Gesellschaft, in der das Miteinander erfahren und erlernt werden kann.“ Und Experimentieren und Ausprobieren kann man im Shalom so einiges. Es gibt wechselnde Angebote, die man wahrnehmen kann. Wer es sportlich mag, kann Tischtennis, Fußball, Volleyball, Hockey spielen oder Gewichte stemmen. Für Kreative gibt es eine Siebdruckwerkstatt oder Graffitiworkshops. Auf der Rückseite des Clubs ist eine offene, sich ständig verändernde Graffitiwand.
Veganes Kochen und Backen
Zum Jugendhaus gehören zudem ein kleiner Garten und eine Küche. „Wir setzen seit etwa Mitte 2018 so weit wie möglich auf rein vegane Produkte – beim Kochen und beim Kauf von allem weiteren.“ Bei den jungen Leuten gab es laut Knorbel eher wenig Widerstand dagegen. „Kritik und Unverständnis kam teilweise, aber auch hier in überschaubarer Form. Eher von älteren Personen, die im Rahmen der Netzwerkarbeit mit uns in Kontakt stehen oder etwas in unseren Räumen machen wollten.“ In den ersten beiden Jahren der Pandemie zeigte das Team auf dem YouTube-Kanal des Clubs sogar Back- und Kochvideos mit veganen Rezepten …
Ein Jugendclub mit Vielfalt
„Wir bieten aber ebenso die Möglichkeit für einzelne Gespräche und unterstützen bei Hausaufgaben. Es gibt zudem Diskussionsrunden, Vorträge, Spielenachmittage sowie Quizabende und Konzerte.“ Aber dabei gilt eines laut Knorpel bedingungslos: „Wir sind eine offene Einrichtung. Keine:r muss unsere Angebote in Anspruch nehmen. Es ist auch möglich, einfach nur abzuhängen, freie Angebote zu nutzen oder neue zu initiieren. So gibt es bei uns ebenso Computer, Switch und PS4, Billard- und Airhockeytische, viele Gesellschaftsspiele, Instrumente und einiges mehr.“ Das Jugendhaus wurde auch schon zum Escape Room umgewandelt. Angebote gibt es auch außerhalb des Hauses. Regelmäßig finden Ausflüge und Bildungsfahrten statt, wie zum Beispiel 2022 ins Elbsandsteingebirge, nach Prag oder auch Auschwitz. Auch gibt es Nachforschungen zu Gera im Nationalsozialismus. Stolpersteine werden verlegt und geputzt. Auf Instagram informiert das Projekt „Gera im Nationalsozialismus“ zur Herkunft von Straßennamen im Dritten Reich.
Alle sind willkommen, doch die Zielgruppe des Shaloms sind junge Menschen zwischen 10 und 27 Jahren mit einem Schwerpunkt auf den 10- bis 18-Jährigen. „Junge Menschen sollen die aktive Möglichkeit haben, die Angebote, die Räume und das Miteinander mitzugestalten. Ihre Bedürfnisse sind die Grundlage unserer Arbeit, bei der wir vermittelnd und unterstützend eingreifen.“ Knorbel ist einer von drei festen Mitarbeitenden. Dazu kommen viele Leute, die ehrenamtlich helfen. Finanziert wird die Arbeit von der Kirchgemeinde sowie durch die Stadt Gera, das Land Thüringen und die GeschwisterDöge-Stiftung. Außerdem ist der Jugendclub auf Spenden und Teilnehmendenbeiträge angewiesen. Nicht immer war das leicht. 2005 musste die Zahl der Angebote und Mitarbeitenden nach Kürzungen der Förderung verringert werden.
Gegen rechte Ideologien
Es ist aber nicht nur das Geld, das Ärger macht. „Da wir uns offen gegen rechte Ideologien äußern, Nutzende mit verschiedener Herkunft sowie nicht heteronormative junge Menschen willkommen heißen und auch subkulturelle Genres bei Konzerten bedienen, kam es immer mal zu Anfeindungen“, erzählt Knorbel. „Sei es durch Kommentare im Social Media, durch Plakate sowie Graffiti am Haus, Aufkleber in der nahen Umgebung oder Farbbomben. Erst vor Kurzem wurde ein Hakenkreuz und weiteres fast angrenzend an unser Gelände gesprüht und ein Paketbote hat es scheinbar für amüsant gehalten, uns einen Naziaufkleber auf das Paket zu kleben.“ Im Shalom wird Demokratie gelernt. Bei Veränderungen wird demokratisch abgestimmt. Konflikte werden geführt und deren Bewältigung wird gelernt. „Soziale Inklusion ist ein zentraler Leitgedanke unserer Arbeit“, beschreibt der gelernte Erzieher und Sozialarbeiter Knorbel. „Nicht der einzelne Mensch muss sich an seine Umgebung anpassen, sondern alle Beteiligten schaffen im gemeinsamen Austausch die Gesellschaft, bereichern sie und entwickeln sie fort, so auch das Jugendhaus.“
Jugendhaus soll ein „Safe Space“ darstellen
Während sich immer mehr Leute aus dem demokratischen Spektrum entfernen, Hass und Gewalt gegenwärtig ist und die Welt in schlechten Nachrichten unterzugehen scheint, ist es besonders für Heranwachsende schwierig, Schutz davor zu finden. „Das Jugendhaus soll so weit wie möglich auch ein Safe Space darstellen oder in Absprache mit einzelnen Gruppen diesen schaffen. Das ist nicht möglich, wenn wir auf akzeptierender Ebene Raum für Rassismus, Antisemitismus, Sexismus geben“, betont der Pädagoge. „Reflexion und Sensibilität sind allgemein gefragt, der Anteil junger Menschen mit psychischen Erkrankungen steigt stark an. Das spüren wir in unserer alltäglichen Arbeit. Betroffene Menschen sollen bei uns gleichfalls einen Ort finden und wir versuchen hierbei Stigmatisierungsprozesse zu vermeiden.“
Schwierig war es da in den vergangenen zwei Jahren, als die Pandemie das bestimmende Thema war. Zwar gab es Onlineangebote, aber die meisten Offerten des Shaloms konnten damit nicht ersetzt werden. Bei ersten Lockerungen taten sich neue Probleme auf. Ein paar Eltern ließen ihre Kinder nicht ins Shalom, weil sie dort sicherheitshalber eine Maske tragen mussten. „Einige Kinder haben zudem den oft unreflektierten Sprach- und Argumentationsgebrauch ihrer Eltern im Rahmen der allgemeinen Frustration übernommen.“ Aber auch dadurch wurden wieder die schwierige Lage der Kinder und Jugendlichen und die Bedrohung durch ansteigende psychische Belastungen sichtbar. „Es bleibt zumindest im kleinen Abbild der Gesellschaft – unserem Jugendhaus Shalom – unsere Aufgabe, positive soziale Netzwerke und Unterstützung auszubauen, damit eben junge Menschen nicht in der Vereinzelung an psychischen Belastungen erkranken, aber das ist nicht einfach.“ Immerhin ist es gut, wenn möglichst viele ins Jugendhaus kommen und man dort in Austausch treten kann.
Hard Facts:
- 30 Jahre Shalom, dritte Veranstaltung: Filmvorführung „Memoria Viva“ um 19 Uhr | Bands ab 21 Uhr
- Wo?: Jugendhaus Shalom | Julius-Sturm-Straße 3 | 07546 Gera
- Social Media: Instagram | Facebook
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