Es ist noch gar nicht allzu lange her, da saßen wir bei der Familienfeier und ahnten nichts Böses, als plötzlich Onkel Siggi den Diaprojektor rausholte. Das Licht wurde gedimmt und das antike Gerät trat seinen Dienst an, indem es den Raum mit brühwarmer Ventilationsluft und unscharfen sowie verwackelten Impressionen des letzten All-inclusive-Urlaubs erfüllte. Nun hieß es, Klappe halten oder ab und an gezielte Fragen stellen, denn jetzt spricht eigentlich nur noch einer. Onkel Siggi nahm uns mit auf eine persönliche Reise durch seine Erinnerungen. Dabei nutzte er gezielt Medientechnik, um diese Erinnerungen visuell zu untermauern. Auch wenn er vielleicht hin und wieder vergaß, dass Bilder vom ausufernden Buffet eigentlich nur für die von Interesse sind, die sich selbst an dieser mannigfaltigen Nahrungsauslage laben können.
Ohne Erinnern keine Gesellschaft
Nun ist der Diaprojektor wirklich ein Relikt vergangener Tage. Heute schauen wir uns Fotos und Videos auf viel zu kleinen Bildschirmen an und teilen Erinnerungen ungefiltert auf Social Media. Und auch wenn analoge Fotos und Dias nicht immer von hoher Qualität waren, so sind sie wenigstes in ihrer Quantität limitiert gewesen. Die digitale Präsentation von Erinnerungen birgt scheinbar nicht nur einen immens großen Speicher für unzählig viele Fotos, Videos und Sprachnachrichten, sondern erhöht auch die eigene Reichweite. Das Wohnzimmer von Onkel Siggi hatte begrenzte Plätze. Der eigene Instagram-Kanal kann Massen an Interessent:innen mit unzählig vielen Impressionen zuschütten.
Die Kommunikation von Erinnerungen kann im besten Fall sowohl einen unterhaltsamen als auch informativen Charakter haben. Vergangenes kann vergegenwärtigt werden und zur Identitätsentwicklung Einzelner beitragen oder das Verhalten in sozialen Gruppen verbessern. „Ohne Erinnern keine Gesellschaft“, eröffnet die „merz“ (Zeitschrift für Medienpädagogik und Erziehung) ihr Vorwort in der Dezemberausgabe von 2020. Wir können uns auf Erinnerungen vergangener Generationen berufen, um nicht immer wieder das Rad neu erfinden zu müssen. So kann auf einem Fundament aus Erfahrungen die Gesellschaft weiterwachsen und sich entwickeln. Bereits in der Steinzeit wurden deswegen Erinnerungen an Höhlenwänden verewigt. Nachfolgende Generationen konnten so von den Erfahrungen vergangener Generationen profitieren und mussten nicht komplett neu lernen, wie man sich ein leckeres Mammut fängt.
Erinnerungen immer subjektiv gefärbt
Wichtig ist aber zu beachten, dass Erinnerungen immer subjektiv gefärbt sind. Menschen, die von ihrem Leben in der ehemaligen DDR berichten, werden sich auf feste Fakten wie den Namen der Hauptstadt oder die Anzahl der Einwohner einigen können. Wie der Alltag war und die Gesellschaft funktioniert hat, werden wohl viele auf ganz eigene Weise erzählen. So hört man immer wieder: „Der Zeitzeuge ist der größte Feind des Historikers“. Das eigene subjektive Empfinden wird häufig als authentischer wahrgenommen als der rationale Blick des Wissenschaftlers. Solange man aber Zeitzeug:innen mit ihren individuellen und subjektiven Sichtweisen in die wissenschaftlich erarbeiteten Zusammenhänge einordnet, können diese Erinnerungen und Erfahrungen uns einen ganzheitlichen Blick auf die Vergangenheit geben.
Das Leben ist endlich
Da Erinnerungen aufgrund von Krankheiten wie Demenz oder der Tatsache, dass das Leben endlich ist, irgendwann verloren gehen, können Medien hier ein effektives Mittel der kollektiven Erinnerungssicherung sein. Wer Glück hat, bekommt eine Biografie geschrieben oder eine Reportage gewidmet. Dabei wird Erinnerungssicherung aber ein Privileg von Menschen mit Einfluss und Macht. Dies führt natürlich zu einer sehr einseitigen Betrachtung auf Vergangenes. Erfolgsgeschichten, die in den 1990er-Jahren in den neuen Bundesländern allen Beteiligten ein gutes Gefühl geben, sind ja ganz nett. Die vielen unschönen Erinnerungen aus dieser Zeit bekommen so aber kaum einen gleichwertigen Platz. Und so kann Misstrauen entstehen, da ja die eigenen Erfahrungen und Erinnerungen konträr mit dem sind, was ja scheinbar gesellschaftlicher Konsens ist.
„Ohne Erinnern keine Gesellschaft“ bedeutet für mich einem Auftrag nachzukommen, dem wir alle gerecht werden können. Mit Smartphone und Co. können wir die Erinnerungen unserer Liebsten sichern und speichern, bevor der Zahn der Zeit uns die Möglichkeit nimmt. So können unterschiedliche Erinnerungen konserviert und bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt rekonstruiert werden. Vielleicht könnte genau deswegen der folgende Veranstaltungstipp für manch jemanden von Interesse sein.
Hard Facts:
- Aktionstage für Menschen über 60: 27. Nov. bis 1. Dez.
- MitMedien e.V., | Bühler Straße 52 | Erfurt
- Mehr: www.faktenforschen.de
Autor und Medienpädagoge Kay Albrecht ist Profi auf seinem Gebiet. Als freiberuflicher Pädagoge schult der Erfurter die unterschiedlichsten Zielgruppen medienpädagogisch – und jetzt seid auch ihr dran. Regelmäßig klärt Kay in seiner Kolumne über Medienphänomene auf, um kritische Zugänge zu den alltäglichen Herausforderungen der medial geprägten Lebenswelt zu legen.