Briefe zu schreiben ist die schönste Art, Zeit zu vergeuden. Das sagte einst der britische Staatsmann John Morley, der von 1838 bis 1923 lebte. Würde man statt „Briefe zu schreiben …“ die Worte „Computer spielen …“ oder „Auf Social Media abzuhängen …“ in das Zitat einbauen, würden besorgte Eltern und Neurowissenschaftler dem britischen Gentleman direkt eine ausgewachsene Mediensucht attestieren. Doch John Morley hatte das Glück, in einer Zeit zu leben, in der ausgedehntes Briefeschreiben nicht zu Rufen nach einem Verbot von Papier und Stiften führte. Ganz im Gegenteil, galt das Verfassen von Briefen doch als eine noble und anspruchsvolle Form der Kommunikation, welche Absender und Adressat direkt zu Teilnehmenden einer gut situierten Gesprächsführung aufsteigen ließen.
Sie haben Post…
Heutzutage öffnen wir den Briefkasten nicht selten mit zitternder Hand und einem unguten Gefühl. Scheinbar schreiben fast nur noch Ämter und sonstige Zahlungsempfänger Briefe. Und so nehmen wir die seelenlosen Briefumschläge aus dem kalten Metallkasten und identifizieren Rechnungen, Mahnungen, Nebenkostenabrechnung oder Mitteilungen von den jeweiligen Strom- oder Gasanbietern und verfluchen innerlich die meist doch sehr zuverlässige Post. Meist zu Weihnachten zwingt man sich dann doch noch mal eine mit bleiernen Worten versehene Weihnachtskarte an die alten Familienangehörigen zu schicken. Festtagsgrüße, die meistens genauso wenig Seele haben wie die Briefe vom Finanzamt.
Briefkommunikation wurde auf digitale Datenautobahn verlegt
Der spaßige und schöne Teil der Briefkommunikation wurde schon lange auf die digitale Datenautobahn verlegt. Die digitalen Postkutschen liefern Briefe in Echtzeit, kosten nichts und sind von fast überall aus absendbar. Gestartet ist diese Revolution der digitalen Kommunikation mit den ersten E-Mails in den 1970er-Jahren und den ersten SMS knappe zwanzig Jahre später. 2005 kam dann der erste Instant-Messenger auf den Markt, der uns mit dem markanten Teletubbies-Sound das Eintreffen des digitalen Nachrichtenkuriers verkündete. ICQ (Anm. d. Red.: ICQ ist ein kostenloser Instant-Messaging-Dienst) ließ unsere Handyrechnungen durch den damals noch kostenintensiven SMS-Versand auf ein Vielfaches schmelzen. An viel zu großen Computern tippten wir fleißig und inflationär Texte, die mal mehr und meist weniger relevant waren. Und dann kamen die Smartphones auf den Markt. 2010 schließlich WhatsApp. Knapp 83 Prozent der deutschen Bevölkerung nutzt inzwischen die Messenger-App. Das sind circa 60 Millionen Menschen aller Altersgruppen, die emsig Texte, Bilder, lustige Videos und Sprachnachrichten umher schicken. Weltweit sind es sogar knapp zwei Milliarden Menschen, wobei die App im bevölkerungsreichen China gar nicht angeboten wird. Im Schnitt werden rund 100 Milliarden Nachrichten weltweit pro Tag versendet. Die Nutzung von Emojis gibt den hurtig geschriebenen Satzfragmenten Charakter und Seele und führt nicht selten auch zu massiven Missverständnissen. „Oh, sie hat einen Kuss-Smiley gesendet. Zeit, ihre Eltern kennenzulernen.“
Doch gibt es nicht nur diesen einen allumfassenden Messenger. Stiftung Warentest hat im März 2022 allein 16 Messenger getestet. WhatsApp landete auf Platz sechs. Testsieger ist der Messenger „Signal“, welcher durch eine gemeinnützige Stiftung und Non-Profit-Organisation mit Spenden und Fördergeldern finanziert wird. Hinter dem datenschutzkonformen Messenger steckt unter anderem der ehemalige WhatsApp-Mitbegründer Brian Acton. Signal funktioniert nach dem „Zero-Knowledge-Prinzip“, bei dem keinerlei Nutzungsdaten abgerufen werden. Der Großanbieter WhatsApp greift auf Bilder und Informationen aus Profilbildern, dem Status und dem jeweiligen Telefonbuch zu. Die direkte Kommunikation ist jedoch auch verschlüsselt und nur zwischen Absender und Adressat einsehbar. Der Brief hat also auch hier ein Siegel.
„Anbieter tut wenig gegen Straftaten in offenen Gruppen.“
Schwieriger wird es bei dem auch recht beliebten Messenger „Telegram“. Die beiden russischen Entwickler leben inzwischen in Dubai und verzichten auf ihrer Webseite auf ein Impressum. Stiftung Warentest gibt dem Messenger, in welchem bis zu 200.000 Menschen in Gruppen kommunizieren würden, das Siegel „Umstritten“. Die dazugehörige Erklärung lautet: „Technisch überzeugend. Sehr gut für Telefonie. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung muss manuell aktiviert werden. Anbieter tut wenig gegen Straftaten in offenen Gruppen.“ Nach dem Netzwerkdurchsetzungs-Gesetz (NetzDG) müssen Plattformen eine Funktion zum Melden von Verstößen aufweisen und entsprechende Straftaten löschen. Telegram verletzt diese Pflichten regelmäßig und bekam vom Bundesjustizministerium auch schon mehrere Bußgeldverfahren. Die Zahlung der Bußgelder lässt jedoch – wie eine Einsicht der Entwickler – noch auf sich warten.
Nimm dir fünf Minuten für deinen Datenschutz!
Lohnend ist es auf jeden Fall, sich fünf Minuten zu nehmen, um die Privatsphäre- und Datenschutzeinstellungen des jeweilig genutzten Messengers aufzurufen. Hier kann häufig eingestellt werden, wie Nachrichten verschlüsselt werden, wer welche Inhalte und Informationen sehen kann und wie man diese lästigen blauen Häkchen wegbekommt, die anzeigen, dass eine Nachricht gelesen wurde. Denn wir wollen ja nicht immer sofort reagieren müssen, sobald andere gesehen haben, dass man die Nachricht gelesen hat und der Postmann bei WhatsApp ständig klingelt und wissbegierig fragt: „Warum antwortest du nicht?
Autor und Medienpädagoge Kay Albrecht ist Profi auf seinem Gebiet. Als freiberuflicher Pädagoge schult der Erfurter die unterschiedlichsten Zielgruppen medienpädagogisch. Regelmäßig klärt Kay in seiner Kolumne im t.akt über Medienphänomene auf, um kritische Zugänge zu den alltäglichen Herausforderungen der medial geprägten Lebenswelt zu legen.