Ein Kunststudium ist nicht gerade bekannt dafür, dass es auf die Herausforderungen des Alltags vorbereitet. So zumindest die langläufige Überzeugung. Gerade deswegen haben vor nunmehr zehn Jahren angehende Kunstschaffende ein wahrhaft praktisches Projekt namens „leavinghomefunktion“ in Angriff genommen, für das sie eine Firma gründeten. Die Idee: Auf alten Ural 650-Motorrädern wollte das Quintett auf dem Landweg über drei Kontinente bis nach New York in den USA fahren. Also stiegen im September 2014 zunächst Anne, Elisabeth und Johannes – die drei gebürtigen Thüringer im Team, die zusammen Bildhauerei an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule studierten – sowie Zyprerin Efy auf die Maschinen und fuhren aus Halle (Saale) einfach mal los, immer Richtung Osten.
Erster Stopp der Reise ist Georgien
„Unseren Eltern haben wir damals gesagt, dass wir ein halbes Jahr unterwegs sein würden“, bemerkt Elisabeth süffisant. „Das Problem war nur, dass wir im ersten Zeitungsinterview von zwei Jahren gesprochen haben, was meine Mutter etwas verärgert hat. Am Ende waren wir zweieinhalb Jahre unterwegs.“ Den ersten langen Stopp legte das Quartett in Georgien ein, wo das Team durch ihren Freund Kaupo, den es bei einem Auslandssemester in Estland kennenlernte, komplettiert wurde. Die eigenen Ersparnisse hatten alle auf ein gemeinsames Firmenkonto eingezahlt, doch das schrumpfte zusehends – also musste eine Finanzierung her.
Finanzierung durch Crowdfunding-Kampagne
Insgesamt 30.000 Euro sammelte das Biker-Team über eine Crowdfunding-Kampagne ein, zudem verkauften sie Mitschnitte ihrer Filmaufnahmen an verschiedene Fernsehsender, um weiterfahren zu können. Mit ihrem Aufbruch aus Georgien setzt das Road-Movie „972 Breakdowns – Auf dem Landweg nach New York“ ein, mit dem sie aus insgesamt 500 Stunden Material 110 Minuten herausdestillierten, in denen sie ihren ebenso erfahrungs- wie pannenreichen Trip durch Russland, die Mongolei, die östlichsten Zipfel Sibiriens, Alaska, Kanada und die USA filmisch dokumentierten.
„Wir waren damals mit einer unfassbaren Naivität unterwegs – aber ohne die wären wir gar nicht erst losgefahren“, blickt Elisabeth zurück. „Es gab dabei Abschnitte, auf denen wir auf uns allein gestellt waren in dem Bewusstsein, dass unsere Entscheidungen teils dramatische Auswirkungen haben. So etwa, als wir uns für eine 200 Kilometer-Abkürzung auf der ‚Road Of Bones‘ im Osten Sibiriens entschieden haben“, ergänzt die gebürtige Greizerin. Im Film bekommt man davon einen vagen Eindruck: In der verregneten Wildnis waren Teile von geschotterten Straßen weggeschwemmt, die Motorräder mussten wegen eingestürzter Brücken durch die Flüsse gezogen werden. Und nach acht Tagen fernab aller Zivilisation gehen die Essensvorräte zu Ende.
Pannen als Tool, um sofort in Kultur einzutauchen
„Im Gegensatz zu anderen Expeditionen waren wir alle keine Experten, keine ausgebildeten Kfz-Mechaniker oder Ärzte. Das war unsere Stärke, denn so wusste es auch niemand besser – und die Beteiligten sind in ihre Rollen hineingewachsen. Johannes und Kaupo wurden etwa Tüftler“, erklärt Elisabeth, welche für die Kamera und das Filmen verantwortlich war. „Wir sind in die Länder regelrecht hineingeplatzt mit unseren Pannen – einer universellen Sprache. Zugleich waren unsere Probleme auch ein Tool, um fernab von Tourismus sofort einzutauchen in die Kultur und mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Schnell zeigte sich dabei, dass Menschen – egal, woher sie kommen – weniger trennt als vielmehr vereint. Wir alle teilen dieselben Bedürfnisse und Ängste.“
Dabei zeigt „972 Breakdowns“ – jeder Zusammenbruch, ob mechanisch an der Ural 650 oder körperlich bei den Beteiligten wurde sorgsam dokumentiert – auch die große Hilfsbereitschaft der Menschen vor Ort. Diese reichte von Einladungen zum Essen über Ersatzteile bis hin zu einer regelrechten Evakuierung aus der nord-ostsibirischen Wildnis durch einen Bekannten beim Militär, als die Gültigkeit des Visums ablief und sie nach Alaska weiterfliegen mussten, um den nordamerikanischen Kontinent hinunterzufahren. Bis zur Beringstraße hat es das Quintett also nicht ganz geschafft.
Abenteuerlust als Dokumentation
„Aber wir haben noch den Schlüssel für einen Container in der Kleinstadt Bilibino, wo wir ein zweites Set unserer Motorräder eingelagert haben“, ergänzt Elisabeth mit verschmitzter Abenteuerlust. Nach mehr als drei Jahren Vortrags- und Kino-Tour (eine gekürzte Filmversion lief auf dem aktuellen European Outdoor Film Festival) stehen nur noch wenige Veranstaltungen an – unter anderem in Zeulenroda – Annes Heimatstadt.
Hard Facts:
- Auf dem Landweg nach New York: 9. März | 16 Uhr und 20 Uhr
- Kulturforum Kreuzkirche | Prof.-Scheibe-Straße 33 | Zeulenroda-Triebes
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