„Kann ich noch mal den Kreis haben?“, fragt Felix. „Na klar“, sagt Lena und reicht ihm den Prägestempel vorsichtig von der heißen Herdplatte zum Ende des langen Werktisches. Die beiden Elfjährigen prägen dekorative kleine Formen wie Kreise, Halbmonde oder Vierecke aus Gold- und Silberfolie auf kleine Notizbücher – Notizbücher, die sie zuvor eigenhändig aus dünnem weißem und dickerem buntem Papier gefaltet haben. An einer Jahrzehnte alten eisernen Maschine mit großem Fußpedal haben sie die Büchlein außerdem gefalzt und dann mit Nadeln und gewachsten Fäden eigenhändig zusammengenäht – so, wie in Buchbindewerkstätten seit Jahrhunderten gearbeitet wird.
Workshops im Museum Neues Weimar
Felix, Lena und zehn andere Teilnehmende eines elften Geburtstages arbeiten an diesem Winternachmittag hochkonzentriert im Souterrain des Museums Neues Weimar am Jorge- Semprun-Platz. Hin und wieder laufen Besucherinnen und Besucher durch die Werkstatt, um die ausgestellten Werkzeuge zu betrachten. Die Kinder lassen sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Sie genießen es vielmehr, dass ihr Werkeln bestaunt wird: Da ist Julian, der gerade an einem zweiten, roten Notizbuch arbeitet, das er seiner kleinen Schwester schenken will. Da sind Ben und Hannes, die den Goldprägeteil auslassen, dafür aber die Arbeitsschritte rationalisiert und aufgeteilt haben, um möglichst viele Notizbücher in kurzer Zeit zu produzieren. Und da ist das Geburtstagskind, dem es die Gestaltung kunstvoll verzierter Lesezeichen angetan hat.
Museumspädagogin Rosmarie Weinlich hat sie alle gut um Blick. Über vier Stunden ist die Gruppe im Museum. „Was, schon?“, seufzen die Kinder, als es heißt, aufzubrechen. Von wegen, Museen sind langweilig: „Unsere Aufgabe in der Museumspädagogik ist es nicht nur, Wissen zu vermitteln, sondern auch praktische Begeisterung“, sagt Weinlich, die selbst Freie Kunst an der Bauhaus Universität studiert hat und nicht nur Museumsmitarbeiterin, sondern auch Malerin und Installationskünstlerin ist. Das Museum Neues Weimar als Teil der Klassik Stiftung ist vor allem Design und Kunsthandwerk um 1900 gewidmet. „Wie die Bildende Kunst entwickelt sich auch Design sich nur dann weiter, wenn Bekanntes in Frage gestellt wird.“, erläutert Weinlich die zentrale Botschaft des Museums. Und vermeintlich Gegebenes in Frage stellen – das können Kinder ziemlich gut.
Weiterentwicklung durch Hinterfragen des Bekannten
Bevor die Gruppe in den Keller in die Werkstatt darf, steht ein Rundgang im Museum an: Er beginnt auf einem Riesensofa der Schweizer Performance- Künstlerin Pippilotti Rist, das mit seiner Überdimensioniertheit dazu einlädt, sich in die Kinderperspektive zu begeben. Es folgen prunkvoll-historistisch verzierte Gläser und Humpen, pompöse Schnitzereien aus dem späten 19. Jahrhundert. „Findet ihr das schön?“, fragt Weinlich. Manche sagen pflichtbewusst „Joa“, einer sagt: „Ganz ehrlich? Ich find’s übelst kitschig!“ – „Genau das dachte sich der belgische Architekt und Künstler Henry van de Velde damals auch und fragte sich: Muss das so ein?“, greift Weinlich den Impuls auf. So führt sie eine der beiden zentralen Figuren des Rundgangs nicht als Held ein, sondern als Impulsgeber des Wandels: Van de Velde, 1902 nach Weimar berufen, entschlackte das überfrachtete Design seiner Zeit. Sein Lebensthema: die klare Linie.
Gegenüberstellung der Protagonisten
Klare Kante wiederum zeigt ein Exponat, das die Kinder beeindruckt, weil es zwar das schlichte, moderne Design reflektiert, aber trotzdem sichtbar wertvoll ist: Die von Henry van de Velde gestaltete Ausgabe von „Also sprach Zarathustra“ in purpurrotem und dunkelgrauem Leder mit Goldprägungen. Gekonnt führt Weinlich mit der Gegenüberstellung von Prachtund Volksausgabe den zweiten Protagonisten des Museums Friedrich Nietzsche, ein und hebt auch ihn zugleich vom Sockel: „Was glaubt ihr, warum ließ die Schwester des Philosophen nach dessen Tod so viele Masken und Büsten anfertigen? Warum versuchte sie, teure Prachtausgaben von Nietzsches bekanntestem Buch produzieren zu lassen?“ „Damit man sich an ihn erinnert“, sagt ein Kind brav. „Genau, und, seien wir ehrlich: Um auch nach seinem Tod noch ordentlich Geld mit dem berühmten Bruder zu verdienen!“
Nach rund einer Stunde im Museum geht es für die Kinder endlich in den Keller zu Werkzeug und Material, zu Papier, Metallstempeln und echter Goldfolie. Niemand macht Quatsch, niemand verweigert sich. Im Gegenteil. Auf dem Rückweg strahlen zehn Jungs und ein Mädchen von Ohr zu Ohr. Ihr Päckchen selbst gebundener kleiner Büchlein unter dem Arm sagt ein Kind zu einem anderen: „Also bisher fand ich Bücher und Museen ja eher so mittel, aber das heute, das war mega!“
Hard Facts:
- Museum Neues Weimar | Jorge-Semprun-Platz 1
- Gruppenworkshops mit Führung und Buchbinde-Workshop auf Anfrage | wochenends freie „MACH MIT!“- Angebote im Werklabor | Werkcafé des Museums zu wechselnden Themen
- Das Programm gibt´s hier
- Mehr über das Museum erfahrt ihr hier
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