Hier schon mal eine kleine Warnung: dieser Text enthält einige Worte, die nicht schmeichelhaft sind. So gar nicht. Allerdings: im Alltag warnt uns in der Regel niemand, bevor er oder sie uns beleidigt – auch wenn das fast schon wieder höflich wäre. Etwa ein: „Nur, damit Sie Bescheid wissen, ich werde Sie gleich wüst beschimpfen. Wenn Sie das nicht hören wollen, dann halten Sie sich jetzt am besten die Ohren zu.“ Wäre zu schön, passiert aber ungefähr nie. Wie wir Schimpfen verändern können und welche Alternativen es gibt, um Menschen dabei zumindest nicht diskriminierend zu beleidigen, damit hat sich die Kölnerin Laura Stöckmann im Rahmen ihrer Bachelorarbeit befasst. Das Thema ist so aktuell und komplex, das daraus die Idee zu einem Lexikon und sogar ein Veranstaltungsformat entstand. Einer dieser Vorträge wird am 30. März 2022 in der Erfurter Engelsburg stattfinden. Wir sprachen vorab mit Laura über ihre Erkenntnisse und welche Beleidigungen den Empfänger treffen, ohne unmenschlich zu sein.
Laura, wie bist du auf das Thema gekommen?
Im Rahmen meiner Bachelorarbeit an der Köln International School of Design habe ich mich erstwissenschaftlich und dann gestalterisch mit der Geschichte des Feminismus, der Macht der Sprache, nichtdiskriminierenden und diskriminierenden Schimpfwörtern – allen voran sexistischen – und auch digitalem Hass beschäftigt. Ich habe mehr als 200 Seiten geschrieben, zahlreiche Umfragen und Interviews geführt und am Ende ein Lexikon, drei Interview-Zines und ein Archiv konzipiert, gestaltet und unter dem Namen MALEDICTUM (lat. Beschimpfung; Schmähwort) veröffentlicht. Als feministische Designerin kämpfe ich schon lange dafür, dass die Welt, in der wir leben, mit jedem Projekt ein kleines bisschen besser wird.
Was bezweckt dein Vortrag „Schimpfen gemeinsam verändern“ und wer sollte ihn besuchen?
Mein Projekt und auch die beiden Vorträge in Erfurt und Dresden sollen eigentlich alle erreichen; die, die noch nie in ihrem Leben geschimpft haben, die, die oft und gern, vielleicht sogar zu oft und zu gern schimpfen oder die, die es am liebsten noch viel öfter tun würden, nur nicht wissen wie. Engagierte Feminist:innen und Aktivist:innen, die, die gern welche wären und vor allem die, die mitreden, aufklären oder endlich etwas erwidern und schlagfertig kontern wollen. Der Ticketverkauf unterstützt zusätzlich auch noch mal meine Startnext-Kampagne und damit auch meine Spendenaktion für HateAid – die erste Beratungsstelle Deutschlands gegen Hass im Netz – an die 50 Prozent meines Gewinns gehen.
Am Ende wird vorgetragen, gelernt, gestaunt, gelacht und diskutiert – vor allem aber aufgeklärt; darüber, wer und wer eben nicht in unserer Gesellschaft immer und immer wieder beleidigt, beschimpft, gedemütigt und unterdrückt wird. Darüber, welche Folgen das für diese Menschen hat und vor allem darüber, dass diskriminierende Schimpfwörter und Beleidigungen sowohl der letzte Ausdruck eines tief verankerten Hasses als auch der erste Schritt zu grenzüberschreitender körperlicher Gewalt ist. Und ermutigen; denn gemeinsam können wir uns all diese Wörter zurückholen und Beschimpfende ihrer Macht berauben.
Hat Schimpfen deiner Meinung nach auch positive Aspekte?
Wir alle schimpfen. Schimpfen macht Spaß, Schimpfen entspannt und verbales Verletzen kann physische Gewalt durchaus verhindern. Schimpfen ist menschlich.
Menschlich und damit auch ein notwendiges Symptom der Empörungskultur oder eher ein leeres Ritual?
Ich liebe es zu schimpfen. Ich schimpfe jeden Tag, ständig und überall – wirklich! Aber das Wort „leer“ trifft es oft ganz genau. Wir werfen mit Wörtern um uns, deren Ursprung, Bedeutung, enorme Wucht und Folgen fast niemand (mehr) kennt oder nicht (mehr) wichtig genug erscheinen; Kanacke, Hurensohn, Schwuchtel und Spasti solche Wörter hört man unglaublich oft und das auch nicht zwingend im Streit. „Luder“ ist eines meiner Lieblingsbeispiele: Das war vor allem in den 90er-Jahren sehr beliebt. Eigentlich kommt es allerdings aus der Jägersprache und bezeichnet dort ein totes Tier, das als Köder zum Anlocken von Raubtieren verwendet wird. Oder „hysterisch“, das von hystéra, also Gebärmutter kommt: Im antiken Griechenland galt eine Frau* als hysterisch, weil man der Annahme war, ihre Gebärmutter sei nicht oft genug mit Spermien gefüttert worden, wandere im Körper umher und beiße sich an ihrem Hirn fest.
Dann schimpfen wir also häufig sogar aus einem Unwissen heraus? Wo fängt an dem Punkt Diskriminierung an?
Da, wo wir jemanden nicht mehr einfach nur ein beschissenes Arschloch nennen, sondern diskriminierend beleidigen, genau da hört Menschlichkeit auf. Diskriminierend beleidigt werden können alle Anderen – alle abseits der weißen, männlichen, heterosexuellen und nicht behinderten Norm. Diskriminierende Schimpfwörter können dabei übrigens in ihren Kategorien beliebig miteinander kombiniert werden und erlangen durch eben diese Vielschichtigkeit eine besonders schwerwiegende Härte. So kann eine weibliche PoC, ein trans*- und homosexueller Mann oder eine kopftuchtragende, be_hinderte Frau* auf mehreren, sich kreuzenden und/oder überlagernden Ebenen beschimpft werden.
Ein schwarzer Mann auf der Straße ist niemands N… . Eine deutsche Muslimin, die ein Kopftuch trägt, ist kein Kanacke und schon gar nicht ekelhaft. Ein Junge*, der auf dem Schulhof gern Kleider trägt, ist kein Mädchen und wenn er sich etwas nicht traut, ist er weder eine Pussy, noch ein Weichei. Ein Schiedsrichter im Fußballstadion ist kein Hurensohn, allein weil niemandes Mutter eine Hure im Sinne von Schlampe und auch keine Fotze ist. Ein Mann*, der seinen Freund im Restaurant küsst, ist keine Schwuchtel und weder sein Freund im Rollstuhl, noch das Outfit, das er trägt, ist be_hindert.
Die Liste könnte man vermutlich noch sehr erweitern. Kann man denn auch höflich schimpfen?
Höflich- oder Nettigkeit erwarte ich beim Schimpfen oder beschimpft werden gar nicht. Von 14 Schimpfwörter-Kategorien, die ich in meiner wissenschaftlichen Arbeit definiert habe, sind acht nicht diskriminierend – also Feuer frei. Oft kann ich auch viel mit gewissen Lauten erreichen, die besonders fies klingen: das kehlige, harte oder scharfe r, ck, s und v in dreckiges Mistvieh zum Beispiel.
Bei Feuer frei musste ich schmunzeln. Wie viel Humor verträgt Schimpfen?
In den Interviews habe ich oft gehört, dass (schwarzer) Humor auf jeden Fall für viele Betroffene drin, cool und lustig ist; oft von ihnen ausgehend, im engen Kreis oder öffentlich um Aufmerksamkeit zu erregen. Generell verändern sich Schimpfwörter, ihre Bedeutung und wie sie benutzt werden (können) – wenn auch nur sehr langsam und niemals ohne Kampf. Die von ihnen betroffene Personengruppe muss sie an sich reißen, sie nutzen, wiederholen und ihre Bedeutung grundsätzlich verändern – und zwar in dem sie immer nur im positivsten Sinne wiedereingesetzt werden. Für alle anderen werden sie, vielleicht nur vorerst, vielleicht aber auch endgültig, vielleicht zu absoluten Tabuwörtern (N), vielleicht zu empowernden Ausrufen (Bitch), vielleicht zu geradezu sachlichen Beschreibungen (Queer). Was davon, für wen und wie lange – das entscheiden diejenigen, die Jahrzehnte, Jahrhunderte oder Jahrtausende unterdrückt, diskriminiert und beschimpft wurden. Und dafür werden sie niemals ein warum angeben oder sich erklären müssen.
Du erwähntest vorhin schon deine Start-Next-Kampagne, um das Projekt MALEDICTUM zu realisieren. Was steht im besten Fall am Ziel, wenn es positiv verläuft?
Das Crowdfunding-Ziel von 1.700 Euro soll am Ende bloß meine Material-, Druck- und Fertigungskosten, den Versand und die Startnext-Gebühren decken. Einen (großen) Gewinn wird es nicht geben und von dem gehen dann auch noch mal 50 Prozent an HateAid. Natürlich sollen meine Lexika, Interview-Zines, Archive, Postkarten und Sticker so viele Menschen wie möglich erreichen und vor allem die Geschichten Anderer – PoC, Frauen*, Menschen der LGBTQIA*-Community oder mit Be_hinderung – endlich gehört werden.
Wann schimpfst du und welche Worte benutzt du dann am liebsten?
Wie gesagt: Ich liebe Schimpfen! Und ich bin immer auf der Suche nach neuen nichtdiskriminierenden Schimpfwörtern. Dreckiges Mistvieh hatten wir schon, räudiges Arschloch ist auch nicht schlecht, aber vieles aus der Tierwelt funktioniert gut, zum Beispiel Affenarsch oder Kanalratte. Und: Ja, auch wenn diese Tiere um Längen besser als so manche Menschen sind und einen Vergleich oft nicht verdient haben – sie können trotz ihrer enormen Intelligenz nicht begreifen, dass wir mit diesen Begriffen gerade eine:n andere:n beleidigen.
Hart Facts:
- Termin : 30. März 2022 | 20 Uhr | Engelsburg | Schimpfen gemeinsam verändern! | Erfurt Altersbeschränkung: ab 18 Jahre
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