Der Weltraum, unendliche Weiten – und für Nils Westerboer neben künstlichen Intelligenzen schon seit Kindertagen ein Faszinosum. Damals war freilich noch nicht an eine Karriere als Autor für Science-Fiction-Romane zu denken. Das änderte sich im Jahr 1999, als er im Alter von 21 Jahren am Dreh von Naturdokumentationen und Beiträgen zu Wissenschaftssendungen fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen beteiligt war und es ihn einmal ins Großforschungszentrum CERN nach Genf verschlug. Nils war sofort fasziniert von den Phänomenen der Quantenmechanik und arbeitete sich unter anderem durch die Bücher von Lisa Randall und Stephen Hawking tief in die Materie ein. Im Jahr 2002 veröffentlichte er die erste Version seines Romandebüts „Kernschatten“ um eine neuartige Substanz und das Verschwinden von Wissenschaftlern, welcher er bis 2011 ein Finetuning für eine Neuveröffentlichung verpasste, die 2015 für den Deutschen Science-Fiction-Preis nominiert wurde.
Athos 2643 von Nils Westerboer aus Thüringen
Dabei sollte es aber nicht bleiben. Nils Westerboer studierte Medienwissenschaft in Jena und Germanistik und Theologie in München. Geblieben ist er in der Saalestadt, wo er seit 2012 an der Kaleidoskop-Gemeinschaftsschule im Stadtteil Lobeda Deutsch, Religion und Medienkunde unterrichtet. Von 2015 bis 2020 arbeitete er an seinem zweiten Werk „Athos 2643“, das kürzlich im Verlag KlettCotta veröffentlicht wurde. Darin untersucht der KI-Spezialist und Ermittler Rüd Kartheiser mit Hilfe seiner holografischen Assistentin Zack einen rätselhaften Todesfall auf dem titelgebenden Neptunmond Athos. Dieser wird nur von einer Handvoll Mönchen bewohnt, die lebenserhaltenden Systeme werden von einer künstlichen Intelligenz namens MARFA überwacht, die offenbar eine Fehlfunktion hat.
Viel Science und wenig Fiction
„Zwischen Theologie und Physik sehe ich durchaus Parallelen: Beide stellen sich Fragen nach der menschlichen Existenz und der Entstehung der Welt“, so der dreifache Familienvater. „Künstliche Intelligenzen haben heute ihre Stärke in der Mustererkennung, im Analysieren von riesigen Datensätzen, für die Menschen Jahre benötigen würden. Die Frage nach dem Bewusstsein einer KI stellt sich erst, wenn sie für Menschen nicht mehr von realen Personen unterscheidbar ist – inklusive emotionaler Reaktionen. So weit ist die Technik aktuell noch nicht – aber in meinem Roman ist diese Grenze überschritten.“ Und so ist „Athos 2643“ am Ende doch erstaunlich viel Science und wenig Fiction: Eine Mischung aus einer Liebesgeschichte und einem mit ethischen Fragestellungen angereicherten Thriller mit Anklängen an Umberto Ecos „Der Name der Rose“ und Philip K. Dicks „Blade Runner“. Das sind Vergleiche oder Assoziationen, die Nils nicht von der Hand weist, im gleichen Atemzug aber die Eigenständigkeit seiner Geschichte und seiner Figuren betont.
Ein rätselhafter Todesfall
Hier hakt er ein: „Vor der Handlung müssen die Figuren feststehen – wobei ich das Wort ‘Figur’ für die Charaktere in einem Roman nicht gern nutze, weil es so künstlich wirkt. Denn irgendwann beginnen sie zu handeln, werden lebendig, entwickeln eine hin und wieder unberechenbare Eigendynamik, die mich daran zweifeln lassen, ob ich sie gerade erfinde oder finde – und das ist faszinierend.“
Sonst keine Ruhe
Der heute 44-Jährige arbeitet bereits an einem neuen Manuskript und hat seinen beruflichen Spagat zwischen Lehrer und Autor nie bereut. Auch wenn er mit den typischen Herausforderungen eines Schriftstellers zu kämpfen hat: „Ich brauche morgens erst einmal zwei Stunden, bis ich mich wieder in die Geschichte eingefunden habe, das Geschriebene redigiere, vielleicht noch etwas recherchiere. Dieser Prozess und das Schreiben selbst sind so absorbierend, dass ich keinerlei Störung um mich herum gebrauchen kann. Das Handy bleibt dann ausgeschaltet.“ Fährt er gerade mit dem Fahrrad in die Stadt oder zur Arbeit, überfallen ihn auch fernab des heimischen Schreibtischs manchmal Ideen: „Ich muss dann anhalten und alles aufschreiben, das lässt mir sonst keine Ruhe.“ Aktuell arbeitet er schon an seinem nächsten Roman. Den Inhalt will er noch nicht verraten, nur so viel: Die unendlichen Weiten des Weltraums werden wohl wieder eine Rolle spielen.