In Eisenach findet am kommenden Wochenende, dem 16. September, das erste Mal ein Christopher Street Day (CSD) statt. 14 Uhr beginnt die Demonstration am Markt der Wartburgstadt. Insgesamt etwa drei Stunden, begleitet von mehreren Redebeiträgen, soll dann lautstark für Vielfalt und Gleichstellung queerer Personen sowie gegen Hass und Hetze durch die Stadt gezogen werden. In enger Zusammenarbeit mit dem Bündnis Christopher Street Day Thüringen und den CSD-Bündnissen aus Erfurt, Gera, Jena, Gotha sowie Weimar stellt Initiator Julian Herter aus Eisenach denn CSD auf die Beine. Wir sprachen mit dem 18-Jährigen über die Hintergründe.
Wie kam es eigentlich dazu, dass ihr das erste Mal einen CSD in Eisenach veranstaltet?
In Eisenach wuchs in den vergangenen Jahren ein militantes Neonazi-Netzwerk heran, das nahezu ungestört agierte und sich radikalisierte. Nationalistisches Gedankengut lässt sich hier in Form von Symbolen, Schriftzügen und Kleidung an vielen Stellen wiederfinden. Dem wollen wir jedoch entschlossen entgegentreten und ein deutliches Zeichen gegen Homo- und Transfeindlichkeit setzen. Natürlich haben wir dabei Bedenken: Kann ein CSD in einem solch menschenfeindlichen Umfeld überhaupt friedlich verlaufen? Gemeinsam mit den CSD-Bündnissen anderer Thüringer Städte, in denen bereits CSDs veranstaltet wurden, stellen wir uns diesem Problem. Denn für uns steht im Vordergrund, für die Rechte und Sichtbarkeit der „LGBTQIA+“-Community einzustehen und auf Missstände in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben hinzuweisen.
Sind in der Vergangenheit Vorfälle von Homo- und Transfeindlichkeit in Eisenach bekannt geworden, die ein verstärktes Engagement für die Rechte und Sichtbarkeit der „LGBTQIA+“-Community erfordern? Gibt es konkrete Beispiele?
Während der einjährigen Organisation des CSDs in Eisenach erhielten wir zahlreiche menschenverachtende Hasskommentare in den sozialen Medien. Das waren Kommentare wie: „Ihr werdet alle vernichtet“, „Hört auf mit dem Unsinn, ihr seid nichts als Umweltverschmutzung“ oder „Wir werden Eisenach niederbrennen“. Solch herabwürdigende Nachrichten löschten wir sofort. Im ersten Moment ist man eingeschüchtert, fürchtet um die eigene Sicherheit. Doch dann trieb es uns an und bestärkte uns erst recht darin, einen Demonstrationszug mit möglichst vielen Teilnehmenden zu veranstalten.
CSD-Veranstaltungen sind ein Zeichen gegen Hass, Hetze, Homo- und Transfeindlichkeit und setzen sich für die Akzeptanz, Toleranz und Sichtbarkeit der „LGBTQIA+“-Community ein. Gibt es konkrete Forderungen an Politik und Gesellschaft, die ihr als Initiative mit dem CSD in Eisenach stellt?
Wir fordern die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung aller Geschlechtsidentitäten, eine weltweite Unterstützung der queeren Community sowie eine queer-inklusive Gesundheitsversorgung. Darüber hinaus ist es uns wichtig, queere Strukturen in Thüringen zu erhalten und auszubauen und die Rahmenbedingungen für queere Vielfalt im Bildungswesen zu schaffen.
Was für ein Rahmenprogramm erwartet Teilnehmende neben dem Demonstrationszug?
Im Vordergrund steht der Demonstrationszug durch die Eisenacher Innenstadt. Danach werden auf dem Markt verschiedene Künstler:innen auftreten, die Leute animieren, zu tanzen und ausgelassen zu feiern und allen Teilnehmenden einen schönen Ausklang des Veranstaltungstages bereiten. Mit dabei sind DJ und Dragqueen Heidiwitzka, DJ Anastasiya und Sängerin Badline. Bevor der CSD gegen 22 Uhr endet, veranstaltet das „Neue Welten“-Kollektiv noch eine Abschlussparty.
Benötigt ihr kurzfristig noch Unterstützung für den 16. September?
Für die allgemeine Sicherheit während des CSDs benötigen wir noch Ordner:innen. Daneben brauchen wir auch Personal für die Absicherung der Wägen, die sich an dem Demonstrationszug beteiligen. Wir werden über die sozialen Medien versuchen, genügend Menschen für diese wichtigen Aufgaben zu gewinnen. Ohne ausreichend Unterstützung und engagierte Teilnehmende können wir den CSD ansonsten nicht ausrichten.
In den vergangenen Jahren kritisierten Mitglieder der „LGBTQIA+“-Community immer wieder, dass der Christopher Street Day zu einer „Party-Parade“ geworden ist und politische Forderungen nicht im Vordergrund stehen. Wie steht ihr als Veranstalter:in dazu?
Wir veranstalten einen rein politischen CSD. Deswegen haben wir sehr viele inhaltliche Redebeiträge zu unterschiedlichen Themen im Zusammenhang mit der queeren Community eingeplant. Politiker:innen, Mitglieder der Community, Personen aus dem Organisationsteam und viele weitere kommen zu Wort. Der Fokus liegt eindeutig auf dem Einsatz für die Akzeptanz, Toleranz und Sichtbarkeit der queeren Community. Wir möchten ganz klar aufzeigen, dass noch einige Veränderungen geschehen müssen, bevor wir von einem gleichberechtigten Leben in einer Gesellschaft ohne Diskriminierung marginalisierter Gruppen sprechen können.
Kaum ein CSD vergeht ohne Meldungen über Gewalt gegen Teilnehmende, Handgreiflichkeiten, Pöbeleien und Anfeindungen. Was erhofft ihr euch von dem Veranstaltungstag?
Die Sicherheit der Teilnehmenden hat für uns höchste Priorität. Deswegen haben wir uns in der Planungsphase dafür eingesetzt, den Polizeischutz während des gesamten Veranstaltungstages deutlich auszuweiten. Die jüngsten Ereignisse um die rechtsradikale Gruppierung „Knockout 51“, die in Eisenach jahrelang Körperverletzungen, Todesdrohungen und Angriffe verübte, rückten die Sicherheitsmaßnahmen noch einmal in den Mittelpunkt. Aus diesem Grund entwickelten wir zusätzlich zum Polizeischutz ein eigenes Sicherheitskonzept, den sogenannten „Demo-Ticker“. Dabei beobachten vorher ausgewählte Personen aus unseren Reihen das gesamte Geschehen rund um die Demonstration. Sollten diese etwas Ungewöhnliches bemerken, melden sie es der Polizei, die daraufhin uns informiert. Wir entscheiden dann, ob die Parade fortgesetzt werden kann. Wir hoffen, Anfeindungen oder Gewalttaten auf diese Weise zu entgehen und ein friedliches Miteinander zu ermöglichen.
Wird es im nächsten Jahr erneut einen CSD in Eisenach geben und sind daneben weitere Veranstaltungen geplant?
Insofern der diesjährige CSD ohne Vorfälle erfolgreich stattfindet, möchten wir auch nächsten Jahr wieder einen CSD in Eisenach organisieren. Es richtet sich auch danach, ob sich viele Menschen an dieser ersten Veranstaltung beteiligen und die Möglichkeit zum Demonstrieren für eine gleichberechtigte Gesellschaft wahrnehmen. Das werden wir aber erst nach dem diesjährigen CSD vollständig beurteilen können. Wir werden sehen, was sich nach dem 16. September noch ergibt, bisher sind noch keine weiteren Veranstaltungen geplant. Es würde uns aber sehr freuen, wenn unser Engagement und Wille, ein Zeichen gegen die Ausgrenzung marginalisierter Gruppen zu setzen, von den Eisenachern positiv aufgenommen wird und uns das Selbstvertrauen gibt, auch in Zukunft dafür einzustehen.
Hard Facts:
- Wo? Am Markt in Eisenach
- Wann? 16. September | Start: 14 Uhr
- Mehr Infos gibt es bei Instagram: @csdeisenach
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