Ehemals Ensemblemitglied am Theaterhaus Jena und Schauspiel Leipzig, hat sich Sandra Hüller inzwischen auch als Filmschauspielerin etabliert. Am 30. März startet ihr neuer Film im Kino: Das in vielerlei Hinsicht erfrischend modern anmutende Historiendrama „Sisi & ich“ über die Beziehung der ungarischen Hofdame Irma Sztáray zu Kaiserin Elisabeth von Österreich. Wir sprachen mit der 44-Jährigen über Diäten, Trennung von Beruf und Privatleben und ihre Verbundenheit zur „alten Heimat“ Thüringen.
Seit einigen Monaten laufen auf Netflix und auf RTL-Serien über die berühmte österreichische Kaiserin, die gerade ein großes Revival erlebt. Wie hast du beim Rollenangebot für „Sisi & ich“ reagiert?
Zu dem Zeitpunkt war noch nicht klar, wie viel Stoffe zu dem Thema bereits in Produktion sind. Als Frauke (Frauke Finsterwalder, die Regisseurin und Drehbuchautorin, Anm. d. Red.) damit zu mir kam, haben wir das nicht gewusst.
Was hat dich an dem Stoff gereizt?
Frauke hat es geschrieben und sie kannte ich schon, daher dachte ich mir: Das wird bestimmt interessant. Das Buch fand ich clever und schwarzhumorig und böse und traurig und lustig – alles auf einmal. Dann habe ich mir gedacht: „Das probieren wir mal.“ Dabei war mir die Elisabeth-Figur gar nicht so wichtig.
Deine Rolle basiert auf der realen Figur der Hofdame Irma Sztáray, die „Sisi“ in ihren letzten Lebensjahren begleitet hat. Hast du zur Vorbereitung noch weitere Recherchen zu ihr durchgeführt?
Meine Vorbereitung auf reale Figuren ist ganz unterschiedlich. Manchmal wird es gefordert, viel zu recherchieren, um sie detailreich zu porträtieren. Hier war das nicht gewünscht, Frauke wollte absolute Fiktion machen – und daran haben wir uns gehalten.
Einmal sagst du in deiner Rolle als Irma „Ich hasse das Theater“ – um in der nächsten Szene in einem improvisierten Theaterstück mitzuspielen. Schon ironisch, wenn man bedenkt, dass du weiterhin auf der Bühne stehst…
Das hat großen Spaß gemacht – vor allem mit Georg (Georg Friedrich, der Ludwig Viktor spielt, den homosexuellen Schwager von Sisi, Anm. d. Red.). Ich habe Georg das erste Mal in der Volksbühne gesehen, wo er eine Schildkröte spielen wollte und sich dafür in einen Teppich einrollte. Ich konnte nicht mehr aufhören zu lachen. Ich fand es so frech, dass er alles unter diesem Teppich spielte und meinte, das ginge in Ordnung. Daran musste ich die ganze Zeit denken. Wir haben das Theaterstück im Film nicht geprobt – wir haben die Kostüme angezogen und dann haben wir das gedreht. Wir haben uns auch nicht abgesprochen: Georg ist aufgetreten, dann ich – und dann sind wir einfach irgendwie umeinander herumgegangen (lacht). Das war total schön.
Diäten und ein tägliches Sportprogramm fordern Sisi im Film auch bei Irma ein. Hast du dich mit einer besonderen Ernährung oder einem besonderen Training auf die Rolle vorbereitet?
Ich habe nicht gefastet, aber tatsächlich meine Ernährung umgestellt. Frauke wollte, dass wir uns körperlich verändern. Das habe ich erst einmal mit großem Widerstand angezweifelt, weil es sich so anfühlt, als würde man nicht für das geliebt werden, was man eigentlich ist. Was vermutlich dahinter steckte: Dass wir verstehen, was es – wie bei der historischen Sisi – bedeutet, die ganze Zeit unter dem Druck zu stehen, gut aussehen zu müssen. Susanne (Susanne Wolff, die Sisi spielt, Anm. d. Red.) und ich haben uns selbst darum gekümmert, wie das gehen könnte – weil keine von uns beiden wusste, wie… Wir haben Reiten gelernt, ein bisschen Französisch, Englisch – und viele Kostüme und Masken anprobiert.
Deine Figur Irma hat für Männer nur Spott und Verachtung übrig. Sie seien „wie Tischtücher“ oder „haarig“, sagt sie. Hast du in der Karriere schon einmal toxische Männlichkeit erlebt?
Habe ich – du nicht?
Als Mann im Journalismus nehme ich das vermutlich nicht so sehr wahr.
Du bekommst doch mit, wenn jemand scheiße mit dir umgeht. Etwas anderes ist das ja nicht.
Anders gefragt: Gibt es eher Männern zugeschriebene Eigenschaften, die du nicht magst?
Ich mag ganz viele Sachen an Männern… (nachdenkliche Pause) Ich mag generell keine Menschen, die darauf bestehen, Recht haben zu müssen. Viele Dinge sind Ansichtssache.
Deine Figur Irma denkt, sie befindet sich mit „ihrer Chefin“ Sisi in einer Freundschaft – und wird von ihr immer wieder zurückgewiesen. Man kann in „Sisi & ich“ also auch einen Film zum Thema „Trennung von Berufs- und Privatleben“ sehen. Wie gehst du damit um: Kann man mit Kolleginnen und Kollegen befreundet sein?
Es ist ein heikles Feld und ich mache tatsächlich aktuell auch eine andere Erfahrung als in den Jahren zuvor. Als ich im Theater angefangen habe, gab es die Erzählung von der „großen Familie“ – und wir wissen ja eigentlich, dass Missbrauch in der Familie am häufigsten passiert. Die Erzählung von „was unter uns passiert, bleibt auch unter uns“ fand ich nicht schön, sondern echt gefährlich. Distanz in der Arbeit ist total wichtig – und gleichzeitig begegnen wir uns im Spiel irrsinnig intim. Hier muss es eine große Abgrenzung geben, die man nicht auflösen sollte. Ich habe in den letzten Jahren – und jetzt auch bei „Sisi & ich“ – aber gemerkt, dass es mir gut tut, mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen zu verbinden. Susanne und ich haben sehr viel Zeit miteinander verbracht – und ich habe das auch genossen. Je genauer man seine Grenzen kennt, desto leichter fällt es auch außerhalb des Theaterkontexts miteinander Verbindung aufzunehmen. So lange man das noch nicht weiß oder nicht weiß, wer man ist, so lange ist das eher gefährlich.
Was viele nicht wissen: Seit einigen Jahren singst du und hast auch schon ein Album veröffentlicht. Im Abspann von „Sisi & ich“ ist dein Song „Cosmic Dancer“ zu hören. Hast du den direkt für den Film aufgenommen?
Ja, Frauke wollte gern, dass ich das einsinge. Ich mochte das gern. Es gibt viele, auch tolle Versionen dieses Liedes – und ich weiß nicht, ob meine auch dazugehört. Ich bin aber – aus der Rolle heraus betrachtet – froh, dass Irma am Ende noch einmal eine Stimme bekommt.
Kurz zurück ins Jahr 2016: Der große internationale Erfolg von „Toni Erdmann“ war dein Durchbruch als Filmschauspielerin. War es für dich auch eine berufliche Zäsur?
In dieser Zeit hat mein festes Engagement im Theater geendet – was bis dahin einen großen Luxus bei der Rollenauswahl mit sich brachte. Kleine Ausflüge in den Film waren möglich und ich war finanziell davon nicht abhängig. Seit ich nicht mehr fest am Theater bin, merke ich: Ich arbeite mehr – und diese Art von Unabhängigkeit ist weg. Ich habe seitdem viele Experimente in verschiedene Richtung gemacht. Dabei hatte ich auch viel mit Zuschreibungen etwa für Komödien zu tun – und fragte mich: Stimmt das denn überhaupt? Ich habe mal eine Komödie gespielt, weil das von mir erwartet wurde, bemerkte aber, es macht mir keinen Spaß. Ich spiele lieber Leute, die Probleme haben – und es wird dann komisch, aber nicht, weil ein Witz eingeschrieben ist. Ich mag Annahmen von Rollenprofilen nicht so gern – sondern probiere lieber aus, um das herauszufinden.
Du bist in Suhl geboren, lebst aber inzwischen in Leipzig und Berlin. Wie häufig bist du noch in Thüringen oder kannst du dir vorstellen mal wieder am Theater in Jena, deiner früheren Wirkungsstätte, zu spielen?
In bin ja kürzlich in Jena mit „Bilder deiner großen Liebe“ aufgetreten und bin mit dem Kollektiv Wunderbaum verbunden, welches das Theaterhaus bis zum Ende der Spielzeit 2021/2022 leitete. Ich bin oft in Thüringen, Teile meiner Familie leben noch da. Ich liebe es – und gehe immer wieder hin.
Von Familie abgesehen: Was magst du an Thüringen am meisten?
Die Landschaft, die Leute …? Beides, ich liebe die Landschaft und die Leute. Ich kann mit so einem Begriff wie Heimat nicht so wirklich umgehen, weil er auch immer so einen Geschmack hat, der etwas gefährlich ist. Ich bin ja Thüringerin und wenn ich nach Thüringen komme, weiß ich, dass ich als Thüringerin erkannt und behandelt werde. Es gibt nichts zwischen uns und ich weiß, wie das funktioniert – und das ist nicht überall auf der Welt so.
Kannst du Mundart sprechen und was müsste passieren, dass du es tust?
(auf authentischem Ilmthüringisch) Ich muss eigentlich nur mit meiner Mudder delefonieren, dann geht das sofort los. Oder wir sprechen miteinander, das geht eigentlich och. Ich liebe Dialekte.
Bayerisch hört man hin und wieder in Filmen. Aber wünschst du dir generell mehr Mut, Kinofilme in Dialekt zu drehen?
Bei „Requiem“ haben wir bereits darüber gesprochen, ob wir einen schwäbischen Dialekt lernen. Das Gegenargument war: Je weniger etwas sprachlich verortet ist, desto mehr Leute werden erreicht. Wenn du Mundart sprichst, bestehen verschiedene Projektionen: Einige Menschen erreichst du tief im Inneren. Aber Leute, die dort nicht leben, denken sofort: „Ah, das sind die!“. Damit verbindet man sich nicht so richtig, deswegen wird vermutlich eher auf Hochdeutsch gesetzt. Ich persönlich freue mich aber, wenn ich irgendwo Thüringisch sprechen darf – und es nicht ganz ordentlich sein muss.
Hard Facts:
- Deutschlandweiter Kinostart von „Sisi & Ich“ am 30. März 2023
- in Thüringen ab dem 27. April im Kinoklub am Hirschlachufer in Erfurt zu sehen
- Mehr unter: www.sandrahueller.co