Wohnst du noch oder lebst du schon? Was vor rund 20 Jahren als Werbespruch eines Möbelhauses zum geflügelten Wort wurde, stellt sich als Frage noch immer: Wie ist ein gutes Leben mit steigenden Mieten, Immobilienpreisen und Nebenkosten zu vereinbaren? Die Klassik Stiftung Weimar möchte die Frage des Wohnens nun neu denken – in einem umfangreichen Themenjahr und in ihrem Co-Labor vor dem Stadtschloss. Dieser Raum ist ein modernistischer Kubus, der vollständig aus Holz besteht. Das Holz stammt von Bäumen aus Weimarer Parks, die zum Beispiel als Totholz entnommen werden mussten und in ein architektonisches Kleinod verwandelt werden konnten.
Das Co-Labor in Weimar ist offen für alle
Die kommende Saison ist bereits die dritte des Kubus. Zwar ist das Co-Labor kein Ort zum Einziehen, aber es ist ein experimenteller Ort mit subkulturellem Charme. Ein Ort, um sich in diesem Sommerhalbjahr über das Wohnen zu unterhalten – oder sich vom Programm unterhalten zu lassen. „Denn das Wohnlabor, wie wir den Kubus nennen, ist offen für alle, es geht darum, dass sich hier ganz verschiedene Perspektiven begegnen“, sagt Georg Gräser. Er ist Kulturvermittler bei der Klassik Stiftung. Los geht das Themenjahr Wohnen mit einem Fest an verschiedenen Stätten der Klassik Stiftung vom 30. März bis 2. April 2023 – so wie nach jedem Umzug ja auch eine Einzugsparty folgt.
Da der kleine Kubus nur wenige Quadratmeter groß ist, erstreckt sich sein Radius auf den Schlossplatz: „Wir sorgen für ein spannendes Ambiente und für gute Getränke, die Menschen können das Programm unterjährig selbst mitgestalten“, so Gräser. Wer immer eine Idee hat, kann eine E-Mail schreiben und fragen, ob das Wohnlabor für diese Idee zu haben sei. „Das können wirklich sehr unterschiedliche Formate sein“, sagt Gräser: „Wir werden vielleicht mal ein Schlafkonzert im Sommer machen, bei dem Menschen auf Matratzen am Kubus übernachten können. Oder wir haben schon Anfragen erhalten, ob es möglich wäre, dort eine Geburtstagsparty zu feiern, weil die eigene Wohnung so klein ist. Und ja, theoretisch wäre das denkbar – wenn dann eben nicht nur die eigenen Gäste, sondern alle willkommen wären“, sagt Gräser.
Instragram anno 1900
Das Wohnlabor ist dabei indes nicht nur Gesprächsmagnet oder Bühne für Konzerte, Hörspiele oder Kleinkunst. Es ist auch Infopunkt für ein umfangreiches, hochkulturelles Jahresprogramm zum Thema Wohnen: Am 30. März eröffnet die Ausstellung „Dichterhaushalt und Lebenskunst – Vom Wohnen um 1800“ im Goethe- und Schiller-Archiv, tags darauf lockt die Vernissage von „Wege nach Utopia: Wohnen zwischen Sehnsucht und Krise“ im Bauhaus-Museum und am 1. April eröffnet in der Anna-Amalia-Bibliothek eine Schau zu historischen Wohnzeitschriften, quasi „Schöner Wohnen“, Blogging und Instragram anno 1900. Flankiert werden die Eröffnungen von einem Konzert der Pop-Band Lilabungalow, von Mitmachangeboten für Familien und von Diskussionsrunden überall in Weimar.
Der Kubus vor dem Stadtschloss ist nicht nur Diskussionsraum, Open Stage und Informationsquelle zum Themenjahr, er soll vor allem auch Bezüge zum Schloss herstellen und wird wörtlich genommen: Denn Gräser und seine Kolleginnen und Kollegen haben große Sitzsäcke anfertigen lassen, auf denen es sich gut herumlümmeln und cornern lässt, deren Stoffmuster aber aus Fotoprint-Motiven von Räumen des Schlosses bestehen. Da das Museum gerade zwecks Sanierung geschlossen ist, informieren stattdessen die Etiketten über die verschiedenen, abgebildeten Schlosswinkel und deren Geschichte von Prunksaal bis Nazibunker.
Mobile Mitmach-Stationen
Georg Gräser freut sich nicht nur auf den Austausch mit Menschen am Holzkubus bis Ende Oktober, wenn das Wetter wieder ungemütlicher wird und die Schlossbezug-Sitzsäcke eingemottet werden. Er freut sich auch darauf, mit einem großen Lastenfahrrad umherzuradeln. Diese speziellen Fahrräder lassen sich zu mobilen Mitmach-Stationen ausklappen: „Dadurch verwandeln sich öffentliche Plätze in Weimar, Apolda und auch dem Land in ein kurzweiliges Wohnlabor“, erklärt Gräser und betont: „Auch hier geht es uns um den Austausch mit Menschen, die sonst vielleicht eher nicht mit Institutionen der Klassik Stiftung in Kontakt treten würden.“ Das Thema Wohnen bietet dabei denkbar viele Anknüpfungspunkte und so wird in Weimar in dieser Sommersaison, in der auch das revolutionäre Haus am Horn 100 Jahre alt wird, die Eingangsfrage variiert: Wohnt ihr noch, oder reflektiert ihr es schon?
Hard Facts:
- Während des Sommerhalbjahres ist der Kubus mittwochs bis sonntags von 14 bis 18 Uhr geöffnet, bei Veranstaltungen oft auch länger.
- Das Veranstaltungsprogramm findet ihr unter: www.klassik-stiftung.de