„Ich sehe mich nicht als statischer Verkäufer hinter dem Tresen“
„Ein leichter bis mittelkräftiger, anturnender Rotwein mit samtig anschmiegsamen Taninen. Ruppelig süßer Rachen. Bleibt oben hängen am Gaumen wie eine Gardine.“
So oder ähnlich klingt es, wenn „Die Korkenzieherin“ Ornett Ragoschat den Geschmack eines Weines beschreibt. So individuell wie ihre Beratungen sind, so einzigartig ist sie selbst. Ein offenes Lachen, leuchtende Augen, ein ruhiges und strukturiertes Wesen – und dazu blumig verpackte Informationen, die aus ihr raussprudeln wie aus einem Weinfass.
Man fühlt sich sofort wie in einem kleinen französischen Weindorf, wenn man ihren Laden in Erfurt betritt.
Illuminiert durch warmes Licht, ergeben die antik wirkenden Möbel und die Kunst an den Wänden eine urgemütliche Atmosphäre. Aber statt Chansons läuft ein Track von „Hansmann & Klausing“ im Hintergrund. Kontrastreich und im Gesamtbild dennoch stimmig – das ist „Die Korkenzieherin“
Dass wir gemeinsam an diesem Holztisch sitzen und über Wein reden können, ist keine Selbstverständlichkeit. Viel Arbeit und Zeit hat Ornett investiert – wenn auch nie von Beginn an geplant. „Im Leben eröffnen sich immer wieder neue Wege“ meint sie. Dafür ist sie selbst ein gutes Beispiel.
Zunächst begann sie ein Studium an der Bauhaus-Universität in Weimar. Medienkultur – 5 Semester. Dann wurde es wissenschaftlich: „Das war mir dann zu öde.“ Sie entschied, das zu ihrem Beruf zu machen, was ihr im Blut liegt. Seitdem sie 16 Jahre alt war, arbeitete sie immer in der Gastronomie, die Mutter selbst war Köchin. 2004 beendete sie ihre Lehre als Hotelfachfrau und sammelte Erfahrungen im Ausland – Schweiz, Island.
2008 zog es die heute 39-jährige in ihre Heimat Erfurt zurück. „Erfurt ist sehr gut vernetzt und die Unterstützung der Menschen untereinander groß.
“Das riecht wie bei Oma Lotte aus dem Sherryschrank“
„2009 fragte dann ein Bekannter, ob ich nicht Lust hätte in einem Weinladen zu arbeiten. „Du magst doch Wein und kannst immer so gut beschreiben“.
Schon als Kind habe ich bemerkt, dass ich Freude an Gerüchen hatte – ich hab sie nie als negativ empfunden und konnte Aromen besser riechen und schildern als andere. Also schnuppern und sofort kommt der Gedanke Das riecht wie bei Oma Lotte aus dem Sherryschrank“. Das „De vino“ hat mich damals dann auch eingestellt. Und ich stand plötzlich vor einer riesigen Weinmaterie – Die alte Welt mit Italien und Frankreich, die neue Welt mit Chile und Argentinien. Was, wenn ein Weinkenner den Laden betritt und mir eine crazy Frage stellt?“
Kompetente Beratung war ihr damals schon wichtig. Sie nahm sich daher immer 4 Weine vor, verkostete und vermerkte ihre eigene Beschreibung dazu.
„Schon beim Etikett lesen ist mir die unheimliche Bandbreite der Begriffe aufgefallen: Reserva, Seleccion, Especial … Was heißt das alles? Was ist das für ein Gebiet? Welche Rebsorte?“
Das war 2011 der Auslöser für die Entscheidung zu einer professionellen Weiterbildung zur Sommelière. Ein halbes Jahr lang jeden Montag nach Berlin, 5 Tage jeden Tag Weinverkostung. Jeden Tag die Konfrontation mit Aromen. Da wird die Sensorik extrem sensibilisiert und auch die sprachliche Stilistik. “Ob es die Dosenerdbeere, Walderdbeere oder der Erdbeerkuchen von Oma ist. Alles hat seinen eigenen Geruch. Mineralität sagt keinem was, aber den Geruch nach einem Sommerregen auf heißem Asphalt – damit können die meisten etwas anfangen!“
Dazu noch verschiedenste Spezialgebiete: Wein und Essen, Kaffee, Wasser, Brände, Grappa aber auch BWL und praktische Prüfungen. „Das war ´ne crazy Zeit.“ 2014 dann der offizielle Stempel: Sommelière mit Diploma.
Im ersten Halbjahr 2016 schnupperte sie die Luft der Selbstständigkeit. In den Räumlichkeiten der „Brotklappe“ veranstaltete sie kleine gemütliche „Brot und Wein“-Abende. Als die Brotklappe nach Weimar zog, bot sich die Möglichkeit den Raum in der Allerheiligenstr. zu mieten. Ornett gab sich einen Ruck. Nun ist sie in ihren finalen Räumlichkeiten auf der Langen Brücke angekommen.
„Ich wollte schon immer einen eigenen Weinladen, auch wenn aktiver Verkauf nicht mein Steckenpferd ist. Beratung ist mir wichtig, das ist das, was mir Spaß macht. Ich will mir auch nicht palettenweise eine Sorte Wein im Keller lagern, nur weil ich einen guten Preis dafür bekommen habe. Dafür ist die Weinwelt viel zu groß. Ich möchte, dass die Weinarbeit wertgeschätzt wird. Eigentlich müsste jeder mal eine Weinlese mitmachen um zu verstehen, was dahinter steckt. Ich habe vor zwei Jahren einen Tag bei einem befreundeten Jungwinzer (Jörn Goziewski) ausgeholfen. Das ist ein Knochenjob! Wenn man die Materialkosten für Flasche und Etikettierung dazu berechnet, das Marketing etc. – wo soll da bei einer Flasche für 1,99 € die Qualität herkommen?
Mein Ziel ist, die Menschen dafür zu sensibilisieren. Und dass sie dann zu mir kommen und sagen „Ornett, du kennst meinen Weingeschmack, ich vertrau dir! Such mir was raus …“
Donnerstag ist übrigens immer Kuchentag bei Ornett. Da lohnt sich ein Besuch besonders, mit der passenden Weinempfehlung ist Genuss garantiert!
Die Korkenzieherin
Lange Brücke 12
99084 Erfurt